Am 29. und 30. November 2006 protestierten die BewohnerInnen des Flüchtlingslagers Bramsche-Hesepe (Außenstelle der ZAAB Oldenburg, Deutschland) mit Demonstrationen und Blockade gegen ihre Lagerunterbringung. Dieser Protest ist exemplarisch für den Widerstand gegen die Lagerpolitik insgesamt.
Kantinenstreik in Bramsche-Hesepe
Am 21. November 2006 sind die Flüchtlinge im Abschiebelager Bramsche-Hesepe in einen unbefristeten Kantinenstreik getreten, nachdem es bereits in der Vorwoche einen ersten Warnstreik gegeben hatte.
Der größte Wunsch der Flüchtlinge ist, in eigenen Wohnungen leben zu können, mit einem Alltag, wie ihn alle Menschen in diesem Land haben. Zumindest aber müssen die Bedingungen im Lager verbessert werden. Die Menschen im Lager haben nicht die Möglichkeit, sich selbst eine Nahrung zuzubereiten und sind auf das Kantineessen angewiesen. Sie genießen keine ausreichende mediziniesche Versorgung und haben nicht das Recht auf freie Wahl einer Ärztin/eines Arztes. Sie fordern angemessene medizinische Versorgung. Die Schulsituation für die Kinder ist unzufriedenstellend, weshalb auch eine Schließung der Lagerschule gefordert wird. (:: mehr dazu in der Presseerklärung weiter unten)
Ein Problem der Streikenden ist, dass sie nur wenig Unterstützung erhalten. Deshalb sah es eigentlich bereits danach aus, dass der Streik abgebrochen werden müsste. Doch wider Erwarten einiger AktivistInnen wurde am 26. November beschlossen, den Streik in Bramsche fortzusetzen. Laut Berichten ist die Streiklust im Lager unvermindert groß - die Leute haben die Nase gestrichen voll und wollen, dass sich etwas ändert.
Neben dem Boykott gibt weitere Proteste. Am 25. November fand eine Demonstration ca. 70 Flüchtlinge und 30 UnterstützerInenn in Osnabrück statt. (:: Bericht)
Am 29. November gab es in Hesepe eine Spontandemonstration von ca. 40 BewohnerInnen des Flüchtlingslagers.
In der darauffolgenden Nacht wurde der das Lager umgebende Zaun an mehreren Stellen beschädigt und gut 60 Meter Zaun unbrauchbar gemacht (:: Fotos).
Am Donnerstag, den 30. November 2006 gegen 15 Uhr, blockierten Flüchtlinge und NoLager-AktivistInnen für ca. 1,5 Stunden das Haupttor der Einrichtung
Flüchtlingsstreik in Blankenburg
Wichtig ist zu erwähnen, dass das Lager in Bramsche formell eine Außenstelle des Lages Blankenburg ist. In beiden Lagern leben offiziell ca. 500 Flüchtlinge.
Und auch im sieben Kilometer von Oldenburg entfernten Ein- und Ausreiselager Blankenburg gibt es Proteste. Vom 4. bis zum 31. Oktober befanden sich dort die Flüchtlinge im Streik. Konkret heißt das: Sowohl das Kantinenessen als auch die 1 Euro-Jobs wurden boykottiert. Die Streikenden fordern stattdessen die Auszahlung von Bargeld und das Recht, ihre Nahrung selbstbestimmt zubereiten zu können. Darüber hinaus wird eine angemessene und hiesigen Standards angepasste Gesundheitsversorgung gefordert. Grundsätzlich machen sich die BewohnerInnen für eine dezentrale Unterbringung in eigenen Wohnungen nach spätestens 3 Monaten stark. Die meißten BewohnerInnen leben bereits seit über einem Jahr, viele 2 Jahre und länger in Blankenburg.
An dem Streik waren ca. 200 Menschen beteiligt, d.h. nahezu alle Flüchtlinge, die permanent im Lager leben. Auf einer Vollversammlung der BewohnerInnen der ZAAB Blankenburg und ihrer UnterstützerInnen wurde schließlich beschlossen, den Streik vorerst auszusetzen. Doch sei noch mal in in Erinnerung gerufen, dass mit dem Streik in Blankenburg bereits einiges in Bewegung gesetzt wurde: Von grundsätzlicher Gesprächsbereitschaft einiger der politisch bzw. administrativ Verantwortlichen über die Resolution des Oldenburg Stadtrats (:: siehe unten), bis hin zu konkreten Verbesserungen für einzelne Flüchtlinge. Vor diesem Hintergrund scheint auch der Streik in Bramsche (wo es bereits in der ersten Jahreshälfte 2006 viele Proteste gab) politisch doppelt bedeutsam zu sein. Denn letztlich wird dadurch einmal mehr Druck auf das Spezifikum "Niedersächsisches Lagersystem" ausgeübt.
Lagerpolitik
In Niedersachsen wird seit 2000 eine Politik betrieben, in der Flüchtlinge möglichst nur noch in Lagern leben sollen. So wurde seit dem die Umverteilung in dezentrale Wohnheime und Wohnungen weitgehend eingeschränkt. Umverteilungen finden seitdem hauptsächlich zwischen den drei großen Lagern statt, diese sind ZAAB Braunschweig, ZAAB Oldenburg und das Lager Bramsche Hesepe. Von der ZAAB Oldenburg aus werden die Flüchtlinge in das Außenlager Bramsche Hesepe verlegt. Das Lager Bramsche Hesepe ist ein Modellprojekt. Im neuen Zuwanderungsgesetz werden solche Lager zynischerweise als "Ausreisezentren" bezeichnet. Sprachlich korrekter kann man solche Lager nach ihrer Zweckbestimmung als Abschiebelager bezeichnen. Offiziell werden dort Flüchtlinge eingewiesen, deren Antrag auf Asyl seitens der Behördeneinschätzung nur geringe Aussichten auf Erfolg hat. Bei 0,9 % Anerkennungsquote für AsylbewerberInnen im Jahr 2005 kann das praktisch jeder sein. Das Lager hat die Aufgabe Druck auf die Menschen auszuüben, damit sie möglichst schnell freiwillig in ihr Herkunftsland ausreisen. Nach der offiziellen Darstellung soll Flüchtlingen geholfen werden "freiwillig auszureisen". Die Methoden aus Bramsche werden aber auch zunehmend in der ZAAB Oldenburg und Braunschweig angewandt.
Diese Politik der Fluchtabwehr bedeutet für die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge, dass sie lediglich in der Zeit bis zur Entscheidung ihres Asylantrages berechtigt sind, in Deutschland zu leben und dieses Leben soll ihnen so schwer wie möglich gemacht werden. Der Innenminister Schünemann wendet sich dezidiert gegen die dezentrale Umverteilung in die Gemeinden, obwohl die Kosten für die Unterbringung im Lager ungefähr das Dreifache verschlingen. Das Innenministerium begründet diese Mehrkosten ganz offen mit dem Argument, dass dafür in der Zukunft die Folgekosten sinken werden, weil die Ausreise der Flüchtlinge in den Lagern besser erzwungen werden kann. Folge dieser Politik ist nicht nur, dass die Ausreisezahlen steigen, sondern auch, dass viele Flüchtlinge in die Illegalität getrieben und damit kriminalisiert werden.
Eine Integration der Flüchtlinge in die Gesellschaft ist nicht vorgesehen, sondern die Lagerpolitik hat das erklärte Ziel Menschen zu isolieren und einen verfestigten Aufenthaltsstatus zu verhindern. Schünemann erklärt dazu: "(Es) müsse eine faktische Verfestigung des Aufenthaltes der weit überwiegenden Zahl der Betroffenen verhindert werden. Dies könne am besten in einer zentralen Landeseinrichtung erreicht werden."
Offizielles Umdenken?
Doch nicht alle PolitikerInnen sind dieser Meinung. Zumindest gab es bereits erste interessante Reaktionen auf die Proteste. Am 20. November 2006 hat der Rat der Stadt Oldenburg einstimmig (!) eine Resolution zu den Protesten Ein- und Ausreiselager Blankenburg angenommen. In der Resolution heißt es unter anderem: "Die niedersächsische Landesregierung wird aufgefordert, die vorgebrachten Kritikpunkte der BewohnerInnen und Bewohner der ZAAB Blankenburg ernsthaft und intensiv zu prüfen und Lösungsvorschläge zu entwickeln. Vor allem die zentrale Unterbringung muss überdacht werden und als Alternative eine dezentrale Unterbringung geprüft werden. Auch das bürokratische Wertgutscheinsystem sollte abgeschafft werden." Erstaunlich an diesen Formulierungen ist insbesondere, dass sie selbst von der CDU unterstützt werden, stellt sich diese doch hierdurch ausdrücklich gegen die Landes-CDU und deren Innenminister Schünemann.
Was aus der Resolution konkret wird, bleibt abzuwarten. Klar ist nur, dass es neben weiteren Aktionen auch Gespräche mit den Parteien, Kirchen, Wohlfahrtsverbänden etc. geben soll - nicht zuletzt im Anschluss an die Resolution.
Jedenfalls kann durchaus behauptet werden, dass es bei den Streiks in Blankenburg und Bramsche um nicht weniger als die (Niedersächsische) Lagerpolitik insgesamt geht!
Presseerklärung vom 21. November 2006 zum Beginn des "Kantinenboykott im Flüchtlingslager Bramsche-Hesepe - Flüchtlinge fordern humane Unterbringung"
Bewohner und BewohnerInnen des Flüchtlingslagers (ZAAB) Bramsche-Hesepe treten seit heute einen unbefristeten Boykott des Kantinenessens an. Sie schließen sich damit den Forderungen an, die während des Streiks der Flüchtlinge in der ZAAB Oldenburg erhoben wurden und verweisen darauf, dass Bramsche eine Außenstelle der ZAAB Oldenburg ist. Mit dem Boykott in Bramsche-Hesepe fordern die Flüchtlinge, dass die Außenstelle in die Gespräche, die nach dem Streik in Oldenburg angekündigt wurden, mit einbezogen wird. Zumal sich die Lebensbedingungen in beiden Lagern sehr ähnlich sind.
Für Bramsche kommt hinzu, dass hier auch Kinder leben müssen, wodurch sich die Situation, was die Ernährung durch das Kantinenessen angeht, noch einmal erschwert. Als Eltern fühlen sich die Flüchtlinge dafür verantwortlich, dass ihre Kinder gesund aufwachsen. Das betrifft auch die Schwierigkeiten bei der medizinischen Versorgung. Flüchtlinge haben nicht das Recht auf freie Arztwahl und ärztliche Verordnungen werden häufig von der Sozialstation verweigert.
Zudem weisen die BewohnerInnen darauf hin, dass die schulische Versorgung für die Kinder unbefriedigend ist. Sie klagen immer wieder darüber, dass sie in der lagereigenen Schule nicht richtig lernen können. Bei Krankheit eines Lehrers fällt der Unterricht ganz aus.
Für die Familien ist die Wohnsituation insgesamt schwierig. Fünf- bis sechsköpfige Familien müssen sich einen gemeinsamen Raum teilen. Die Eltern haben keinen Raum für eine Privatsphäre und auch für Jugendliche und Heranwachsende ergeben sich große Probleme, wenn sie keinen getrennten Raum für sich zur Verfügung haben.
Am Mittwoch, den 8. November, wurde in dem Lager ein Warnstreik durchgeführt, um diese Zusammenhänge deutlich zu machen. Mit dem heutigen Tag treten die Flüchtlinge in einen unbefristeten Streik, was bedeutet, dass sie nicht mehr in der Kantine essen werden. Mit diesem Streik soll erreicht werden, dass Gespräche mit den Verantwortlichen über die Lebensbedingungen im Lager stattfinden. Der größte Wunsch der Flüchtlinge ist, in eigenen Wohnungen leben zu können, mit einem Alltag, wie ihn alle Menschen in diesem Land haben. Zumindest aber müssen die Bedingungen in dem Lager verbessert werden.
Bereits im März dieses Jahres haben die BewohnerInnen des Lagers einen Brief dem Innenministerium und Vertretern und Vertreterinnen des Landtages überbracht. Es sind dem weder Gespräche oder Taten gefolgt, die die Situation geändert hätten.
Forderungen:
- ernsthafte Gespräche, in denen es nicht nur um Rechtfertigungen geht, sondern darum, dass die in dem Lager zwangsuntergebrachten Menschen im Rahmen der Möglichkeiten menschenwürdig leben wollen
- Schließung der Kantine, stattdessen die selbstständige Versorgung mit Lebensmitteln und die Möglichkeit, Essen selbst zuzubereiten
- Schließung der Lagerschule, stattdessen der Besuch aller Kinder von Regelschulen mit entsprechenden sinnvollen Förderprogrammen
- angemessene medizinische Versorgung, was bedeutet: freie Arztwahl, Gewährung von medizinischen Leistungen, die ärztlicherseits verordnet werden
Quellen: :: de.indymedia.org zur Entzäunung und Torblockade und :: zum Streik in Bramsche-Hesepe und :: Streikionfos zu Bramsche und Blankenburg, :: nolager.de Streikinfo zu Bramsche, :: alhambra.de/nolager zur Lagerpolitik