Am 7. Jänner 2005 verbrannte Oury Jalloh - an Händen und Füßen gefesselt - in einer Polizeizelle. Am 27. März 2007 begann der Prozess gegen Andreas S. und Hans-Ulrich M. wegen "Körperverletzung mit Todesfolge" bzw. "fahrlässiger Tötung". Die Angeklagten wiesen die Vorwürfe im Wesentlichen zurück. Begleitend zum Prozess kommt es zu Protesten.
Die Anklage
Herr Andreas S. (46) und Herr Hans-Ulrich M. (44) klagt die Staatsanwaltschaft Dessau seit dem 27. März vor der 6. Strafkammer des Landgerichts Dessau zu folgenden Straftatbeständen an:
- Andreas S. wird gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen. Er soll die Tat durch ein Unterlassen begangen haben.
- Hans-Ulrich M. wird fahrlässige Tötung vorgeworfen.
Zu Andreas S.:
Dessau, 7. Januar 2005, Polizeirevier. Gegen 12.00 Uhr soll in Jallohs Gewahrsamszelle eine Feuer ausgebrochen sein und der Rauchmelder soll in weniger als 1 Minute nach Ausbruch des Feuers erstmals akustischen Alram gegeben haben. Andreas S. soll diesen weggedrückt haben. Etwa 10 Sekunden später: Die Rauchmeldeanlage soll zum zweiten mal akustischen Alarm geschlagen haben. Der Angeschuldigte S. soll wiederum den Aus-Knopf gedrückt haben. Etwa 2 Minuten und 21 Sekunden später: Der Rauchmelder der Lüfteranlage soll nun erstmals akustischen Alarm gegeben haben. Sodann soll die Polizeibeamtin Beate H., ebenfalls anwesend im Dienstzimmer von Andreas S., S. eindringlich aufgefordert haben, in Jallohs Zelle zu gehen. Erst jetzt soll sich der Angeklagte S. zum Gewahrsamstrakt im Polizeirevier begeben haben. Auf dem Wege zum Zellentrakt soll S. einen Kollegen aufgefordert haben, er solle ihn zum Gewahrsamstrakt begleiten. Weil der Kollege telefoniert haben soll, soll S. gewartet haben, bis er sein Telefonat beendet hätte.
Als die Beamten in Jallohs Zelle ankamen, war das Betreten der inzwischen völlig verqualmten Zelle nicht mehr möglich, um das Leben von Oury Jalloh zu retten, so die Staatsanwaltschaft zum Prozessauftakt am 27. März 2007.
Oury Jalloh soll 6 Minuten nach Ausbruch des Feuers infolge eines Hitzeschocks gestorben sein.
Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft soll es Andreas S. möglich gewesen sein, bei sofortiger Reaktion auf den ersten Brandalarm die Zelle von Oury Jalloh deutlich vor 2 Minuten nach Ausbruch des Feuers erreichen zu können. Andreas S. hätte das Feuer mit einem Feuerlöscher bekämpfen können und somit das Leben von Oury Jalloh retten können, so die Aklagebehörde weiter.
Zu Hans Ulrich M.:
Dessau, 7. Januar 2005, Polizeirevier. Hans-Ulrich M. soll arbeitsteilig für die Durchsuchung nach gefährlichen Gegenständen am Unterleib von Oury Jalloh zuständig gewesen sein. Der Angeschuldigte M. soll im Rahmen der Durchsuchung von Jalloh ein Feuerzeug übersehen haben, an welches Jalloh trotz Fesselung gelangt sein soll. Mit dem Feuerzeug soll Jalloh die Matratze, auf der er lag, in Brand gesetzt haben. An den Folgen des Feuers verstarb Oury Jalloh.
Bei gründlicher Durchsuchung soll es dem Polizeibeamten Hans-Ulrich M. möglich gewesen sein, das Feuerzeug bei Jalloh zu finden, so die Staatsanwaltschaft zum Prozessauftakt am 27. März 2007. Der Tod von Oury Jalloh wäre somit vermeidbar gewesen, so die Anklage weiter.
Zweifel an Aufklärung der Todesumstände
Für die "Initiative in Gedenken an Oury Jalloh" bestehen Zweifel, ob es zu einer vollständigen Aufklärung der Todesumstände und zu einem gerechten Urteil kommen wird. Dass vom Landgericht im Prozess die These der Staatsanwaltschaft unhinterfragt übernommen wurde, dass Oury Jalloh sich selbst angezündet hat, zeugt nicht vom Drang nach Aufklärung. Vor Gericht geht es nur darum, ob Hans-Ulrich M. ein - vielleicht gar nicht Oury Jalloh gehörendes - Feuerzeug hätte entdecken können und der Dienstgruppenleiter S. bei sofortigem Eingreifen seinen Tod hätte verhindern können.
Von Anfang an verlangten FreundInnen von Oury Jalloh und AktivistInnen die lückenlose Aufklärung des Falles. Gesprochen wird von rassistischen Motiven und Mord. Und vieles spricht für die Vermutungen. Doch vor Gericht werden die Motive der mutmaßlichen rassistischen Gewalttäter keine Rolle spielen. So stellte sich z.B. heraus, dass Oury Jalloh ein gebrochenes Nasenbein hatte, es wurde aber nicht geklärt, wie er dazu kam. Es kann durchaus sein, dass mehrere Polizisten, die unmittelbar mit den Tod Jallohs nie angeklagt werden. Welche Beweise vor Gericht zugelassen und für eine mögliche Verurteilung der nun Angeklagten relevant sein werden, wird sich im Laufe des Prozesses zeigen.
Prozessbeobachtung, Proteste und Links
Während der Prozesstage wird u.a. mit Mahnwachen (jeweils 08.00 - 20.00 Uhr vor dem Landgericht) an Oury Jalloh gedacht und eine vollständige Aufklärung des Todesfalles gefordert. Zahlreiche AktivistInnen aus verschiedenen Teilen Deutschlands sind nach Dessau gekommen, um sich an den Protesten und der Prozessbeobachtung zu beteiligen.
Der Prozess, der unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen stattfindet, wird u.a. von einer internationalen Delegation von RechtsanwältInnen, MenschenrechtsaktivistInnen und permanent mit Rassismus konfrontierten Menschen beobachtet. Neben Leuten aus Deutschland sich BeobachterInnen aus Großbritannien, Südafrika und anderen Ländern angereist. Die Mutter Oury Jallohs, Frau Diallo, ist als Nebenklägerin beim Prozess anwesend.
:: Berichte der einzelnen Prozesstage (Prozessbeobachtug Dessau)
:: Zusammenfassung der ersten vier Prozesstage
:: Berichte der internationalen ProzessbeobachterInnen (de/en/fr)
Der Prozess findet statt am:
Landgericht Dessau, Willy-Lohmann-Str. 29
Prozessbeginn: 9 Uhr täglich (Einlass Gerichtssaal: 8 Uhr)
Die Verhandlungen sind für 28.-30. März 2007, 19. und 20. April, 8. bis 11. Mai, 24. Mai, sowie 12.-22. Juni 2007 angesetzt. Möglicherweise wird es noch Folgetermine geben.
Die Termine im Detail: Di 27.3.07, Mi 28.3.07, Do 29.3.07, Fr 30.3.07, Do 19.4.07, Fr 20.4.07, Di 8.5.07, Mi 9.5.07, Do 10.5.07, Fr 11.5.07, Do 24.5.07, Di 12.6.07, Mi 13.6.07, Do 14.6.07, Fr 15.6.07, Mo 18.6.07, Di 19.6.07, Mi 20.6.07, Do 21.6.07, Fr 22.6.07., .... Mo 20.8.07, Di 21.8.07, Mi 22.8.07, Di 28.8.07, Do 30.8.07, Fr 7.09.07, Mo 1.10.07, Di 9.10.07, Mi 10.10.07, Do 11.10.07, Fr 12.10.07, Di 23.10.07, Mi 24.10.07, Do 25.10.07, Di 13.11.07, Mi 14.11.07, Do 15.11.07
Ursprünglich waren weniger Verhandlungen geplant. Möglicherweise wird es noch weitere Folgetermine geben.
Ausführliche Informationen zum Prozess plus Berichte von den einzelnen Prozesstagen und weitere Prozesstermine finden sich auf :: ouryjalloh.wordpress.com, :: thevoiceforum.org und :: oury-jalloh.so36.net.
VideoaktivistInnen von AK Kraak und Filmarche begleiten den Prozess. Bildberichte und Videos findet sich beim :: Umbruch Bildarchiv. Diese Seite wird regelmäßig mit aktuellen Videos aus Dessau aktualisiert.
Informationen zum Prozes - gesammelte Links:
:: Prozessbeobachtung Dessau
:: Umbruch Bildarchiv
:: Initiative Oury Jalloh, Halle - zahlreiche Hintergrund-, und Presseberichte, Fotos, Videos etc.
:: Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, Berlin
:: The Voice Refugee Forum
:: The Caravan - Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen
:: Plataforma der Flüchtlinge und MigrantInnen, Berlin
:: Audioberichte bei freie-radios.net
:: shango sound
:: Fels - Für eine linke Strömung
:: Informationen zu Oury Jalloh auf Wikipedia
:: de.indymedia.org - Thema Antirassismus
:: no-rascism.net zu Oury Jalloh
Weitere Links
:: Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt in Dessau
:: Flüchtlingsinitiative Brandenburg
:: Antirassistische Initiative Berlin
:: Pro Asyl - Presseaussendungen
:: Tod in der Zelle - Warum starb Oury Jalloh - WDR-Reportage (kostenloses Manuskript via E-mail an inland (at) wdr.de erhältlich)