Ca. 450 Personen demonstrierten am 5. und 6. November 2005 in Ceuta gegen die Abschottungspolitik der EU und wollen das noborder-Netzwerk ausbauen. Ein ausführlicher Bericht über die "Karawane gegen den Zaun - Kein Mensch ist illegal".
"Dass Menschen an den Grenzen sterben ist leider nichts Neues (...), auch nicht die illegalen Abschiebungen in die Wüste von Argelia oder Drittländer", neu ist das Bekanntwerden einer Organisierung von Flüchtlingen gegen die Grenzen Europas ...
... und die Sensibilisierung für diesen Kampf und die Scham über die rassistische Europapolitik der Ausbeutung von der die weißen EuropäerInnen profitieren auf Kosten eben dieser Toten, Verletzten und entrechteten KämpferInnen an den Grenzen.
Freitag, 4. Nov 2005:
Anreise und Vorbereitungstreffen
Die Anreise der immerhin ca. 450 DemonstrantInnen nach Algeciras aus verschiedenen Städten Spaniens, Frankreichs und Italien verlief ohne Zwischenfälle. Am Freitagabend gab es noch ein gemeinsames Vorbereitunggstreffen in Malaga, in dem die Lage in Ceuta vom legal team beschrieben wurde.
Ceuta (60 000 EinwohnerInnen): Ein großer Teil der spanischen MigrantInnen sind in der 400-jährigen Geschichte dieser hochmilitarisierten (50% des Territoriums ist Militärgebiet) spanisch besetzten Enklave in Afrika Angehörige des spanischen Heeres und deren Familien.
Die bürgerlichen Medien hetzten schon seit Wochen gegen die geplante Karawane und behaupteten, die Demonstration sei gegen die Unabhängigkeit Ceutas und eine Provokation gegenüber der Guardia Civil, die für Morde an der Grenze nach AugenzeugInnenberichten verantwortlich ist, dies aber nicht zugibt.
In Ceuta ansässige Mönche waren kürzlich wegen Schleusen angeklagt worden und auch keine andere Organisation vor Ort wollte sich öffentlich der Karawane anschließen - aus Angst vor steigender Repression die ihre Arbeit behindern könnte.
Demonstration gegen die europäische Migrationspolitik und Gedenken an die Mordopfer an der Grenze Europas
Der Marsch führte Samstag Abend vom Hafen Ceutas an den Grenzzaun, an dem in der Nacht vom 29. September mindestens zwei Menschen von der Guardia Civil (Spezial-Einheit der spanischen Militärpolizei, die permanent an der Grenze stationiert ist) und zwei Menschen vom marokkanischem Militär ermordet wurden.
Die erste Demonstration in der Geschichte von Ceuta verlief trotz einiger Pöbeleien spanischer MigrantInnen und massiven Einschüchterungsversuchen von Innenministerium und von RegierungsvertreterInnen von Ceuta den AnmelderInnen gegenüber friedlich.
Die lokale Polizei von Ceuta sicherte vor allem das Aufnahmelager CETI und war ansonsten nur vor dem Regierungsgebäude mit mehr Einsatzkräften vertreten. Die gesamte Demo begleiteten lediglich zwei bis drei Streifenwägen.
Bei einer Rede betonte ein Karawanesprecher, dass die schrecklichen Vorfälle der letzten Wochen und die Mauer der Schande kein Problem zwischen Spanien und Marokko seien, sondern in der Verantwortung der gesamten EU lägen. Ein spanischer Genosse erinnerte an den Sturz der Mauer in Deutschland und fragte, wann wir diese Mauer stürzen werden. Auf einem Schild stand "Für die reichen Fremden der Tourismus - für die armen der Faschismus." Ein anderer Spruch war "Wir alle sind ImmigrantInnen!" und immer wieder lief der Karawane-Hit :: "papeles para todos". Auf dem Weg zur Grenze am Strand neben der Straße war eine Gedenktafel angebracht, die einen der Toten aus der Anonymität holte: "Wegen dem tragischen Tod von Hassan ¡Würdevolle Gerechtigkeit! Die Familie leistet Widerstand (illegale Mauer)."
Zwischenkundgebung an der der EU-Außengrenze zu Marokko
Auf dem Weg wurden "Kein Mensch ist illegal" Slogans auf arabisch gesprüht.
An dem dreifachen Grenzzaun ist das Militär omnipräsent. Die Guardia Civil stoppte die Demo 100m von der Grenze entfernt und wurde von den Ankommenden als "Mörder!" beschimpft. Ein Sprecher forderte "den sofortigen Abzug des spanischen Heeres von den Grenzen von Ceuta und Meliila das sich im illegalen Einsatz gegen die Zivilbevölkerung befinde".
Gedenken an die Mordopfer am Grenzzaun
Eine nach Verhandlungen mit der Guardia Civil durchgelassene Delegation befestigte Blumen zum Gedenken an die Toten am Zaun und ein Transparent mit der Aufschrift: "Reißt den Zaun ein" Dieses Gedenken war unbefriedigend und hinterließ den schalen Geschmack der Erinnerung an die verlogene Empörung der UN über Menschenrechtsverletzung der letzten Wochen die nun wieder vergessen ist und deren politische Konsequenzen eine weitere Ausweitung und Aufrüstung der Grenzen sowie fortdauernde Abschiebungen in die Sahara sind.
Ortsansässige Kinder vermummten sich und erreichten durch Überklettern eines Zaunes die Reihe aus Guardia Civil. Sie liefen "¡Viva l@s inmigrantes!" schreiend und mit "Dignidad para todos"- und "Shame Wall"-Schildern in den Händen an den Grenzzaun. Daraufhin kam es zu einer kleinen Rangelei zwischen Polizei und DemonstrantInnen, bevor sich die Karawane Richtung Aufnahmelager CETI in Bewegung setzte.
Marsch zum temporären Aufnahmelager CETI an der westlichen Ortsgrenze von Ceuta
El "Centro de Estancia Temporal de Inmigrantes" (CETI) ist nach Angaben der Ceuta-Regierung vom 2. Nov 2005 mit 650 Personen überbelegt, nachdem mehr als 200 Personen, die die Grenzzäune überklettert hatten, hinzugekommen waren. Diese Überbelegung soll durch die Verbringung von MigrantInnen in Aufnahmelager (centros de acogida) bzw. Abschiebeknäste (centros de internamiento auf dem spanischen Festland) gelöst werden.
Die ca. 650 LagerinsassInnen wurden von der Polizei vor der Kontaktaufnahme mit den DemonstrantInnen, "die nur Ärger machen" gewarnt, kamen aber nach einer Weile zu Hunderten der Einladung in das eilig aufgebaute Camp direkt angrenzend an das Lager nach. Die herzliche Begrüßung und GastfreundInnenschaft der fast ausnahmslos männlichen MigrantInnen den KarawanistInnen gegenüber war überwältigend. Bis zum Einschluss der Menschen um 23:00 Uhr wurde ein rauschendes Fest mit spontanen Showeinlagen lokaler Live-Mc`s, SängerInnen und zwei Dancefloors gefeiert, das Allen viel Spaß bereitete.
Sonntag:
1. grosses Treffen mit ca. 250 VetreterInnen der MigrantInnen aus CETI am nächsten Vormittag:
Ein Karawanesprecher stellte auf Anfrage der MigrantInnen die Ziele der Karawane kurz vor. Hauptanliegen sei es Kontakt mit Ihnen - den wahren ProtagonistInnen dieses direkten Kampfes gegen die Grenzen Europas - aufzunehmen. Diese schnellorganisierte nur dreitägige Reise sei nur ein kleiner Schritt weiter in der Vernetzung und die Regierung solle wissen, dass die Situation in Ceuta beobachtet und dokumentiert werde. Es folgte die Frage wie die europäische Karawane den Kampf der MigrantInnen unterstützen könne.
Die eindringlich von vielen der MigrantInnenspecherInnen wiederholte Antwort war die Bitte, "bei der Beschaffung von Papieren zu helfen". Wir EuropäerInnen mit Papieren hätten die Macht für ihre Legalisierung zu kämpfen ohne die sie offiziell nicht existent und sehr gefährdet seien, ohne die sie entrechtet und an den Grenzen erschossen würden und ohne Würde wie Tiere behandelt würden; ohne die sie nicht nach Europa gelassen würden um zu arbeiten und ihre Familien zu Hause vor dem Verhungern zu bewahren.
Sie hätten eine "lange - oft schon zwei Jahre andauernde - Reise durch die Wüste" hinter sich. Sie müssten vor allem ihren hungernden und von Kriegen heimgesuchten Familien in Mali, Kamerun, Indien, Kambodscha etc. helfen und in Europa Arbeit finden und seien nicht gerne aus ihren Heimatländern geflohen. Es gäbe für sie keine Möglichkeit in ihre Länder zurückzukehren, denn sie würden dort politisch verfolgt, umgebracht oder ganz einfach verhungern, weil sie all ihren Besitz verkaufen mussten, um ihre Reise zu finanzieren.
Einer erinnerte an die Nacht des 29. September, in der er und 200 andere sich organisierten und gemeinsam die Zäune überkletterten, weil ihre Einschätzung war, dass es aufgrund der zunehmenden Militarisierung alleine nicht mehr möglich sei. Es sei reines Glück dass er lebe - er allein habe vier der Toten an der Grenze gesehen, zwei davon erschossen von der spanischen Guardia Civil. Viele seien verletzt in Ceuta und im Lager angekommen und hier hörten die Probleme nicht auf. Sie hätten weiter eine unsichere Zukunft, lebten wie im Gefängnis und weiterhin würden Menschen in die Wüste abgeschoben.
Ein anderer Redner wies darauf hin, dass die CETI-InsassInnen noch zu den Privilegierten gehörten, dass die "wahren Gefährdeten die Kameradinnen und Kameraden", teilweise nur zwei Kilometer weiter im Wald und in der Sahara an der Algerischen Grenze seien und sie nicht wüssten, wie viele weiterhin sterben. Der überschwängliche Dank an die Karawane für den Besuch war eher beschämend für die Angesprochenen, denn allen TeilnehmerInnen war bewusst, dass sie schon am Abend ohne Probleme die Passkontrollen passieren und in ihr sicheres Zuhause ohne Hunger zurückkehren würden und dies nur ein Anfang eines gemeinsamen Kampfes sein konnte.
Marsch zur Regierung von Ceuta, um Forderungen zu stellen.
Das Frauenplenum beschloss kurz vor Abmarsch die Demo durch eine Sicherheitskette rundherum für einen störungsfreien Verlauf ohne Schlägereien zu sorgen, da der weiße Pöbel in Ceuta gegenüber den DemonstrantInnen zunehmend aggressiver wurde. Besonders die Rufe: "Die erste, die zweite, die dritte Generation, alles sind wir Kinder der Migration" und "¿Wer putzt eure Toiletten? ¡Sin papeles!, ¿Wer kocht Euer Essen? ¡Sin papeles! (...)" provozierte viele weiße CeuterInnen und veranlasste sie zu wüsten Beschimpfungen.
Das Regierungsgebäude wurde von PolizistInnen beschützt, während draußen lautstarke Unmutsbekundungen stattfanden, die durch Schläge an die Absperrgitter begleitet wurden.
Delegation trifft sich mit Regierungsvertretern aus Ceuta um folgende Forderungen zu stellen.
1. Die öffentliche Zusicherung, niemanden aus Ceuta oder Mellila abzuschieben. (Von der ursprünglichen Forderung, alle CETI-BewohnerInnen zu legalisieren wurde abgesehen, da dies nicht in den Zustimmungsbereich der Regierung von Ceuta fällt, sondern in die der spanischen Regierung)
Die Antwort: Schweigen
2. Eine unabhängige Untersuchung der Vorfälle an der Grenze.
Die Antwort: Es seien keine spanischen Gesetze gebrochen worden, also auch keine Morde von spanischem Militär, deswegen bräuchte es keine Untersuchung.
Auch die weiteren folgenden Forderungen blieben bisher unbeantwortet:
3. Der sofortige Abzug des Heeres von der Grenze. Sein Gebrauch gegen die Zivilbevölkerung ist absolut illegal.
4. Sofortige Beendigung der aktuellen Migrationspolitik der EU basierend auf der Auslagerung der Grenzen. Ebenso die sofortige Beendigung des Prozesses, Lager in den Transitländern zu bauen und der Rückführung von MigrantInnen in Drittländer.
5. Sofortige Schließung der Abschiebegefängnisse und Legalisierung aller EinwanderInnen, die in spanischen und europäischen Gebiet leben.
6. Eine positive Bestätigung aller Anträge auf politisches Asyl, deren Annahme durch die ersten Morde in Ceuta und Melilla begründet ist und die Erfüllung der von den spanischen und marokkanischen Regierungen gegebenen Versprechen diesbezüglich.
Nach einer Pressekonferenz in der über das niederschmetternde Verhandlungsergebnis berichtet wurde, drängte die Zeit das Schiff zurück nach Algeciras zu erreichen, wo kostenlose Busse zur Rückreise warteten.
Blockade des Hafens wegen zwei Verhaftungen
Es kam zu zwei Blockaden am Hafen wegen der Verhaftung von zwei Marokkanern und der mündlich formulierten Weigerungvon ein paar der radikaleren DemonstrantInnen, die Pässe zu zeigen. Die schon eingestiegenen KarawanistInnen wollten daraufhin das Schiff wieder verlassen und wurden von Beamten der Guardia Civil und einem Schiffangestellten am Ausstieg gehindert, Daraufhin blockierten größtenteils Frauen die Tür bis alle bis auf die zwei verhafteten Nicht-EU-ler eingestiegen waren, deren Schicksal der Redaktion (sowohl von indynews, als auch von no-racism.net, Anm) leider nicht bekannt ist. Mit zweistündiger Verspätung erreichte die Karawane den Hafen von Algeciras und wurde von den dort auf das Schiff wartenden PassagierInnen unter Anderem als "Faschisten" beschimpft. Damit endete die viel zu kurze gemeinsame Reise der KarawanistInnen - bis zum nächsten Mal.
Es bleibt die Frage ob es sinnvoll war die unabhängige Untersuchung der Todesfälle von einer abhängigen Regierung zu fordern. Viel eher muss die durch internationalen Druck durchzusetzende Forderung lauten, eine unabhängige Untersuchungskommission aus VertreterInnen der noborder-Bewegung nicht an ihrer Arbeit zu behindern, denn helfen werden die Regierungen Europas dabei vermutlich nicht.
Dieser Artikel erschien zuerst am 10. Nov 2005 auf :: indynews.net und wurde hier leicht bearbeitet übernommen.