Wer 2001 in Genua verhaftet wurde, könnte demnächst Post von der Justiz bekommen. Neuesten Berichten zufolge wollen die Staatsanwaelte Canepa und Canciani noch in diesen Wochen Naegel mit Köpfen machen.
Am vergangen Dienstag veröffentlichte die Gruppe Supportolegale eine Pressemitteilung, in der es heißt, dass man 50 Personen wegen Verwuestung und Plünderung der Prozess machen wird und dass 190 Ermittlungsverfahren wegen den Auseinandersetzungen in den Strassen von Genua demnächst in ebenso viele Anträge auf Klagezulassung münden werden. Anna Canepa und Andrea Canciani, die bereits im Verfahren gegen 25 Personen, denen Verwuestung und Plünderung vorgeworfen werden als anklagende Staatsanwaelte auftreten haben offenbar vor, alle gegen Protestteilnehmer noch laufenden Ermittlungserfahren zum Abschluss zu bringen. Wie es aussieht, wurden die beiden eigens von sonstigen Diensten im Rahmen ihres Amtes freigestellt, damit sie sich ausschließlich mit jenen Verfahren beschäftigen können. Ein vergleichbares GlÃŒck widerfuhr en StaatsanwÀlten, die den Untaten der Polizeien nachgehen nicht, stellte in einem heute erschienenen Artikel die Zeitung Il Manifesto fest.
Die noch offenen fälle sind zahlreich. Die Verfahren, die durch den Vorwurf der VerwÃŒstung und Plünderung gekennzeichnet sind, haben einen größeren Bekanntheitsgrad als die anderen, bei denen es in unterschiedlichen Konstellationen um "klassische" Vorwürfe geht wie Widerstand gegen die Staatsgewalt, Sachbeschädigung, Brandstiftung, Vermummung etc. Die StaatsanwÀlte hatten seinerzeit verschiedene ErmittlungsstrÀnge angelegt. Neben den Verfahren wegen der Diaz-Schule und Bolzaneto und dem wegen der Tötung von Carlo Giuliani gab es u.a. das Verfahren gegen die so genannten "black bloc" und eins wegen den Auseinandersetzungen in den Strassen von Genua. Diese beiden Verfahren unterschieden sich dadurch, das im "black bloc" Verfahren Vorfälle untersucht wurden, die nach Meinung der StaatsanwÀlte in Zusammenhang mit jenen "Streifzügen" der "black bloc" standen, welche selbige meinen, anhand der ZersTürung von "Globalisierungssymbolen" nachzeichnen zu können, während im zweiten Verfahren sozusagen "gewöhnliche", nicht mit einem etwaigen "Aktionskonzept" in Zusammenhang stehende Strassenschlacht-Situationen zum Gegenstand der Ermittlungen wurden.
Die "Black-bloc-Akte" stellte also deshalb auf den Vorwurf der VerwÃŒstung und Plünderung ab, weil die angebliche Beteiligung an "systematisch" durchgeführte Handlungen unterstellt wurde, obwohl auch dort - zumindest im Verfahren gegen die 25 - im Ergebnis einzelnen Personen, die keineswegs einem wie auch immer gearteten Ganzen angehörten nichts als einzelne Vorkommnisse zur Last gelegt werden. Die Akte "Fatti di Piazza" (Auseinandersetzungen in den Strassen, Strassenschlachten) hingegen sollte "lose" Vorkommnisse im Rahmen des traditionellen, unorganisierten Riot-Repertoires untersuchen. Was aussteht und jetzt anscheinend bald konkret werden soll, gehört nun teils dem ersten Ermittlungsstrang an und teils dem zweiten. Einerseits wäre da eine Zahl von mindestens 50 Personen, die mit dem Vorwurf der VerwÃŒstung und Plünderung konfrontiert werden sollen. Andererseits könnten schätzungsweise 190 Personen im Sinne des zweiten Ermittlungsstrangs zur den Strassenschlachten belangt werden.
Zu den berÃŒhmten 50 plus x fällen, die ermittlungstechnisch lÀngst abgeschlossen in irgendeiner Schublade liegen, gibt es an sich nichts Neues. Seit gut einem Jahr wird gerätselt, wer genau wie betroffen sein könnte. Nach wie vor rechnet man aufgrund von wenigen, sehr vagen Andeutungen, die aber offiziell nie ausreichend bestätigt wurden, dass u. a. Angehörige der Österreichischen Volxtheaterkaravane und einige deutsche Aktivisten mit im Visier der Justiz sind, sonst sind aber keine Details bekannt. Es heißt, der Grund, weshalb bisher noch nichts passierte, obwohl alles "bereit" stünde sei, dass die StaatsanwÀlte Canepa und Canciani, die das Verfahren gegen die 25, die derzeit vor Gericht stehen leiten, mit diesem zu beschäftigt waren, um sich noch mehr Gerichtsverfahren aufzuhalsen. Womöglich hat sich das nun durch die Freistellung der beiden von anderen staatsanwaltlichen Diensten geändert. Wenn Canepa und Canciani ihre Ankündigung auch im Bereich der Gruppe, die der VerwÃŒstung und Plünderung angeklagt werden soll wahrmachen, werden die Betroffenen bald Post von der italienischen Justiz bekommen. Wenn nicht, dann wird es später passieren. Die Verjährungsfrist für VerwÃŒstung und Plünderung beträgt 50 Jahre, daher hat die Justiz alle Zeit der Welt. für eine Verzügerung könnte es auch rein taktische Gründe geben: bisher sangen Leute wie Gianfranco Fini (AN Chef) und Co. so oft und so laut sie konnten das Lied der armen Polizisten, die zu Unrecht der schlimmsten Taten bezichtigt werden, während kaum ein Demonstrant belangt wird. möglicherweise gibt es Interesse, dieses scheinbare "Ungleichgewicht" nicht zu sTüren, damit der Öffentlichkeit suggeriert werden kann, die Justiz gehe mit den Staatsbeamten am hÀrtesten um, was nicht im Geringsten den Tatsachen entspricht.
Konkret ist augenblicklich einiges im Bereich des anderen Ermittlungsstrangs in Bewegung gekommen: in diesen Tagen hagelte es von jetzt auf gleich nur noch ACIPs (Avvisi di chiusura indagini preliminari - Mitteilungen über den Abschluss von Ermittlungsverfahren). Im Büro des Genoa Legal Forum liefen deswegen die Telefone und Faxgeräte heiÃ. Vielfach handelt es sich um fälle, die bisher nicht bekannt waren, es geht immer wieder um Sachbeschädigung und um schweren Widerstand, meistens in Zusammenhang mit Situationen, die sich in kleineren SeitenStrassen am Rande der größeren Zwischenfälle ereignet haben. Dass es mit solchen fällen losgeht ist unter Umständen nicht verwunderlich: die Verjährungsfrist ist hier entschieden kürzer als es bei "VerwÃŒstung und Plünderung" der Fall ist.. Wie die Zeitung Il Manifesto berichtete, sind momentan zwanzig Personen betroffen, deren Zahl aber rasant ansteigen dürfte, wenn die StaatsanwÀlte wirklich zur Sache gehen. Die Zahl 190 (auch hier "plus x"?) ist eine zunächst durch nichts bestätigte schätzung, die sich an der Zahl der damals in den Strassen verhafteten Menschen abzüglich derjenigen, die bereits freigesprochen oder vor Gericht gestellt wurden orientiert. Allerdings geriet mancher auch ohne damals verhaftet worden zu sein ins Visier der Justiz. Eine zutreffende Einschätzung der Zahl der Betroffenen wird dadurch also noch schwieriger.
Was auch immer die nächsten Wochen bringen werden, wird das Ganze grundsätzlich noch einer viel genaueren Einschätzung bedürfen. Das wird gar nicht so einfach, weil es sich dieses Mal zumindest im Bereich der fälle aus dem Ermittlungsstrang "Fatti di Piazza" um zig Einzelverfahren handeln wird und nicht um ein Paket wie es im Prozess gegen die 25 der Fall ist und weil es um viele Situationen geht, die eventuell von Grund auf neu rekonstruiert werden müssen. Einziger Trostpflaster ist, dass in einigen fällen die Möglichkeit, dass es zu Verfahrenseinstellungen kommt, nicht ganz ausgeschlossen ist. Wie es weiter geht, wird sich zeigen. Sofern ACIP-Bescheide einteffen müssen dann zuerst die 20-Tage-Fristen verstreichen, während denen die Betroffenen gegebenenfalls reagieren bzw. Stellung nehmen können, dann wird es zu x Einzelvorverhandlungen kommen und das kurz vor dem Sommerloch. Was die 50 plus x erwartet, denen eher ein Prozess wegen VerwÃŒstung und Plünderung droht, bleibt vorerst völlig unklar, weil es hier noch keine einschlÀgigen Bescheide gab. Es profiliert sich daher auf beiden Ebenen mal wieder langes Warten und viel stop and go, bevor klar wird, in wie vielen fällen genau es zu Gerichtsverfahren wegen was kommen wird. Von den Betroffenen weiss bzw. bekommt jedenfalls noch jeder Einzelne durch den ACIP Bescheid.