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[ 16. Jun 2005 ]

Initiative in Gedenken an Oury Jalloh Berlin/Dessau 14-06-2005

oury jalloh

Pressemittelung vom 14. Juni 2005. Verschiedene Initiativen verurteilen den alltäglichen staatlichen Rassismus und den Einschüchter- ungsversuch gegen Mouctar Bah in Dessau.

 

Vor einem halben Jahr verbrannte Oury Jallow in einer Polizeizelle von Dessau in Sachsen-Anhalt. Sein Tod und die weiteren Ereignisse seit dem 7. Januar geben eine Ahnung davon, was hinter den Mauern der Polizei und denen des Schweigens normal und alltäglich ist. für uns und alle, die diese Normalität, ihre Gesetze und ihre Täter genau kennen und täglich erleben.

Direkt nachdem Oury Jallow gestorben ist, spricht die Polizei von Selbstmord. Erst nach öffentlichen Protesten geht die Staatsanwaltschaft den Widersprüchen nach: Wie soll sich ein Mensch selbst verbrennen, wenn er an Händen und Füßen fixiert worden ist? Warum hat er angeblich ein Feuerzeug, wenn vor dem Arrest immer eine genaue Untersuchung stattfindet? Wie soll er sich anzünden, wenn die Matratze laut Hersteller schwer entflammbar ist und sie vorher nicht beschädigt war? Und warum sollte er es überhaupt getan haben? Warum stellen die diensthabenden Polizisten die akustische Verbindung sowie den Rauchmelder aus, obwohl sie einwandfrei funktionierten? Wie soll es möglich sein, nicht die Todesschreie eines Menschen zu hören, der mehrere Minuten lang qualvoll in den Flammen verbrennt, und den Rauch nicht zu bemerken, durch den danach weder die Polizisten noch die Feuerwehr durchkommen? Warum taucht ein Feuerzeug in der Asservatenliste vom 11.1. auf, nachdem es am 10.1. dort nicht verzeichnet wurde? Schon lange bevor die Ermittlungen abgeschlossen waren, erklärte der leitende Oberstaatsanwalt, dass es "keinerlei Anzeichen für die vorsätzliche Tat eines Dritten" gebe. Eine Nachstellung, nach der es möglich sei, ein Feuerzeug aus der Hosentasche zu holen, reichte ihm dafür aus. Keine der offenen Fragen konnten beantwortet werden noch wurden eine weitere Obduktion oder eine Rüntgengenuntersuchung durchgeführt, auch nicht nach der Aufforderung durch die anwältin der Angehörigen. Eine genauere Obduktion musste auf eigene Kosten durchgeführt werden, durch die erst jetzt ein Bruch des Nasenbeins, zersTürte Trommelfelle und Einbrüche an den Siebbeinplatten gefunden wurden, welche zuvor abgestritten worden sind. Jetzt beklagt sich die Staatsanwaltschaft nur darüber, dass ihr diese Ergebnisse nicht zugestellt worden seien - diese sind ihr jedoch weder verheimlicht worden noch hat sie sich jemals dafür interessiert.

Jetzt, nach einem halbem Jahr des kontinuierlichen Kampfes einschließlich der starken Demonstration in Dessau am 26. März, in der die Wut und die Erfahrungen der täglichen Polizeigewalt und -brutalität zum Ausdruck kam, und des gemeinsamen entschiedenen Willens, die Hintergründe des Todes von Oury Jallow und der Verantwortlichen herauszufinden, erscheint die Anklage gegen nur noch zwei der Polizisten, wegen körperverletzung mit Todesfolge gegen den einen und fahrlässiger Tötung gegen den anderen. Alle weiteren Möglichkeiten werden schon in der Anklage ausgeschlossen. für viele von uns ist genauso vorstellbar, dass Oury Jallow vorher zusammengeschlagen worden - wie schon oft durch Polizisten geschehen - und anschließend angezündet worden ist, sei es um ihn umzubringen oder um es zu vertuschen. Alleine schon die Behauptung der Polizisten, sie hätten die Warnmelder aufgrund älterer Schäden ausgestellt, zeigt ihre Verachtung und ihre überlegenheit, wenn es um "Schwarzafrikaner" geht. "Unsere Polizei macht einen guten Job", beeilte sich der Innenminister von Sachsen-Anhalt noch im Februar mitzuteilen. Erst jetzt, als Ausschnitte von Telefonprotokollen in der Presse erschienen sind, wird von möglichen "Rückschlüssen auf eine innere Einstellung der Beteiligten" gesprochen, nachdem bisher selbst die Existenz dieser Protokolle abgestritten worden ist, in denen die rassistische Haltung der Polizisten und des Arztes evident auf der Hand liegen.

Die offensichtliche Kollaboration zwischen den staatlichen Institutionen dient der Leugnung jeden Zusammenhangs zwischen Rassismus und dem Tod von Oury Jallow. Es ist sehr üblich, über den Rassismus zu sprechen, der von der Seite der Nazis auf der strasse kommt, um zu verhindern, über den Rassismus innerhalb der Institutionen zu sprechen: In der Zeit von 1990 bis 2004 starben elf Ausländer während polizeilicher maßnahmen, und 12 wurden durch rassistische Angriffe auf der strasse umgebracht, wobei letzteres mehr Beachtung in der Öffentlichkeit findet. Wieder sind wir mit der Situation konfrontiert, in der eine ernsthafte AufKlärung verhindert wird, einzig um die behördlichen Strukturen unberÃŒhrt zu lassen. Vor einer Woche kündigte das Landesverwaltungsamt von Dessau einem der meist engagierten Menschen, Mouctar Bah, an, die Genehmigung für seinen Call und Afro-Shop zu entziehen und drohen ihm damit, seine Existenzgrundlage und sein Leben zu zersTüren. Derselbe Versuch wurde schon vor einem Jahr vom Amt unternommen, damals jedoch vom Gericht abgelehnt. Das hindert das Amt nicht daran, mit einem nicht näher ausgeführten "öffentlichen Interesse" begründet nun die Gewerbeuntersagung zu verfügen und am Donnerstag, dem 9.6. zwei Beamte des Ordnungsamtes zur Durchsuchung der Geschäftsräume erscheinen zu lassen. Trotz kurzer Widerspruchsfrist werden seinem Anwalt die Akten in dieser Sache nicht zugestellt. Auch in dieser "Maßnahme", amtlich und lautlos zur passenden Zeit eingesetzt, zeigt sich die Zusammenarbeit der verschiedenen Instanzen, die Wahrheit über den Tod von Oury Jallow zum Verschwinden zu bringen und jeden Widerstand dagegen zu brechen.

Diese Pressemitteilung wurde von der Antirassistische Initiative Berlin (ARI), Plataforma der Flüchtlinge und MigrantInnen und The Voice-Refugee Forum als Teil der Initiative in Gedenken an Oury Jallow herausgegeben.

für mehr Information setzen sie sich bitte in Verbindung mit Mouktar Bah (0176-29435634)
www.anti-rar.de / www.plataforma-berlin.de / www.thevoiceforum.org