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[ 19. Apr 2006 ]

100 Tage Asyl- & Fremdengesetz: Kritik und eine verschwundene Ministerin

Verschiedenste Verstösse gegen die Menschenrechtskonvention werden von Diakonie, NGOs und Grünen kritisiert, die Innenministerin gibt dazu keine Stellungnahme ab.

 

Eine ernüchternde Bilanz über die ersten 100 Tage des neuen Asyl- und Fremdengesetzes hat der Direktor der evangelischen Diakonie, Michael Chalupka, gezogen. "Immer mehr Menschen, die sich zu uns flüchten, lernen Österreich nur mehr als Schubhaftgefängnis kennen", kritisierte er vehement in einer Pressekonferenz. Das Gesetz schaffe "zu viel Leid und zu viel Verzweiflung". Deshalb müssten der praktische Vollzug des Asylgesetzes sofort geändert und die sozialen Härten des Gesetzes so schnell als möglich entfernt werden.

Das neue Fremdenrechtspaket ist in Österreich seit 1. Jänner 2006 in Kraft. Seitdem seien die Häftlingszahlen um ein Drittel gestiegen, die Schubhaft könne um bis zu zehn Monate verlängert werden, kritisierte Chalupka, der "schnelle und faire Asylverfahren" einforderte. Das Gesetz verstoße zudem gegen die europäische Menschenrechtskonvention.

Im Jahr 2005 wurden laut vorläufigen Zahlen des Innenministeriums 22.471 Asylanträge gestellt. Davon anerkannt wurden 4.552 Fälle, zum überwiegenden Teil aus Tschetschenien und aus dem Kosovo. Besonders bei vier Themenbereichen seien laut dem Diakonie-Flüchtlingsdienst durch das neue Fremdenrechtspaket menschenrechtlich bedenkliche Praktiken aufgetreten.

Aufgefallen ist laut Chalupka, dass Männer "grundsätzlich" in Schubhaft genommen werden. Familienväter würden dadurch von ihrer Familie getrennt. Dramatisch sei auch, dass Anträge auf Familienzusammenführung nur noch bei den zuständigen Vertretungsbehörden gestellt werden können, wodurch "enorme Wegstrecken" entstünden. Traumatisierte und kranke Personen würden zudem, sollte ein anderes EU-Land auf Grund des "Dubliner Abkommens" zuständig sein, dorthin abgeschoben. Weiters könnten Ehepartner von Österreichern leichter abgeschoben werden.

Der Diakonie-Direktor forderte deshalb konkrete Änderungen des Asyl- und Fremdengesetzes, um der "Unmenschlichkeit", die hinter dem Gesetz stecke, einen Riegel vorzuschieben. So sei die Schubhaft kein Platz für Asylwerber, auch "Dublin-Fälle" könnten in Pensionen oder Heimen untergebracht werden anstatt in Gefängnissen. Bei Eheschließungen solle eine Übergangsfrist eingebaut werden, Anträge auf Familienzusammenführung sollten auch postalisch eingereicht werden können. Auch ein Asylgerichtshof würde laut Chalupka Verbesserungen bringen.

Dem Diakonie-Direktor zufolge liegt "vieles auf dem Tisch, was Verbesserungen bringen" könnte. All das sollte in Gesetze eingebracht werden, daran könnten sich "die Parteien messen".

Scharfe Kritik an Innenministerin Liese Prokop und dem Asyl- und Fremdengesetz hat die Menschenrechtssprecherin der Grünen, Terezija Stoisits, geübt. Die Auswirkungen seien verheerend, so Stoisits. Auch die "asylkoordination österreich" äußerte sich besorgt über Folgen des neuen Fremdenrechtspaketes.

Prokop sei "auf Tauchstation". Ihr Pressesprecher Johannes Rauch dafür "offenbar zum Staatssekretär für Schubhaft und Abschiebungen avanciert", erklärte Stoisits in einer Aussendung. Das von ÖVP, SPÖ und BZÖ-FPÖ beschlossene Fremdenpaket habe menschenverachtende Folgen, "die für niemanden überraschend sein können, da sie mit voller Absicht durchgesetzt wurden". "Prokop ist augenscheinlich nicht im Stande, diesen verheerenden Auswirkungen mit Argumenten zu begegnen, weshalb sie gleich gar nicht mehr in Erscheinung tritt", so Stoisits.

Anny Knapp, Obfrau der "asylkoordination österreich", kritisierte vor allem, dass die verschärften asylrechtlichen Regelungen "zu einer dramatischen Zunahme von Flüchtlingen in der Schubhaft geführt" haben. Während der ersten drei Monate des heurigen Jahres seien 806 Asylwerber in Schubhaft genommen worden. Während des gesamten Jahres 2005 seien hingegen "nur" 662 Asylsuchende in Polizeigewahrsam gewesen, so Knapp. Menschenrechte würden bedenkenlos außer Kraft gesetzt, die österreichische Praxis ließe sich auch nicht mit der geltenden EU-Richtlinie vereinbaren.

Innenministerium sieht sich auf richtigem Weg
Mit dem neuen Fremdenrechtspaket habe man den "richtigen Weg" eingeschlagen. So hat Prokop-Sprecherin Johannes Rauch Bilanz über die ersten 100 Tage gezogen und damit die Kritik der Diakonie zurückgewiesen. Die Hilfsbedürftigen würden "raschere" Hilfe bekommen, keinen Pardon gebe es hingegen für jene, die Missbrauch betreiben wollen, erklärte Rauch gegenüber der APA. Zudem habe es seit Inkrafttreten des Gesetzes um 20 Prozent weniger Asylanträge gegeben.

Angesprochen auf den Anstieg der Schubhäftlinge um ein Drittel der Fälle verwies Rauch darauf, dass einerseits die beschleunigten Verfahren für kriminelle Asylwerber und andererseits die Anwendung des "Dublin-Verfahrens" für diese Entwicklung ausschlaggebend sind. Das "Dublin-Verfahren" bedeutet, dass Flüchtlinge, für die ein anderer EU-Staat zuständig ist, in Schubhaft kommen, bis sie in das EU-Land, aus dem sie eingereist sind, zurückgeschickt werden. Zu dem Vorwurf, dass das Fremdenrechtspaket gegen die europäische Menschenrechtskonvention verstoße, meinte Rauch, dass das Gesetz sehr wohl der Verfassung und den Menschenrechten entspreche.

Quelle: APA