Hunderte abgeschobene AfrikanerInnen sitzen mitten in der Wüste fest, Spanien schiebt ein weiteres "Flüchtlingsboot" ab.
Flüchtlinge versuchen seit Tagen die Grenzzäune der spanischen Städte Melilla und Ceuta in Marokko zu überwinden. Beim Sturm Donnerstagfrüh verloren mindestens sechs Immigranten ihr Leben. Sie wurden erschossen. Nur einem Flüchtling gelang der Durchbruch.
Garaldón befindet sich mit seinem Team in der Nähe des Dorfes El-Aouina-Souafar, zwischen der marokkanischen Stadt Bouadane und dem algerischen Bechar, 600 Menschen sitzen dort fest. "Viele der Immigranten sind schwer verletzt. Auch hochschwangere Frauen und Kinder befinden sich darunter. Sie sind alle in einem sehr schlechten Zustand", erklärte Garaldón gestern per Mobiltelefon. Die Menschen wüssten nicht, wo sie seien, hätten keine Nahrung und kein Wasser. Die nächste Oase ist mehr als einen Tagesmarsch entfernt.
Sie wurden in den grenznahen Wäldern rund um Melilla und Ceuta verhaftet und in Lkw und Bussen in den Süden verfrachtet. Marokkos Exekutive geht mit Härte gegen sie vor. Jeder vierte Flüchtling, der sich in den vergangenen zwei Jahren von Ärzte ohne Grenzen in Marokko behandeln ließ, war von Gewaltakten gezeichnet.
"Die Schwarzafrikaner werden nicht wie Menschen behandelt, sondern wie Objekte", beschwert sich der Präsident der marokkanischen Menschenrechtsvereinigung, Amin Hamid. Die Reise an die algerische Grenze dauert bis zu zehn Stunden. Die Betroffenen sind dabei oft mit Handschellen gefesselt.
Es gibt kein Wasser, keine Nahrung und keine Pausen. "An der algerischen Grenze sind mehrere der Abgeschobenen gestorben", erklärt Hamid. Er wird immer wieder von verzweifelten Abgeschobenen per Handy angerufen: "Je nach Quelle sollen in den letzten Wochen acht bis 24 Personen in der Wüste den Tod gefunden haben."
Trotz der offensichtlichen Missachtung der elementarsten Menschenrechte der Flüchtlinge hat Spanien am späten Donnerstagabend erstmals ein 73 Mann starkes Flüchtlingskontingent abgeschoben. Die Flüchtlinge wurden von Melilla über das Mittelmeer nach Malaga in Spanien geflogen. Von dort wurden sie auf dem Seeweg zurück nach Afrika in die marokkanische Hafenstadt Tanger verfrachtet. "Ich habe keinen Zweifel daran, dass sie früher oder später hier in der Wüste enden", erklärt Garaldón.
"Wir sind sehr besorgt darüber, dass Immigranten abgeschoben werden, die gerade erst angekommen sind", erklärt die Sprecherin des UN-Flüchtlingskommissariats in Madrid, Francesca Fontanini. "Sie haben nicht einmal Zeit, einen Asylantrag zu stellen." Viele Schwarzafrikaner würden Gefahr laufen, in ihrer Heimat misshandelt zu werden, erklärt Fontanini. Normalerweise sieht das spanische Gesetz einen 40-tägigen Abschiebeprozess vor. Mit den Blitzaktionen werde ihnen jede rechtliche Möglichkeit genommen.
Von Reiner Wandler aus Melilla
DER STANDARD, Printausgabe, 08./09.10.2005