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[ 16. Feb 2016 ]

Wie ein rassistisches Verbrechen in deutschem Polizeigewahrsam von Polizei und Justiz vertuscht wird

Im Gedenken an Oury Jalloh - Lebendig verbrannt in einer Polizeizelle in Dessau / Deutschland

Am 7. Januar 2005 wurde Oury Jalloh in der Dessauer Polizeizelle Nr. 5 an Händen und Füssen angekettet und verbrannte auf einer schwer entflammbaren Matratze bis zur Unkenntlichkeit. Die Brand- und Todesursache wurde von den zuständigen Ermittlungsbehörden bis heute nicht aufgeklärt!

 

Das Landeskriminalamt Sachsen - Anhalt, die Kriminalpolizei von Stendal und die Staatsanwaltschaft Dessau ermittelten von Anfang an in nur eine Richtung: Sie behaupteten, dass Oury Jalloh die Matratze selbst entzündet hatte. Es wurde kein Brandsachverständiger an den Tatort gerufen und es wurde in der Zelle auch nicht nach Brandbeschleunigern gesucht. Lediglich zwei Asservatenbeutel wurden drei Tage später ins Labor gegeben. Dort tauchte plötzlich ein Feuerzeugrest auf, von welchem fortan behauptet wurde, dieser hätte im Brandschutt unter dem Körper von Oury Jalloh gelegen. Trotz einer Vielzahl verschwundener Beweismittel, widersprüchlicher Zeugenaussagen und einem Nasenbeinbruch, der bei einer zweiten Autopsie Oury Jallohs festgestellt worden war, legte sich die Staatsanwaltschaft auf die Hypothese der "Selbstentzündung" fest.

Obwohl sich in den langwierigen Gerichtsverfahren vor den Landgerichten Dessau (2007/2008) und Magdeburg (2011/2012) die Indizien und Beweise in Richtung Mord immer weiter verdichtet hatten und sich verdächtige Polizeibeamte in Lügen verstrickten, waren Staatsanwaltschaft und Richter nicht interessiert an der Wahrheitsfindung. Der zuständige Dessauer Oberstaatsanwalt Christian Preissner sprach von einem "tragischen Unglück". Die Anklageschrift konzentrierte sich auf das Fehlverhalten des damaligen Dienstgruppenleiters Andreas Schubert. Diesem wurde vorgeworfen, dass er nicht alles für eine schnelle Rettung von Oury Jalloh getan hätte. Brandversuche zur Rekonstruktion des Brandbildes, wie es in Zelle 5 tatsächlich vorgefunden worden war, wurden von Seiten der sachsen - anhaltinischen Justiz konsequent abgelehnt. Nach Ansicht der Richter hätte eine solche Beweisführung nichts mit den Vorwürfen gegen Schubert zu tun. Dieser wurde am 13. Dezember 2012 wegen fahrlässiger Tötung vom Magdeburger Landgericht wegen fahrlässiger Tötung schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe von 10.800 Euro verurteilt. Obwohl Brand- und Todesursache von Oury Jalloh weiterhin ungeklärt blieben, bestätigte der Bundesgerichtshof das Urteil am 9. September 2014. Die Gewerkschaft der Polizei in Sachsen - Anhalt unterstützt Andreas Schubert indem sie Anwalts- und Prozesskosten in Höhe von 430.000 Euro übernehmen möchte. Auch die sachsen - anhaltinische NPD rief kurz nach Prozessende zu Spendensammlungen für den verurteilten Polizisten auf.

Weil Richter und Staatsanwälte Brandversuche mit der Frage nach Brandausbruch und Brandverlauf verweigert hatten, beauftragte die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh selbst einen Brandsachverständigen mit der Erstellung eines unabhängigen Brandgutachten in Irland. Die Ergebnisse wurden am 12. November 2013 im Rahmen einer Pressekonferenz in Berlin vorgestellt. Der Brandsachverständige Maksim Smirnou konnte nachweisen, dass es physikalisch betrachtet völlig unmöglich ist, dass Oury Jalloh ein so starkes Feuer selbst entfachen konnte.

Aufgrund der schwerwiegenden Beweise, die ganz offensichtlich für die Ermordung von Oury Jalloh durch Dessauer Polizeibeamte sprechen, hatte die Initiative am 11. November 2013 eine Strafanzeige wegen Mordes gegen Unbekannt beim damaligen Generalbundesanwalt Harald Range gestellt. Im Rahmen dieser Anzeige wurde Range auch darüber informiert, dass Polizei und Justiz in Sachsen - Anhalt eine Aufklärung der Todesumstände von Oury Jalloh kollektiv verhindert haben. Unter Berufung auf das Urteil des Magdbeburger Landgerichts, erklärte Oberstaatsanwalt Krauß als Vertreter der Bundesanwaltschaft in einem Schreiben vom 11. Februar 2014, dass man "aus rechtlichen Gründen nicht berechtigt" sei, das Verfahren an sich zu ziehen. Demnach wollten auch die Karlsruher Bundesanwälte keinerlei Anhaltspunkte für die Ermordung Oury Jallohs sehen. Ermittlungsversäumnisse seitens der sachsen - anhaltinischen Behörden hätte es zwar gegeben, diese wären aber unbeabsichtigt erfolgt, so die Argumentation. Deshalb wurde die Strafanzeige der Initiative zurück nach Sachsen - Anhalt in die Hände der Dessauer Staatsanwälte geleitet.

Oberstaatsanwalt Preissner hatte zwischenzeitlich ein Vorprüfungsverfahren bezüglich der Unstimmigkeiten am Feuerzeugrest eingeleitet. Im Rahmen des Revisionsverfahrens vor dem Magdeburger Landgericht hatte sich im Juni 2012 herausgestellt, dass dem Feurzeugrest, welcher sich angeblich im Brandschutt unter dem Leichnahm von Oury Jalloh befunden haben soll, weder Spuren dessen Kleidung noch der Matratze anhaften. Preissner beauftragte das LKA Baden - Württemberg mit weiterführenden Untersuchungen des Feuerzeugrestes und der Bestimmung befindlichen Fasern. Das Gutachten wurde am 19. August 2014 erstellt und ergab neue Merkwürdigkeiten: An dem Feuerzeug befinden sich neben einer enormen Menge nicht bestimmbarer Fasern auch zwei Tierhaare (Wollhaare 5mm bis 22,5mm) sowie einige unverbrannte Faserreste, die den verbrannten Fasern aufgelagert sind. Die Dessauer Staatsanwaltschaft wollte jedoch weiterhin keinen Ermittlungsansatz sehen. Bis dato ignoriert sie beharrlich die Tatsache, dass dieses Feuerzeug nicht im Brandschutt der Zelle 5 gelegen haben kann und folglich die Entzündung der Matratze durch Oury Jalloh ausgeschlossen ist.

Doch die Beweise für die Ermordung von Oury Jalloh verdichteten sich an anderer Stelle weiter: Aufgrund eigenständiger Recherchearbeiten der Initiative ergaben sich im Frühjahr 2013 sogar ganz konkrete Hinweise auf einen der Tatbeteiligten. Diese Informationen wurden an eine Journalistin weitergegeben, die sich im April 2013, nach Rücksprache mit ihrem Anwalt, aus Sicherheitsgründen dazu entschieden hatte, die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe einzuschalten. Diese erklärte sich abermals für nicht zuständig und übermittelte die neuen Anhaltspunkte an den Generalstaatsanwalt von Sachsen - Anhalt, Jürgen Konrad. Konrad wiederum informierte am 24. Oktober 2013 die Dessauer Staatsanwaltschaft und vertraute ihr alle weiteren Ermittlungsschritte an. Was dann folgte, ist mehr als fragwürdig aber ebenso typisch und entlarvend: Nicht der mögliche Täter wurde Ziel der staatsanwaltlichen Ermittlungen, sondern die Person, die auf den Täter zeigte. Oberstaatsanwalt Preissner veranlasste am 5. Dezember 2013, sogar eine Hausdurchsuchung bei dem Hinweisgeber und beschlagnahmte sämtliche Datenträger. Hingegen wurde der mögliche Tatverdächtige zu keinem Zeitpunkt befragt. Ähnlich erging es einem Justizvollzugsbeamten aus Dessau, der sich Ende 2013 an die Anwälte der Familie von Oury Jalloh gewandt hatte. Er hatte diesen mitgeteilt, dass in der Dessauer Polizei alle wissen würden, wer zu den Mördern von Oury Jalloh gehöre. Nachdem er sein Wissen auch den Dessauer Behörden mitgeteilt hatte, wurde er sofort vom Dienst suspendiert. Ihm wurde ein Disziplinarverfahren angehängt. Jetzt sagt er nichts mehr.

Der Leitende Oberstaatsanwalt Folker Bittmann betonte am 15. Oktober 2015 gegenüber dem ARD Magazin Monitor, "Ja, wenn es keine anderen Anhaltspunkte für Fremdverschulden gibt, dann liegt es natürlich nahe anzunehmen, dass das Feuer von eigener Hand gelegt wurde.". Die Dessauer Staatsanwaltschaft verschweigt der Öffentlichkeit, dass es Hinweise auf mögliche Täter gibt und deshalb bereits am 30. Oktober 2013 ein gesondertes Todesermittlungsverfahren wegen Mordes gegen Unbekannt im Fall von Oury Jalloh eingeleitet hatte. Auch wenn sich die Staatsanwaltschaft weiter hinter falschen Schutzbehauptungen verstecken möchte, die Fakten sprechen für sich!

Am 27. Oktober 2015 stellte ein von der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh beauftragtes internationales Expertenteam, bestehend aus zwei Brandsachverständigen, einem Rechtsmediziner und einem Toxikologen aus Großbritannien und Kanada auf einer Pressekonferenz in Berlin weitere Gutachten vor. Die Sachverständigen kamen zu dem Ergebnis, dass die Ermittlungsarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft im Fall von Oury Jalloh von schwerwiegenden Fehlern und einer Reihe von Fehlinterpretationen vorliegender Indizien und Beweise gekennzeichnet ist. Die wichtigsten Beweismittel sind verschwunden oder wurden manipuliert. Die Tatortarbeit wurde nicht den gängigen Standards entsprechend dokumentiert. Der Londoner Brandsachverständige Iain Peck erklärte: "Unter Bezugnahme auf die mir zur Verfügung gestellten Informationen ist es meiner Meinung nach wahrscheinlich, dass eine dritte Person das Feuer entzündet hat, ob durch Zerstörung und unmittelbare Entzündung der Matratze erfolgt oder unter Verwendung von Brandbeschleunigern."


Initiative in Gedenken an Oury Jalloh e.V.
:: initiativeouryjalloh.wordpress.com
Kontakt: initiative-ouryjalloh (at) so36.net

Artikel zuerst veröffentlicht am 07. Jan 2016 auf :: initiativeouryjalloh.files.wordpress.com (pdf).