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[ 02. Sep 2004 ]

Antisemitismus und Geschlecht

Kongressplakat: Antisemitismus und Geschlecht

Zu Beginn der 90er Jahre hat sich eine neue Perspektive in der Forschung zum Thema Antisemitismus etabliert: Geschlecht. Eine Reihe von Publikationen beschäftigt sich seither mit der Verschränkung antisemitischer Bilder und geschlechtlicher Konstruktion.

 

Der Kongress "Antisemitismus und Geschlecht", der vom 30. - 31.10.2004 in Berlin stattfinden wird, will zeigen, dass sich Antisemitismus und Geschlecht nicht nur am Rande berühren, sondern dass Geschlechterbilder zentral für das Funktionieren antisemitischer Stereotype und Hassfiguren sind.
www.no-racism.net dokumentiert hier den Aufruftext der OrganisatorInnen...


Einheitliche Stereotype vom deutschen(c) Mann und von der deutschen(c) Frau stehen dabei widersprüchlichen Bildern des Jüdischen(tm) gegenüber. Der jüdische(tm) Körper sei paradox gespalten: männlich und weiblich zugleich. Die Folge sind Bilder, die vom effeminierten jüdischen(tm) Mann bis zum jüdischen(tm) Vergewaltiger und Mädchenhändler, von der schönen Jüdin(tm) bis zum jüdischen(tm) Mannweib reichen.

Mit der Veranstaltung geht es und vor allem um zweierlei:

(1) Die verschiedenen Geschlechterbilder sollen in ihren Ausprägungen und Nuancen vorzustellt werden, um ein differenziertes Bild zu schaffen, welches die Rolle des Körpers für antisemitische Projektionen herausstellt. Denn er ist es, der die Gelenkstelle bei der Konstruktion antisemitischer Männlichkeits- und Weltbilder bildet.

(2) Die Stützungs- und Absicherungsverhältnisse, die sich in dieser Vierer-Matrix der Geschlechterstellungen ergeben, sollen in den Vordergrund geRückt werden. Es geht nicht nur um das jeweilige Zusammenspiel eines Geschlechterbildes mit dem antisemitischen Diskurs, sondern es gilt auch zu prüfen, in welchem verhältnis die Geschlechtskonstruktionen zu einander stehen - inwiefern sie aufeinander angewiesen sind und das eine nicht ohne das andere existieren kann.

Dass der jüdische(tm) Mann einen großen Anteil an Weiblichkeit besitzt, weiss schon das Sprichwort "Jude und Weib sind ein Leib" zu berichten. Egal ob feige, schwächlich und hinterhältig, egal ob Nase, Stimme oder Penis, der jüdische(tm) Mann ist anders - so das einhellige Urteil der AntisemitInnen. In dieser Funktion eignete sich der jüdische(tm) Mann zum einen dazu, das Bild des heroischen deutschen kämpfers zu kontrastieren, und zum anderen dazu, als die notwendige Bedrohung zu fungieren, unter der sich die deutsche Nation als Einheit imaginieren konnte.

Die jüdische(tm) Frau bleibt in der aktuellen Forschungsliteratur häufig unbeachtet weil das Judentum(tm) meist allein mit dem Mann assoziiert wird. Fest steht jedoch, dass auch sie imaginärer Schauplatz der Auseinandersetzung antisemitischer Stereotype war. Ob als geheimnisvolle schönheit, die deutsche(c) Männer verführt und ins Unglück stürzt, oder als berechnendes Mannweib, das ihren Mann unterjocht - die jüdische(tm) Frau supplementiert die auf den jüdischen(tm) Mann projizierte "Andersartigkeit" der Juden(tm).

Der nationalsozialistische Mann wurde zwar als "neuer Mann" gefeiert, jedoch als einer, der in der Vergangenheit verwurzelt ist. Damit in Zusammenhang steht die Vorstellung einer "gesunden", dem Fortschritt der Volksgemeinschaft dienenden Produktion, welche die ehrliche Handarbeit dem "wuchernden" jüdischen Finanzkapital gegenüber stellt. Entsprechend findet sich diese Vorstellung auch in den antisemitischen körperbildern wieder: Der "pervertierte" jüdische(tm) Mann kontrastiert die "Stärke" und "schönheit" des nordischen(c) körpers, dessen männliche Tugend und Willensstärke der urban-hysterischen Moderne standzuhalten hat.

Die deutsche(c) Frau wurde im NS lange Zeit allein als Opfer, Unbeteiligte oder Widerständige, jedoch nicht als Antisemitin behandelt. Das mag vor allem an dem Bild liegen, das der Nationalsozialismus von ihr zurückgelassen hat: fleiߟig, asexuell und opferbereit. Das "BDM-Mädel" hatte sportlich, diszipliniert und arbeitsam, ohne Charme, Eleganz und Sexualität zu sein. Darin erschöpft sich jedoch das Bild der Arierin(c) noch nicht: Frau-Sein, das bedeutet auch und vor allem "Mutter-Sein", sich um den Fortbestand der Rasse(c) und die "Reinheit des Blutes" zu kümmern.

Der Kongress wird versuchen, diese antisemitischen Geschlechterbilder zueinander in Beziehung zu setzen, ihrer Herkunft nachzugehen und ihre Aktualität aufzuweisen. Den verschiedenen theoretischen Ansätze soll so ein Raum zur Auseinandersetzung gegeben werden. Wir gehen davon aus, dass sich über die Analyse von Geschlechtkonstruktionen zentrale Mechanismen des Antisemitismus begreifen lassen. In ihrem Zusammenspiel sichern die Geschlechterbilder das all alltägliche Funktionieren das Antisemitismus.

Wir verwenden die Sonderzeichen (tm) und (c) um ganz klar zu machen, dass es sich bei den markierten Begriffen um Konstruktionen handelt.

Das (tm) macht deutlich, dass wir in keiner Weise von real existierenden Menschen jüdischen Glaubens sprechen, sondern von Bildern, die Antisemitismus und Nationalsozialismus produziert haben.

Das (c) verwenden wir für die identifikatorischen Selbstbilder der AntisemitInnen, die diese genau so wie die Bilder des "Jödischen" (re-)produzieren, verwalten und zirkulieren lassen.