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[ 23. May 2004 ]

Kein Anschluss mehr unter dieser Nummer

telefon

Vielen Frauennotrufen in Deutschland geht allmählich finanziell die Puste aus. Sparmaßnahmen von Landkreisen und Kommunen erschweren Einrichtungen wie Frauennotrufen das Leben. Am schlimmsten ist die Situation auf dem Land.

 

"Stell dir vor, du rufst den Notruf an und keiner hebt ab": So wird es ab diesem Sommer Frauen in Augsburg ergehen, die die Nummer des Frauennotrufs wählen. Die Leitung wird stumm bleiben, denn der Notruf hat seine tätigkeit eingestellt, weil die Gelder von der Kommune gestrichen wurden. Augsburg ist kein Einzelfall. Viele andere Notrufe im ganzen Land sind gezwungen, mit immer weniger Mitteln zu Rande zu kommen. Der Grund: Landkreise und Kommunen müssen sparen und kürzen die Zuschüsse. Fließt aus ihren Töpfen nichts mehr, stellt auch das Sozialministerium die Förderung ein. Die Zuwendungen sind freiwillige Leistungen, das bedeutet, sie können beliebig gekürzt oder gestrichen werden.

Ein Hilfsnetz, das immer grobmaschiger wird


Dabei tragen die Frauennotrufe entscheidend zum Erfolg eines Gesetzes bei, das vor fast anderthalb Jahren in Kraft getreten ist und einen wichtigen Fortschritt im Umgang mit häuslicher und sexualisierter Gewalt markiert - das Gewaltschutzgesetz. Nach dem Grundsatz "Der Täter geht, das Opfer bleibt" können Opfer von Gewalt in häuslichen Gemeinschaften seit Januar 2002 verlangen, dass ihnen die Wohnung überlassen bleibt. Gleichzeitig wurde mit dem Gesetz eine Rechtsgrundlage für gerichtliche Schutzordnungen wie Kontakt- und Näherungsverbote geschaffen.

Eine offizielle erste Statistik des Justizministeriums zur Wirkung des Gewaltschutzgesetzes wird es erst im Frühjahr 2005 geben, doch die Zahlen, die einige länder schon jetzt melden, klingen vielversprechend: In Baden-Württemberg ist die Zahl der Platzverweise beispielsweise von 2002 auf 2003 um 22 Prozent auf 2.127 gestiegen. Ganz offenbar machen Frauen und Polizei Gebrauch von diesem Angebot.

Doch das Gesetz wäre nicht mehr als ein stück Papier, wenn sich nicht in den letzten Jahrzehnten ein Netz von Frauenhäusern, Notrufen und Beratungsstellen herausgebildet hätte, wo Betroffene von häuslicher und sexualisierter Gewalt über ihre Rechte und Handlungsmöglichkeiten aufgeklärt werden, wo den Frauen bewusst gemacht wird, dass sie Gewalt und Missbrauch nicht hinnehmen müssen. Der Erfolg des Gewaltschutzgesetzes ist ein Erfolg der langjährigen Arbeit dieser Einrichtungen, die nun allmählich weggespart werden.

Beispiel Bayern: "Fast jeder Frauennotruf ist von kürzungen betroffen."


Sabine Wieninger vom Frauennotruf in München und Delegierte der LAG Bayern für den Bundesverband autonomer Frauennotrufe (BaF) hat eine Umfrage gestartet, um die finanzielle Situation der bayrischen Notrufe zu recherchieren. Das von ihr ermittelte Bild ist zwar nicht vollständig, dafür ist der Trend eindeutig: Fast alle Notrufe müssen Etatkürzungen verschmerzen, am schlimmsten trifft es die kleinen Stellen in den ländlichen Regionen. Zwar geht es bei einigen um Summen, bei denen man denkt: "Peanuts", trotzdem sind sie kaum zu verkraften, weil viele Notrufe schon lange am Rande des möglichen arbeiten. Auch ohne kürzungen schmelzen die Mittel dahin, aufgezehrt von ansteigenden laufenden Kosten, Tariferhöhungen bei Gehältern etc. Weil die Mittel nicht mehr reichen, wird Augsburg im Sommer schließen, in Waldkraiburg, Weiden und Regensburg fehlt dazu nicht mehr viel.

Die Sparmaßnahmen hängen wie ein Damoklesschwert über den Notrufen und beeinträchtigen zunehmend die Arbeit. "Um die kürzungen aufzufangen, müssen die Notrufe die Beratungsstunden zurückfahren, das bedeutet, die Basis, auf der profunde Arbeit geleistet werden kann, schwindet immer mehr", erklärt Sabine Wieninger. "Auf dem Land ist das besonders tragisch, weil es für die Angebote der Notrufe keine Alternativen gibt. Frauen, die sich gegen Gewalt wehren wollen und dringend Unterstützung brauchen, mutet man zu, 100 Kilometer zu fahren, um Hilfe zu bekommen. Doch gerade Mütter sind nicht so flexibel. Und bei Klientinnen, die prozessieren, zieht sich die Betreuung unter Umständen über zwei Jahre hin. Mit einem kurzen Besuch ist es also nicht getan."

Zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Beratung - das Lied von den Sparmaßnahmen


Wie sieht es auf dem Land aus? Brigitte Breit arbeitet seit vier Jahren beim Frauennotruf in Deggendorf. Das Lied von den Sparmaßnahmen kann sie vor- und Rückwärts singen. Bis Anfang April dieses Jahres sah es so aus, als wolle der Landkreis die Mittel für den Notruf ab dem kommenden Jahr streichen - das hätte das Aus bedeutet. Nach massiven Protesten steht nun fest, dass es auch 2005 weitergeht. Trotzdem rauben die wirtschaftlichen Probleme viel Energie - an langfristige und neue Projekte ist nicht zu denken.

"Wegen unserer angespannten finanziellen Lage versuchen wir in der Öffentlichkeit sehr präsent zu sein. Wir bemühen uns, Spenden zu bekommen, machen Kurse an der Fachakademie und Veranstaltungen an Schulen. Das hat den Vorteil, dass sich zunehmend mehr Frauen und Mädchen, bei uns melden, weil ihnen bewusst wird, dass es uns gibt. Auf der anderen Seite wäre es besser, wenn wir mehr Energie in unsere eigentlich Arbeit stecken könnten. Wir würden gern mehr Präventionsangebote machen und mehr ehrenamtliche Mitarbeiterinnen gewinnen. Doch das alles kostet Zeit, und die haben wir nicht, wir müssen ja schließlich erreichbar sein", fasst Brigitte Breit die Situation zusammen.

Dabei ist die "Nachfrage" größer denn je: Insgesamt 779 BeratungsGespräche und Begleitungen hat das Deggendorfer Team - 2 festangestellte Teilzeitkräfte und 15 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen - im vergangenen Jahr durchgeführt, 129 Frauen und Mädchen haben Hilfe gesucht, mehr als 100 Kinder waren mitbetroffen. Das Gewaltschutzgesetz ist gut und wichtig, doch die Klientinnen der Notrufe gehen nach den Erfahrungen von Brigitte Breit in der Regel nicht einfach zur Polizei und erstatten Anzeige.

Häusliche Gewalt ist kein Frauenproblem


Immer noch ist das Thema häusliche und sexualisierte Gewalt mit Scham besetzt, es dauert oft unglaublich lange, bis sich ein Opfer meldet. "Es braucht manchmal bis zu zehn Jahren, bis eine Frau aktiv wird. Oft sind es dann die Kinder, die den Ausschlag geben, entweder wenn sich die Gewalt des Schlägers auch gegen sie richtet oder wenn die Kinder von sich aus damit drohen, die Familie zu verlassen und in ein Heim zu gehen", berichtet die Familientherapeutin. Besonders groß ist die Scham auf dem Land, wo jeder jeden kennt und jeder mitbekommt, wenn eine Frau die Polizei einschaltet. Und gerade in fällen, in denen die Angst überwiegt, reicht ein Gesetz allein nicht aus:

"Die Angst ist oft so groß, dass die Frauen nicht auf das Gewaltschutzgesetz vertrauen, weil sie fürchten, nach einer Anzeige doch wieder allein dazustehen. Das neue Gesetz ist zwar gut, aber wenn der Mann sich nicht daran hält, steht er wieder vor der Tür. Und die Polizei ist ja nicht rund um die Uhr präsent. Bis die dann kommt, kann viel passieren. Viele Betroffene gehen dann lieber gleich ins Frauenhaus."

Was nützt ein Gesetz, wenn die Struktur fehlt, die es trägt? Was wird aus Frauen, die in irgendeinem Dorf wohnen, ohne führerschein womöglich, und regelmäßig geschlagen und missbraucht werden - werden sie sich bei der Polizei melden? "Es ist so unendlich zu bedauern, dass die Angebotsstruktur, die über die letzten Jahrzehnte aufgebaut wurde, jetzt ganz schnell zusammenbrechen kann. Das müssen die Frauen ausbaden. Und es gehen langjährige Erfahrung und Professionalität verloren", kritisiert Sabine Wieninger. Die zunehmende Einbeziehung von ehrenamtlichen Mitarbeitern hält sie für keine wirkliche Lösung: "Ich finde es schön, dass sich Frauen ehrenamtlich engagieren, anderseits ist es auch unsäglich. Es kann politisch gesehen nicht sein, dass Frauen in ihrer privaten Zeit ohne Anerkennung etwas auffangen, was ein gesellschaftliches Problem ist. Es verschleiert, dass es einen enormen Bedarf gibt und es entwertet die Arbeit, die sie tun." Der schwarze Peter wird durch die Sparmaßnahmen an die Frauen zurückgegeben, dabei ist häusliche Gewalt kein Frauenproblem.

Die weiteren Aussichten: noch mehr kürzungen


So richtig dick wird es im nächsten Jahr kommen. Denn für 2005 hat auch das Sozialministerium kürzungen in Aussicht gestellt. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe wird die Lage zusätzlich verschlimmern, befürchtet Sabine Wieninger:

"Es wird für Frauen, die einfach nicht mehr arbeitsfähig sind, immer schwerer, an Gelder zu kommen und die Verunsicherung ist momentan sehr groß. Die geballte Ladung von dem, was es an Abbau gibt und seine Folgen, steht uns noch bevor."