Wie man aus TäterInnen Opfer macht zeigt Bernd Eichingers Film "Der Untergang", der zur Zeit in den Kinos läuft. Dieser Artikel beschäftigt sich anhand eines praktischen Beispiels mit der problematischen Verwendung des Films im Zeitgeschichteunterricht.
Die zitierten Aussagen wurden während einer Nachbereitungsdiskssion zum Film "Der Untergang" in einer niederÖsterreichischen Handelsakademie mitprotokolliert. Das eingeklammerte "L" kennzeichnet Aussagen, die von Lehrkräften getätigt wurden. Die nicht gekennzeichneten Zitate stammen von SchülerInnen.
Die Schrecken des Krieges
"Man hat sich gut reinversetzen können in die Rollen im Film, dass die Großeltern da gekämpft haben" - "mein großvater hat eine Beinsäge" - "man kann sich das jetzt nicht mehr vorstellen" - "was mich beeindruckt hat ist wie die Kinder gekämpft haben" - "in der Kriegsführung war er (Hitler, Anm.) natürlich brutal, aber das sind alle Kriegsführer"
Wie KritikerInnen des Films von Anfang an befürchteten scheint "Der Untergang" in erster Linie der Selbstbemitleidung der TäterInnen und ihrer Nachkommen zu dienen. Statt die eigenen Großeltern mit ihren Verbrechen zu Konfrontieren, lädt der Film ein sich abermals auf die Logik jener Wahnsinnigen einzulassen, die sogar noch 1945 das schlimmste Verbrecherregime aller Zeiten mit Waffengewalt gegen die Befreier verteidigten.
"Wir sind nicht Täter sondern Opfer" scheint Eichingers Film seinem Publikum drei Stunden lang in den Kopf zu hämmern. Menschen denen in qualvollen Operationen Beine amputiert werden sind doch schließlich wirklich Opfer, oder? Und wenn der eigene Großvater dann sogar noch so eine "Beinsäge" besitzt, die er seiner Enkelin zeigt um die "Schrecken" des Krieges zu veranschaulichen, scheint alles plötzlich so nah, dass sich auch junge Menschen anscheinend nur mehr in Solidarität mit beinamputierten Nationalsozialisten üben können.
Zum Schluss bleibt die Feststellung, dass Hitler - wie "alle Kriegsführer" - "natürlich" brutal war. Mit "alle Kriegsführer" sind dann wohl wiederum jene die Deutschland und Österreich vom Nationalsozialismus befreit haben, insbesondere die sowjetischen Soldaten gemeint. Die hört man schließlich auch den ganzen Film Bomben über Berlin abwerfen. Zu sehen sind sie nicht, dafür gibt's endlos Bilder von Wehrmachtsoldaten, SS-Kräften und Volkssturm-Deppen die von russischen Granaten/Kanonenkugeln/Bomben zerfetzt, tödlich getroffen bzw. schwerst verwundet werden.
Der Feind steht wo anders
"er (Hitler, Anm.) ist sympathisch rüber gekommen, wie er mit seiner Sekretärin geredet hat" - "die Russen hätten sie (Eva Braun, Anm.) ein Leben lang gequält" - "sie (die Russen, Anm.) hätten sie massakriert" - "das verstehe ich" (zur Verbrennung der Hitler-Leiche), "sonst würde der irgendwo in Russland im Museum stehen, dass würde den Stolz der Deutschen verletzen"
Gerade in Niederösterreich, dass im April 1945 von der Roten Armee befreit wurde, sind anti-sowjetische Ressentiments noch heute tief in den Köpfen der Menschen verankert. Das kommt natürlich nicht aus dem Nichts. Bedenkt man das der Austrofaschist, Bundeskanzler, Aussenminister und späterer Landeshauptmann Niederösterreichs Leopold Figl sich 1955 - also zehn Jahre nach der eigentlichen Befreiung - auf den Balkon des Belvedere in Wien stellte und anlässlich der Unterzeichnung des Staatsvertrags lauthals "Österreich ist frei" rief, darf einen dieser historische Zugang, der in Österreich durchaus mehrheitsfähig zu sein scheint nicht wundern.
In der faschistisch konstruierten Österreichischen Kollektiv-Erinnerung, ist 1945 nicht das Jahr der Befreiung, sondern der Beginn einer zehn Jahre andauernden "Besatzung". Wahrend ÖVP, SPÖ und KPÖ nach 1945 massiv bemüht waren ehemalige Nazis in ihre Parteien zu holen, blieb nicht zuletzt der kritische Umgang mit der damals nur kurz zurückliegenden Vergangenheit auf der Strecke.
Der "Friedensengel" Rudolf Heß
"Heß hat versucht rauszukommen" (L) - "er hat Fehler eingesehen" (L)
Die Diskussion in der HAK geht weiter. Die Geschichtsprofessorin übt sich wie Eichinger in der Differenzierung zwischen vermeintlich guten und bösen Nazis. Rudolf Heß, Vertreter Adolf Hitlers als Parteivorsitzender der NSDAP, scheint nicht nur in Neonazi-Kreisen aufgrund des Friedensstifter-Mythos verehrt zu werden.
In den Nürnberger Prozessen wurde Heß wegen "Planung eines Angriffskrieges" und "Verschwörung gegen den Weltfrieden" zu lebenslanger Haft verurteilt und in das alliierte Militärgefängnis Berlin-Spandau überführt. Details die freilich unerwähnt bleiben, da das Konstrukt des angeblichen Friedensengels mit diesen "Zusatz-Informationen" wohl wie Kartenhaus in sich zusammen brechen würde.
Das Böse ist weiblich oder schwul
"Hitler hat geheiratet um zu beweisen, dass er nicht schwul ist", "die Frau Göbbels war echt fanatisch" (L)
Einfache Erklärungsmuster müssen her, wenn es gilt den Nationalsozialismus "differenziert" und "von beiden Seiten" zu betrachten. Historisch völlig irrelevante Mutmaßungen wie Hitler sei homosexuelle gewesen, scheinen plötzlich in den Vordergrund zu treten wenn es darum geht den "Wahnsinn" des Individuums Hitler zu erklären.
Weiters fällt Eichingers Konzept, das absolute Böse in eine Frau zu projizieren in einer Gesellschaft wie der unseren natürlich auf fruchtbaren Boden. Die Aussage, dass ausgerechnet Frau Göbbels "echt fanatisch" gewesen sei, ist angesichts dessen, dass in "Der Untergang" drei Stunden lang ausschließlich FanatikerInnen vorkommen abermals bezeichnend für die mangelnde Sensibilität, wenn es um die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der TäterInnen-Gesellschaft in Österreich geht.
...da war doch noch was?
"wenn ich das mit den Juden vorher nicht gewusst hätte, wäre das im Film überhaupt nicht rausgekommen", "war er (Hitler, Anm.) rein deutsch?", "es geht darum, ob er arisch ist", "das heißt wir in Österreich sind auch Arier?", "Ja. Wenn du nicht Jude bist!" (L)
Die einzige kritische Meldungen in der Diskussion, war das Statement einer Schülerin die auf die Tatsache hinwies, dass die Shoa bis auf eine schriftliche Randnotiz im Abspann des Films unerwähnt bleibt. Das ist wohl auch notwendig, wenn sich Deutsche und ÖsterreicherInnen als Opfer darzustellen versuchen. Millionen Tote als Resultat deutsch/ostmärkischer Vernichtungspolitik ins Zentrum der Handlung zu Rücken, wäre da nur kontraproduktiv.
Ohne irgendeinen Anlass kippen die durchschnittlich 18-20jährigen SchülerInnen von der kurz Aufflammenden Diskussion um die Massenvernichtung der Juden/Jödinnen schließlich direkt in die Erörterung der "Rassenfrage" im Sinne der NationalsozialistInnen. Begriffe wie "Arier", "Rasse" bzw. "Rassenreinheit" werden von Lehrerin und SchülerInnen vollkommen unhinterfragt verwendet. für christlich sozialisierte ÖsterreicherInnen scheint das Judentum auch im Jahr 2004 - fast 60 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus - keine Religion, sondern rassisches Merkmal zu sein.
In Bernd Eichinger haben Österreichs GeschichtslehrerInnen nun einen guten Partner im allgemeinen weiss-waschen der braunen Vergangenheit gefunden. Die SchülerInnen scheinen das Spiel zur Rettung der Ehre ihrer mörderischen Großväter bereitwillig mitspielen zu wollen.