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[ 13. Apr 2006 ]

Proteste für ImmigrantInnenrechte in den USA

we are all immigrants

Die politischen Parteien in den USA demonstrieren wieder einmal ihre Unfähigkeit eine humane und faire Lösung für eines der dringendsten Themen Amerikas vorzuschlagen: Die Migrationsdebatte.

 

Eine Nation dessen Geschichte die von Immigration (der Privilegierten und der zwangsweisen Immigration im Rahmen des Sklavenhandels, aber auch eine Geschichte der Ausbeutung, Unterdrückung und des Mordens, Anm. no-racism.net) ist, lehnt sich auf gegen eine unfaire, diskriminierende Migrationspolitik. Legalisierung statt Kriminalisierung wird gefordert, eine vollständige Amnestie für die über 12 Mio. in den USA lebenden undokumentierten ArbeiterInnen.

Damit wird starke Kritik an den Gesetzesentwürfen geübt, die zur zeit zur Diskussion stehen (Sensenbrenner Act / HR 4437; Specter Bill). Die Vorlagen erklären illegalisierte ImmigrantInnen zu StraftäterInnen und kriminalisieren alle, die ihnen Hilfe und Unterstützung leisten. Geplant sind die verstärkte Militarisierung der US-Mexikanischen Grenze, der Bau eines 700 Meilen langen Zauns und der Ausbau von Internierungscamps.

Das als von manchen Politikern "Kompromiss" bezeichnete GastarbeiterInnen-Programm (McCain-Kennedy Bill) scheint sogar darauf abzuzielen, einen Status zweiter Klasse für illegalisierte ImmigrantInnen zu erhalten, indem diesen ein temporäres Arbeitsvisum bewilligt wird, ihnen gleichzeitig aber nicht volle BürgerInnenrechte zugestanden werden.

Dieses Verhalten legt die Vermutung nahe, dass die politischen MachthaberInnen nicht wirklich gewillt sind die unwürdigen Verhältnisse zu ändern. Dabei gibt es unzählige Gründe die undokumentierten ArbeiterInnen zu integrieren und ihnen einen Status zuzusprechen, der es ihnen ermöglicht ohne Not und Angst vor Abschiebung zu leben.

Die US-Wirtschaft ist auf ImmigrantInnen aufgebaut und profitiert von ihnen. Illegalisierte Menschen erledigen seit Jahren Arbeiten im niedrigen Lohnsektor zu Gehältern, die weit unter dem Mindestlohn liegen. Undokumentierte ArbeiterInnen sind bequeme und preiswerte ArbeitnehmerInnen, da sie auf legale Rechte verzichten müssen und keine politische Stimme haben, sie sind durch ihren prekären und illegalisierten Status politisch entmachtet.

Die landesweiten Proteste zeigen wie das Thema die Gemüter in den USA bewegt. Um nur einige der letzen Demos zu nennen: In Dallas gingen am Sonntag geschätzte 500.000 Menschen auf die Straße, in Washington knapp eine Million und in New York City marschierten am Montag Tausende von Menschen für die Rechte der ImmigrantInnen, für eine faire Gesetzgebung, die auf Legalisierung statt auf Kriminalisierung setzt (die Zahlen für New York variieren von 70.000-125.000).

Die Demonstrationen in New York zeigten wie eine effektive Einschüchterungspolitik funktioniert. Die überwältigende Präsenz von Polizei rund um den Broadway, doppelte Absperrungen an jeder Ecke um die City Hall herum und extreme Überwachung durch Scharfschützen unterdrückten jegliche Protestdynamik der Masse.

Es war zwar möglich den "designated rally space", das heißt den vorgesehen Block für die Proteste, zu verlassen, um dem Redemarathon von PolitikerInnen und GewerkschaftsführerInnen zu entkommen, jedoch wurde es extrem erschwert den Broadway in Richtung Demo zu erreichen. Die Polizei blockierte überall mehrfach die Zugänge und schickte die Leute auf den BürgerInnensteigen in verschiede Richtungen um den Veranstaltungsort herum, was es vielen Interessierten erschwerte sich spontan anzuschließen. Die kooptierten Gewerkschaften kooperierten mit der Polizei und halfen so die ProtestlerInnen zu spalten und radikalen Protest zu vermeiden.

Ebenso okkupiert und kanalisiert wurde konzeptuelle Kritik durch die Einbindung institutionalisierter Kräfte in die Kundgebungen - es schien wie eine Farce, PolitikerInnen des establishments wie Hillary Clinton und andere RepräsentantInnen parlamentarischer Opposition über ImmigrantInnenrechte sprechen zu hören, während viele community organizations und grassroot movements überhaupt nicht zu Wort kamen. Die ganze Veranstaltung wirkte wie eine gut geplante Fete, um die Massen zu beruhigen, konzessionswilligen Kräften mal wieder ein paar Brocken hinzuwerfen und radikale Stimmen und Forderungen zu ersticken.

Dabei hätte die in den unzähligen Reden viel gepriesene people's power die Absperrungen hundertmal überwinden und die Straßen besetzen können. Denn dass es möglich ist, hört man in diesen Tagen überall: 'Si, se puede'. Das Symbol für den Kampf von United Farmworkers (unter Führung von Cesar Chavez) für ihre Rechte in den USA, wurde zum erneuten Ausdruck von Wut und Unwillen, Entscheidungen von oben einfach so hinzunehmen. Leider wird wie immer zwischen eigenem Risiko und kollektivem Nutzem abgewogen, auch wenn die Grundforderung unumstritten ist: die vorgeschlagenen Gesetze sind unmoralisch und unmenschlich und natürlich muss der Sensenbrenner Act (oder auch HR 4437) weg. Aber kann das denn alles sein?

Etwas mehr inhaltliche Radikalität und deutlichere Positionen, insbesondere in dieser Debatte, würde den Protesten Stärke verleihen. Denn sollte es nicht vielmehr darum gehen, grundlegende Kritik zu üben, die die Migrationpolitik und deren Problematik in einem größeren Zusammenhang in Frage stellen? Das Problem im Moment scheint nicht zu sein, die Massen zu mobilisieren. Viel mehr wird es gerade jetzt versäumt, sowohl von der nationalen und internationalen Linken als auch von vielen ImmigrantInnenorganisationen, außer von ein paar grassroot movements, grundlegende Strukturen in den Focus zu rücken und anzuprangern. Es geht nämlich nicht nur um die 12 Millionen illegalisierten Menschen im Land, es geht konkret um die Ausgestaltung des neoliberalen Imperiums und um die Auswirkungen von Globalisierung auf die Migrationsthematik insgesamt.

Wo auf der einen Seite Freihandelszonen wie NAFTA und CAFTA propagiert werden und volle Flexibilität für Kapital ermöglicht wird, werden auf der anderen Seite die Barrieren für menschliche Mobilität immer unüberwindbarer gemacht. Das große liberale Prinzip der Freiheit scheint nur für große (transnationale) Unternehmen zu gelten. Diese beuten in Billiglohnfabriken ungestraft Menschen aus und zerstören die Umwelt. Um diese Machtverhältnisse nicht zu gefährden, sollen jetzt Zäune errichtet und die Militarisierung verstärkt werden. Die Grenze um die es geht, wurde in einem Okkupationskriege der USA gegen Mexiko in den 1840ern gezogen. Seit Jahren sterben an dieser Grenze Tausende von Menschen und die Maßnahmen werden immer härter, obwohl die Erfahrung zeigt, dass all dies die MigrantInnen nicht hat abschrecken lassen.

Die verstärkte Organisation privater rassistischer bewaffneter Gruppen wie den "Minutemen", wird unterstützt durch republikanische PolitikerInnen, die in christlich-militaristischem Wahn die Frage nationaler Sicherheit mit dem Kampf gegen ImmigrantInnen gleichsetzen. Die Bush-Regierung, die sich mit einem imperialistischen und enorm teuren Krieg im Irak verausgabt (selbst Joseph Stiglitz schätzt die Kosten auf 1-2 Billionen US Dollar = Deutsche Auslandsschuld), lockt junge ImmigrantInnen an die Front mit dem Versprechen, ihnen danach den Zugang zur StaatbürgerInnenschaft zu erleichtern (DREAM Act). Den daheim gebliebenen wird immer noch die Möglichkeit auf ein öffentliches Gesundheitssystem verwehrt, das mit einem Drittel der Ausgaben für den Irak Krieg für 75 Jahre finanziert werden könnte.

All diese Zusammenhänge machen deutlich, dass es um mehr gehen muss als um die ImmigrantInnen-Gesetze. Auf dem Protest in Manhattan am Montag war von einer linken Gegenhegemonie leider wenig zu spüren. Dabei ist es gerade umso wichtiger den großen Rahmen zu sehen, in den die Migrationsdebatte eingebettet ist. Die aktuelle Problematik ist Folge und Ausdruck der unmenschlichen Politik eines globalen kapitalistischen Empires. Dass es für den einzelnen immer schwieriger wird die Kausalitäten und Beziehungen zu erkennen, macht es für eine aktive linke Politik, die die globale neoliberale Hegemonie herausfordert, nicht einfach. Aber genau deshalb muss die amerikanische Linke verstärkt ihre grundsätzliche und gründliche Kritik an der neoliberalen Globalisierung und an der amerikanischen Außen- und Innenpolitik mit der aktuellen Debatte verbinden. Sie muss laut und deutlich politischen Raum besetzen und Alternativen propagieren. Si, se puede!



Dieser Artikel von Sarah Hackfort erschien am 12. Apr 2006 :: auf de.indymedia.org und wurde von no-racism.net leicht bearbeitet übernommen.