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[ 30. Dec 2009 ]

Zur Situation der Barcelona 4F

4f - llibertad Alex, Juan, Rodrigo

Bericht von ABC Wien zum Prozess gegen die Gefangenen vom 4. Februar 2006 in Barcelona, bekannt als 4f Gefangene - Stand Anfang September 2009.

 

In den frühen Morgenstunden am 4. Feburar 2006 verließ eine Gruppe junger GenossInnen nach einer Party das Haus eines Freundes. Einige machten sich auf den Weg zur U-Bahn, andere schauten weiter zu einer anderen Party in der nahegelegenen Sant Pere Mes Baix Straße.

Als sie dort ankamen, sahen sie eine Gruppe von Leuten mit der Guardia Urbana (einer der vielen Polizeieinheiten in der Gegend) diskutieren, direkt vor dem 'Anarko Penya' Squat, wo die andere Party stattfand. Als die Gruppe sich den Leuten näherte, begannen die Bullen plötzlich und ohne Vorwarnung auf Anwesende einzuschlagen - und schon bald trafen weitere Repressionsorgane ein. Daraufhin versuchten viele zu fliehen, es gelang aber nicht der Prügelorgie zu entwischen. In dem ganzen Gemenge wurden auch Gegenstände von den Balkonen des Squats geworfen.

Nachdem das ganze Chaos vorüber war, waren sieben Personen inhaftiert und ein Bulle lag im Koma. Später wurden noch zwei weitere Personen in einem Krankenhaus verhaftet, die in der Nacht nicht einmal im Viertel waren, sondern von einem Radunfall Verletzungen hatten: als Vorwand diente ihr 'squatermäßiges' Outfit.

Alle neun Verhafteten wurden von zwei unterschiedlichen Polizeieinheiten misshandelt, zuerst auf der Strasse, dann in den Bullenwannen und später in der Polizeistation. Alle neun hatten zahlreiche Verletzungen, unter anderem hatten zwei Betroffene gebrochen Arme.

Am nächsten Morgen kam es zu einer offiziellen Pressekonferenz, bei der der BürgerInnenmeister von Barcelona, Joan Clos, eine Schilderung der Ereignisse der letzten Nacht brachte und angab, dass die Verletzungen des Bullen von einem Blumentopf, der aus dem Squat geworfen wurde, kamen. Sechzehn Stunden später wiedersprach die Polizei dieser Darstellung und gab an, dass die Verletzung von irgendeinem unbekannten fliegenden Gegenstand kam.

Am nächsten Tag hatte sich dann eine entgültige offizielle Version gefunden, nach der es die Leute in der Straße waren, und zwar genau jene, die gefangen genommen wurden, die die Bullen mit Steinen attackiert hätten. Die Leute in der Straße, da waren zu diesem Zeitpunkt nur mehr 3 Südamerikaner im Knast, alle Personen europäischer Herkunft waren schon längst auf Kaution freigekommen - gegen sie wurde nun lediglich wegen Widerstand gegen die Autorität ermittelt. Der Vorwurf den Bullen verletzt zu haben, und wie sich dann recht rasch für die offizielle Seite herausstellen sollte, nicht bloß verletzten sondern vorsetzlich zu Ermorden, wurde alleine gegen Juan, Rodrigo und Alex erhoben.

Um nochmals auf die Morgenstunden am 4. Februar zurückzukommen. Steine, als einzige Beweise, wurden in dem nahen Umfeld des Squats gesammelt, und wie der Einsatzleiter der Bullen später zugeben musste, völlig willkürlich. Auf den Steinen wurden auch keinerlei Fingerabdrücke, Blut oder ähnliches gefunden. Der 'Tatort' wurde auch nicht abgeriegelt, und als die Suchtrupps und Spürnasen der BullInnen ankamen, hatten sich schon längst die lokalen Reinigungskräfte der Stadt das Gebiet vorgeknöpft.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass es keine Beweise oder ähnliches gab, und daher lässt sich zurecht fragen, warum drei Menschen noch länger im Knast festhalten werden konnten. Kanz klar verbreiteten die BullInnen Lügen in ihren Darstellungen über den Vorfall, da sie die Zuständigkeit der Stadtregierung, die die Besitzerin des Squats war, vertuschen wollten. Und natürlich wäre auch die Stadtregierung zuständig, wenn der Bulle von einem Gegenstand vom Haus getroffen wäre, darum die Geschichte mit der Bulle wurde von einem Stein getroffen.

Ein anderer Faktor, warum Juan, Rodrigo und Alex weiter inhaftiert waren, lag im Faktor des 'Anarko Penya' Squats selbst. Der Name 'Anarko' soll nicht in die Irre führen, denn mit einem anarchistischen Squat hatte dieses Haus recht wenig oder eigentlich rein gar nichts zu tun. Das Haus wurde von zwei oder drei Menschen kontrolliert, die ständig riesige Rave/Teccno Parties veranstalteten um daraus persönlichen Profit zu schlagen. Der Squat hatte auch keinen Kontakt zur Politszene. Vermutlich aus diesem Grund hatte die Stadt auch immer ein blindes Auge wenn es um dieses Haus ging, und die ständigen Probleme nicht nur mit NachbarInnen in der Umgebung durch die riesigen Partys wurden ignoriert. Auf der anderen Seite bot sich aber nun die Möglichkeit, mit der Inhaftierung von Juan, Rodrigo und Alex ein Zeichen gegen den politischen Teil der SquaterInnenbewegung zu setzen.

Dabei spielte eine nicht unwesentlich Rolle, dass kurz vor dem 4. Februar 2006 eine Reihe von neuen Gesetzten erlassen wurde, mit denen nun verstärkt Jagd auf HausbesetzerInnen, SprayerInnen oder sonst nicht in das schicke Stadtbild passende Menschen gemacht werden konnte.

Den drei Inhaftierten stand nun ein Prozess wegen versuchten Mordes bevor. Nach spanischem Recht bedeutet dass, das in der Regel auf den Prozessbeginn selbst etwa 2 bis 4 Jahre gewartet werden muss. Draussen formierte sich Widerstand in vielen Ländern, es kam zu Kundgebungen und Demos. Um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, traten Juan, Rodrigo und Alex nach etwa einem Jahr für einen Monat in Hungerstreik. Und sie bleiben weiter im Knast.

Anfang 2008, nach 2 Jahren U-Haft, kam es zum Prozess. Wie bereits erwähnt, waren die drei GenossInnen angeklagt wegen versuchten Mordes. Der Prozess startete in Barcelona am Montag, dem 7. Jänner 2008, und war bis zum folgenden Freitag angesetzt. Anwesend waren unter anderem zahlreiche internationale BeobachterInnen, etwa Angehörige der chilenischen und argentinischen Botschaft oder Menschenrechtsorganisationen aus Argentinien. Die 4f UnterstützerInnen Gruppe war täglich anwesend mit etwa 15 Menschen.

Juan, Rodrigo und Alex wurde bereits im Vorfeld bekanntgeben, dass ihnen im Falle einer Verurteilung bis zu 11 Jahren Knast drohen würden sowie eine Zahlung von bis zu 500 000 Euro.

Am ersten Tag des Prozesses herrschte so großes Interesse, dass nicht einmal alle Interessierten sowie MedienvertreterInnen im Gerichtssaal Platz fanden. Zum Auftakt kamen Juan, Rodrigo und Alex zu Wort und sie machten unmissverständlich ihre Sicht der Dinge klar, wobei sie massiv die gegen sie gerichteten Vorwürfe abwiesen und die Polizeigewalt anprangerten (etwa die Folter im Polizeikommissariat). Teile ihrer Aussagen wurden noch am selben Tag von lokalen Fernsehstationen in Barcelona ausgestrahlt.

Am zweiten Tag der Verhandlung wurde das Rettungsteam befragt, dass den verletzten Bullen versorgte und es wurde ein Video über die Situation in der Nacht gezeigt.

Am dritten Tag machten 18 Bullen ihre Aussagen, und sie identifizierten die drei Angeklagten als jene Menschen, die für die 'Stein-Attacke' vermeintlich verantwortlich gewesen wären. Aber kein einziger Bulle konnte sich erinnern, wie der verletzte Kollege tatsächlich am Kopf getroffen wurde.

Am vierten Tag stand das gerichtsmedizinische Gutachten im Mittelpunkt, das über die Verletzungen des Bullen und den zugrundeliegenden Ursachen Klarheit verschaffen sollte. Dabei stellte sich heraus, dass es unmöglich war, dass ein einfacher Steinwurf Verletzungen in dieser Dimension hervorgerufen hat. Da auch bekanntgeben wurde, dass der Bulle offenbar am Rücken und aus großer Höhe getroffen wurde, setzte sich als wahrscheinlichste Variante die Möglichkeit durch, dass der Bulle von einem Gegenstand getroffen wurde, der von einer Person vom Dach des Squats gekommen sein dürfte. Am Ende dieses Verhandlungstages wurde die ansonsten in Gerichten übliche sterile Atmospähre durch lautstarke Rufe der UnterstützerInnen durchbrochen: Sie schrien etwa: 'Morgen Freiheit!' oder 'Die Inszinierung der Bullen ist fehlgeschlagen'. Und dass sich das Blatt langsam zu wenden begann, dürfte wohl nicht nur den UnterstützerInnen aufgefallen sein.

Aber die Praxis der Herrschenden, also der BullInnen, StaatsanwältInnen, RichterInnen und anderer HandlangerInnen des Systems, zeigte sich am nächsten Tag, am Freitag, dem letzten Verhandlungstag, als die Anklage klarmachte und forderte: 12 Jahre Knast für Rodrigo, Juan und Alex und eine Geldstrafe von etwa 500 000 Euro. Für die restlichen Angeklagten wurde mehr oder weniger geringe Geldstrafen gefordert.

Danach kamen die AnwältInnen der Beschuldigten zu Wort, und einige machten unmissverständlich klar, was sie über die ganze Inszinierung dachten: nämlich dass als einzige tatsächlich schuldig die Regierung zu betrachten ist, und dass es keine einzigen Beweise gibt, irgendwelche Menschen für die Verletzungen des Bullen zu verurteilen.

Vor dem Gericht hatten sich an diesem Tag etwa 200 AktivistInnen zu einem Supportfrühstück eingefunden, und im Gerichtssaal befanden sich nochmals 40 AktivistInnen.

Ende Jänner wurden die Urteile bekanntgegeben: Rodrigo erhielt 4,5 Jahre, Juan und Alex jeweils 3,5 Jahre. Da die drei bereits 2 Jahre in U-Haft saßen, und da U-Haft angerechnet wird, wurde die noch verbleibende Zeit von Juan und Alex, da sie bereits mehr als die Hälfte abgesessen hatten, in Bewährung umgewandelt und sie konnten am 28. Jänner 2008 wieder in Freiheit gelangen. Rodrigo war weiterhin im Knast, und das Gericht überlegte, ihn erst am 4. Mai raus zu lassen, also an jenem Tag, wo er auch die Hälfte seiner Strafe abgesessen hatte. Der Grund, warum die drei unterschiedliche Strafen erhielten lag darin, dass Rodrigo als Hauptverwantwortlicher betrachtet wurde. Was auch noch durchging war eine Geldstrafe für die Entschädigung der Familie des Bullen in Höhe von einer Million Euro.

Wenige Tage später aber wurde die noch offene Haftstrafe von Rodrigo auf Bewährung umgewandelt, und er kam am 2. Februar frei.

Somit waren alle drei Anfang 2008 draussen. Danach wurde es ruhig um die 4f, es finden sich kaum noch Artikel oder Berichte. Aber die StaatsanwältInnenschaft war mit dem Ausgang der Verhandlungen nicht zufrieden, hatte sie doch beinahe den doppelten Strafrahmen gefordert. Und auch die Familie des verletzten Bullen gab sich mit der Entschädigungszahlung in Höhe von einer Million Euro nicht zufrieden.

Der Druck reicht aus, und der Fall der 4f ging in den Ebenen der Justiz in die letzte Runde. Von dem lokalen Gericht in Barcelona ging es nun zum Obersten Gerichtshof nach Madrid und die Verhandlungen begannen Anfang dieses Sommers. Es sind kaum Infos zum Ablauf dieses Prozesses zu finden; offenbar dürfte alles recht schnell gegangen sein. Klar und gut dokumentiert sind aber die beschissenen Ergebnisse, die am 16. Juli 2009 bekanntgegeben wurden: Die Strafe von Juan und Alex blieben gleich; Rodrigos Strafe wurde um ein Jahr erhöht, er hat somit insgesamt 5,5 Jahre. An der Geldstrafe änderte sich nichts. Nun sitzt Rodrigo wieder im Knast.


Aktuelle Infos:

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