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[ 27. Mar 2010 ]

Zur Situation von Flüchtlingen in Bayern. Lagerland am Ende?

Foto von der LagerInventour am 21. April 2009 in Schongau

In Deutschland suchen jährlich zwischen 20.000 und 25.000 Menschen Asyl. Für sie bedeutet das Leben nach der Flucht zunächst ein Leben in Flüchtlingslagern. Die konkreten Umstände hängen jedoch stark davon ab, in welchem Bundesland sie unterkommen. Wer Pech hat, kommt nach Bayern.

 

7636 Menschen in 118 Flüchtlingslagern - das ist die Bilanz, die sich Bayern auf die Fahnen schreibt. Damit hat der Freistaat das rigideste und am weitesten ausgebaute Lagersystem aller Bundesländer. Die strikte bayerische :: Lagerpflicht hat ihre gesetzliche Grundlage im bayerischen Landesaufnahmegesetz von 2002. Die Unterbringung von Flüchtlingen in Sammellagern soll, so die Bayerische Asyldurchführungsverordnung von 2002, explizit «die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern».

Auf dieser rechtlichen Grundlage werden 7636 Personen in 118 Flüchtlingslagern zermürbt: Jahrelange Unterbringung in Mehrbettzimmern in alten Gasthöfen, ausgedienten Kasernen und verrotteten Containerunterkünften, Gemeinschaftsküchen und -bäder, Polizeikontrollen zu allen Tages- und Nachtzeiten, :: Essens- und Hygienepakete, gebrauchte Kleidung oder Gutscheine, :: Arbeitsverbote, das Verbot, den Landkreis zu verlassen (:: Residenzpflicht), und Anzeigen wegen Verstosses gegen die Passpflicht - das sind die Instrumentarien, die dem Unterbringungszweck, der Förderung der Rückkehrbereitschaft, dienen. Lagerpflicht bedeutet also Enge, Isolation und Verlust der Privatsphäre, mit allen Konsequenzen. Sie ist inhuman und dient einzig der Schikane und Ausgrenzung von Flüchtlingen.


Humaner und erst noch billiger


Das haben mittlerweile auch die Parteien im bayerischen Landtag eingesehen. Nachdem im Dezember 2008 zwei Lager wegen unhaltbarer hygienischer Zustände geschlossen werden mussten, kam es am 23. April 2009 zu einer ersten interfraktionellen ExpertInnen-Anhörung im Bayerischen Landtag. Die Oppositionsparteien reichten in der Folge entsprechende Gesetzesentwürfe ein. Jahrelang hatte man die Situation ignoriert, nun kam endlich Bewegung in die Diskussion um Flüchtlingspolitik und -unterbringung. Dabei zeigte sich, dass die Abschaffung des Lagerzwangs und die Unterbringung von Flüchtlingen in Wohnungen nicht nur fraglos humaner, sondern zudem noch deutlich billiger wäre. Nach Berechnungen des Bayerischen Flüchtlingsrats vom Dezember 2009, könnte der Freistaat Bayern jährlich rund 13,6 Mio. Euro sparen, gäbe er einem würdevolleren Leben Vorrang vor Repression und Isolation. Dazu sei angemerkt, dass von staatlicher Seite bislang keine belastbaren Zahlen zu Unterbringungskosten vorliegen - und das obwohl die Regierung mehrfach aufgefordert worden war und die Relevanz solcher Zahlen eingeräumt hat.
Die Debatte um eine Neuregelung der Unterbringung ist inzwischen in ihrer Endphase angelangt; mit einer Entscheidung ist noch im März dieses Jahres zu rechnen. Eine deutliche Entlastung der Flüchtlinge ist dringend geboten, jedoch ist es vor allem eine politische Entscheidung, ob die Geltung von Menschenrechten künftig Vorrang vor einer Politik der Flüchtlingsabwehr haben wird.


LagerInventour


Der Bayerische Flüchtlingsrat hat diese Debatte nicht nur aktiv angestossen, mit Argumenten unterfüttert und die nötige öffentliche Aufmerksamkeit erzeugt, er war auch vor Ort. Vom 16. bis 22 April 2009 besuchte die Menschenrechtsorganisation Flüchtlingslager, Initiativen und Beratungsstellen in ganz Bayern. Die «LagerInventour» erbrachte ein Bild der Lebenssituation von Flüchtlingen, der gängigen Praxis lokaler Ausländerämter und der Möglichkeiten und Probleme von lokalen FlüchtlingsunterstützerInnen. Die gesammelten Erfahrungen und Ergebnisse macht der Flüchtlingsrat seither sukzessive einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Zudem kann er seither auf ein landesweites Netzwerk zurückgreifen, steht im ständigen Informationsaustausch mit lokalen Gruppen und kämpft gemeinsam mit ihnen für ein Bayern ohne Lager.

Dieser Artikel erschien zuerst im :: Sosf Bulletin März 2010.