Quellenangabe:
Sie hetzen Menschen - bis in den Tod! (vom 12.08.2017),
URL: http://no-racism.net/article/5222/,
besucht am 21.11.2024
[12. Aug 2017]
Wir sprechen hier nicht von den Rekrut_innen des Bundesheeres, von denen einer vor wenigen Tagen unter fragwürdigen Bedingungen zu Tode kam. Wir sprechen von jenen Menschen, die im Rahmen sog. Assistenzeinsätze von ebendiesen Rekrut_innen gejagt werden. An den Grenzen Österreichs ebenso, wie an den Außengrenzen der EU. Angetrieben und begleitet wird diese Menschenjagd vor allem von Politiker_innen und Medien.
Anstatt des Palavers von der "Schließung der Mittelmeerroute" wäre es an der Zeit, sich mit sinnvollen Gedanken zu beschäftigen. Ein Vorschlag, die Zahl der Toten im Mittelmeer von heute auf morgen zu reduzieren, wird seit einigen Jahren diskutiert: Flüchtlinge und Migrant_innen mit Fähren von Nordafrika nach Euroa zu bringen.
Doch dagegen verwehren sich die Hetzer_innen. Einer der sich seit einiger Zeit immer wieder in Szene setzt, mit türkis eingefärbten "neuen Formen" der Politik, ist ein kurz-sichtigen Politiker, der vor allem eines will: An die Macht. Dabei scheut er, wie viele andere, vor nichts zurück. Sie bedienen sich rassistischer Vorstellungen und Mythen, die sie mittels "Studien" belegen. Sie geben vor, die "Grenzen schützen" und Fluchthelfer_innen - die sie als "Schlepper_innen" und "Menschenhändler_innen" denunzieren - das Handwerk legen zu wollen. Doch in Wirklichkeit sind es die :: Politiker_innen selbst, die Menschenhandel betreiben. Mit Millionen bis Milliarden(!) von Euros sponsern sie korrupte Regime, damit diese Migrant_innen und Flüchtlinge auf ihrem Weg Richtung Europa(*) stoppen.
So wird seit Jahren die Abschottung der EU vorangetrieben und mit Unsummen finanziert. :: Innerhalb und :: um Europa entstanden mehr und mehr Lager, die nur einem Zweck dienen: Der Internierung von Migrant_innen und Flüchtlingen. Doch allen Maßnahmen zum Trotz lassen sich viele Menschen nicht von ihrer meist heimlichen Reise nach Europa abhalten. Die immer weiter ausgebauten Abschottungsmaßnahmen zwingen viele dazu, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Und mit steigender Nachfrage steigen auch die Preise - vor allem für etwas sicherere Wege. Vielen bleibt keine andere Wahl, als die Überfahrt über das Mittelmeer zu wagen. Wobei der Großteil der Menschen die gefährliche Überfahrt von Libyen aus versucht - vor allem nachdem :: die EU mit dem Regime Erdogans einen Pakt geschlossen hat und viele Menschen von türkischen Behörden und Militärs gehindert werden, die wesentlich kürzere Überfahrt nach Griechenland zu wagen.
"Investiert" wird von der EU ebenfalls in die Grenzregime der rund um Libyen liegenden Länder, um auch dort Menschen auf ihrem Weg nach Europa zu stoppen. In Ägypten und Algerien wurde die Grenzenüberwachung verschärft. Im Niger wurden u.a. Polizei- und Armeeeinheiten "ausgebildet" sowie Interierungslager errichtet. Durch finanzielle Hilfen soll die Zusammenarbeit mit Transitländern wie Niger, Mali, Äthiopien, Sudan und Tschad verstärkt werden.
Begleitet werden diese Maßnahmen zur "Grenzsicherung" von rassistischer Hetze gegen Migrant_innen und Flüchtlinge. Es ist eine Politik, die keine Kosten und Mühen scheut, ein ewiges Hin und Her, das Menschen dazu zwingt, ständig neue Wege zu gehen.
Nachdem :: in den Jahren 2015 und 2016 vor allem Berichte über die sog. Balkanroute Boulevardblätter und Mattscheiben füllten, ist nun wieder die "Mittelmeerroute" - insbesondere der Weg von :: Libyen nach :: Italien und dessen vorgelagerten Inseln wie Lampedusa zum Mittelpunkt der :: aufhetzenden Berichterstattung geworden.
Nachdem sich die Pläne, die Menschen auf den Inseln festzuhalten als Schnapsidee herausgestellt haben, weil die Resourcen dort einfach nicht ausreichen, wird nun wieder auf ein Land gesetzt, das seit vielen Jahren in die Abschottungspolitik Europas eingebunden ist: Der Vorschlag, in Libyen sog. Hotspots einzurichten kam dieses mal vom französischen Vorzeigepräsidenten Emmanuel Macron. Dieser Vorschlag musste gleich wieder zurückgenommen werden, da die Lage in Libyen es einfach unmöglich macht, Lager zu errichten, in denen EU-Beamte über das Schicksal von Menschen entscheiden; doch neu ist diese Idee keinesfalls. Schon unter Gaddafi wurden mit EU-Geldern im nordafrikanischen Transitland auf dem Weg nach Europa Lager errichtet. Und schon lange bevor irgendwer überhaupt an einen "arabischen Frühling" zu denken wagte, waren die Zustände in diesen Lagern und die :: Situation von Migrant_innen und Flüchtlingen in Libyen bekannt.
Angesichts dieser Ausgangslage ist es ein Hohn, wenn Politiker_innen vorgeben, Menschenleben retten zu wollen, indem sie "die Mittelmeerroute schließen". Zwei Kurierreporter, die drei Wochen an Bord eines Rettungsschiffes von Ärzte ohne Grenzen verbrachten, berichteten von dem Einsatz im Rahmen eines "Logbuches". Ihnen zu folge herrsche
"weitestgehend Konsens, dass das Sterben und die unkontrollierte Einwanderung so nicht weitergehen können. Doch wie die Route auf humane Weise geschlossen und Migrant[_inn]en auf die Mitgliedstaaten aufgeteilt werden sollen, darüber ist sich Europa uneinig." (kurier.at, 08. Aug 2017)
Wir hinterfragen an dieser Stelle diesen angeblichen Konsens: Seit Jahren fordern überall in Europa Menschen ein Ende der :: mörderischen Abschottungspolitik. Anstatt die Grenzen zu schließen und den Menschen keine Wahl zu lassen, als die gefährliche Überfahrt über das Meer zu wagen, wäre es viel einfacher, die :: Visaregime abzuschaffen, um das Sterben im Meer zu beenden. Wenn die Menschen die Möglichkeit haben, sich ein Flug- oder Fährenticket zu kaufen, dann müssten sie nicht die Hilfe von Fluchthelfer_innen in Anspruch nehmen.
Wenn die Politiker_innen "KZ-ähnliche" Verhältnisse(**) in :: libyschen Lagern feststellen, dann wäre es ihre verdammte Pflicht, die Menschen aus diesen Lagern zu befreien, anstatt sie im Meer aufzusammeln und dorthin zurück zu bringen. Um so wichtiger erscheint die Forderung :: "Fähren statt Frontex!" Seit mehreren Jahren wird dies von Menschen auf beiden Seiten des Meeres gefordert, als einzige wirkliche effektive Maßnahme, um Menschenleben zu retten.
Anfang Juli 2017 veröffentlichte die u.a. in Häfen auf Sizilien tätige NGO Oxfam den Bericht :: "Die Hölle jenseits des Meeres" (:: L'inferno, al di là del mare (pdf)). Von den von OXFAM befragten Personen haben "84 Prozent (...) ausgesagt eine menschenunwürdige Behandlung erlitten zu haben, darunter brutale Gewalt und Folter. 74 Prozent der Befragten haben ausgesagt die Tötung oder Folter eines Mitreisenden miterlebt zu haben. 80 Prozent haben ausgesagt ohne Wasser und Nahrung geblieben zu sein und 70 Prozent der Befragten berichteten davon in offiziellen oder inoffiziellen Haftanstalten gefangen gehalten worden zu sein."
Anfang August wurde basierend auf den schockierenden Aussagen ein weiterer Bericht veröffentlicht, in dem noch einmal klar gestellt wird, warum Menschen die Möglichkeit, "diese Hölle zu verlassen", nicht verwehrt werden soll (:: Torture, rape and slavery in Libya: why migrants must be able to leave this hell).
Die EU-Mitgliedstaaten werden davor gewarnt, Menschen an der Flucht aus Libyen zu hindern, denn dies gefährdet mehr Männer, Frauen und Kinder, missbraucht oder ausgebeutet zu werden.
OXFAM vertritt die Meinung, dass die Menschen erst einmal kommen müssen. Um die Überfahrt zu ermöglichen, müsse die EU sichere Korridore schaffen, über die Flüchtlinge nach Europa kommen, wo sie einen Antrag auf Asyl stellen können.
Die :: Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM) aus Berlin, die seit vielen Jahren auf die Probleme in Nordafrika und bei der :: Überquerung des Mittelmeeres aufmerksam macht, schreibt auf ihrer Homepage:
"Fähren jetzt: eine naive Forderung? Ich sehe vor mir das milde Lächeln der Ministerin, die gewundenen Statements der Politiker[*innen] in den Talkshows, die uns erklären, das Boot sei voll und Europa könne mehr Migrant*innen nicht verkraften. Es werden 'intelligente Lösungen' vorgestellt, sprich Militärpartner[*innen]schaften mit Mali, Aufrüstungen für den Sudan und das Verbot, Schlauchboote und Motoren nach Libyen zu exportieren. Auch die Forderung nach dem Aufbau einer libyschen Küstenwache fehlt in keiner Stellungnahme. Von der katastrophalen Lage der Migrant*innen in Libyen wird nur gesprochen, um möglichst viele davon abzuhalten, Richtung Norden aufzubrechen, und die 'Schleuser[*innen] und Schlepper[*innen]' medial zur Intervention freizugeben. Krokodilstränen.
Wer gewählt werden will, darf die Forderung nach Fähren nicht unterstützen? Es gibt inzwischen einen gewichtigen Teil der Bevölkerung, der sich von einer politischen Klasse, die das ertrinken lassen zur Staatsraison erhoben hat, nicht mehr vertreten fühlt. Fürchtet Euch nicht! Ja, es würden Hunderttausende kommen. Ihre Ankunft wäre für manche beunruhigend, aber sie wäre für niemand bedrohlich. Sie wäre das Konjunkturprogramm, das Europa so dringend braucht, und die Rücküberweisungen wären die wichtigste Aufbauhilfe für Afrika. Und schon nach 1-2 Jahren wären die Fähren auch auf der Rückfahrt voll von Migrant*innen, die ihre Familien besuchen oder für immer zu ihnen zurückkehren wollen.
Fürchtet Euch nicht vor den Migrant*innen! Fürchtet Euch vor der Unmenschlichkeit! Fürchtet Euch vor dem schreienden Unrecht und dem Zynismus der unterlassenen Hilfe. Es gibt ein elementares Recht auf Migration - aber es gibt kein Recht auf der Welt, Menschen verhungern oder ertrinken zu lassen."
Anmerkungen:
(*) Diese Form der Politik gibt es nicht nur an der Grenzen der EU, sondern mittlerweile rund um den Globus. In diesem Bericht beschränken wir uns jedoch auf die menschenverachtende Anti-Migrationspolitik Europas.
(**) Der Vergleich von Internierungslagern in Libyen mit den Konzentrationslagern der Nazis ist mit Vorsicht zu genießen, denn zu leicht wird dadurch einer Verharmlosung des Nationalsozialismus Vorschub geleistet; insbesondere angesichts des enormen Rechtsrucks in Europa und dem zunehmenden Erstarken offen faschistischer Prateien.