Die Geschichte von Wiens Wagenplätzen ist vielfältig. Zahlreiche Grundstücke wurden besetzt und vorübergehend belebt - zuletzt am 29. November 2010. Mit :: Aktionstagen Anfang Dezember wird die Entkriminalisierung des Wagenlebens gefordert.
Nach fünf Jahren Kampf um das Wagenleben in Wien und fehlender Gesprächsbereitschaft der Stadt zur Findung einer Lösung für Wagenleben, eskalierten die Behörden die Situation und ließen am 21. Oktober 2010 den Wagenplatz Treibstoff polizeilich räumen. Mehr als einen Monat später, am 29. November 2010 wurde wieder ein Platz besetzt. In einer Aussendung der Wagentruppe Treibstoff heißt es dazu:
"Nach vierwöchiger Verwahrung unserer Fahrzeuge haben wir uns jetzt entschlossen, wieder mit unseren Wägen in Aktion zu treten – um darauf hinzuweisen, dass wir uns nicht in Luft auflösen werden, sondern dass wir weiterhin selbstverwaltetes Wagenleben in Wien verwirklichen wollen, und das einzige was fehlt, ist weiterhin der Dialog und politische Verhandlungen.
Es ist uns wichtig, sowohl den Grundstückseigentümer als auch die NachbarInnen bereits zu Beginn der Aktion darauf hinzuweisen, dass dieses Grundstück nicht als langfristiger Wagenplatzstandort genutzt werden soll. (...)
Wir möchten die Tage in der Gumpendorfer Straße nutzen um über unsere Ansätze und Ziele zu informieren. Wir möchten dort eine lebendige Ausstellung bieten, welche die Vielfältigkeit des Wagenlebens transportiert. Wir möchten alle Interessierten, alle VertreterInnen der Presse sowie alle FlaneurInnen und Zaungäste und politischen EntscheidungsträgerInnen dazu einladen vorbeizuschauen, mit uns ins Gespräch zu treten, sich über Ziele und Lösungsmöglichkeiten der Wagenplatzthematik auszutauschen."
Zur Erinnerung
Im Oktober 2010 gab es noch drei Wagenplätze in Wien: Die Wagentruppe Treibstoff, den Wagenplatz AKW Lobau und die Wagenburg Hafenstraße. Während das Grundstück in der Lobau von der Stadt Wien gemietet wurde, waren der Wagenplatz Treibstoff in der Baumgasse 133 und die Wagenburg Hafenstraße besetzt.
Die Geschichte der Wagenplätze in Wien reicht einige Jahre zurück. Im Jahr 2006 fanden sich einige Leute auf einem Parkplatz zusammen. Sie hatten ihre LKW bewohnbar gemacht und entschieden sich für das Wagenleben. Schon damals zeigte sich, dass die Gemeinde Wien nur wenig Verständnis für diese Lebensform hatte. Die Menschen mit ihren Wägen mussten das Grundstück bald wieder verlassen und machten sich auf die Suche nach einem geeigneten Grundstück, bis sich ein Grundstückbesitzer bei ihnen meldete und ein zwischen Gewächshäusern liegendes Feld in Simmering zur Miete anbot. Obwohl von der Gemeinde selbst vorgeschlagen wurde, einen Platz zu mieten, versuchten die Zuständigen der Stadt das Wagenleben weiterhin zu verunmöglichen und schickte die Baupolizei vorbei. Diese hatte die "Super-Idee", dass Wägen Bauwerke seien, und sie deswegen vom Grundstück in Simmering weg müssten. Verhandlungen um ein Ersatzgrundstück scheiterten, da die Stadt Wien im letzten Augenblick den Mietpreis auf Druck der FPÖ ins Astronomische erhöhte.
Eins, zwei, viele Wagenplätze
Der Platz in Simmering wurde im Sommer 2009 verlassen und ab diesem Zeitpunkt gab es zwei Wagenplätze in Wien: In der Hafenzufahrtsstraße und in der Baumgasse 133.
Die Besetzer_innen der Hafenzufahrtsstraße wurden von Nachbar_innen und den Mieter_innen des Grundstücks positiv aufgenommen. Ein Teil von ihnen mietete nach monatelangen Verhandlungen von der Stadt Wien ein Grundstück in der Lobau, welches im Sommer 2010 bezogen wurde. Nur wurde ihnen dabei verschwiegen, dass sich in ihr Wagenplatz ab Herbst inmitten einer Tag-und Nachtbaustelle befindet. Wie auch die anderen Wagenplätze, wurde auch der laut Gemeindevertreter_innen "einzige legale Wagenplatz in Wien" von den Behörden verarscht, die wie es aussieht ein Wagenleben nahezu unmöglich machen wollen
Die Wagentruppe Treibstoff hatte in der Baumgasse ein seit vielen Jahren brach liegenden und für das Wagenleben geeignetes Grundstück gefunden. Doch wer denkt, dass die Wagentruppe Treibstoff vom Sommer 2009 bis zur Räumung im Oktober 2010 in der Baumgasse verweilte, irrt. Denn für die Menschen und ihre Wägen startete nach den Wagentagen im Juli 2009 eine Odyssee, auf der sie immer wieder brachliegende Grundstücke besetzten, bis sie nach einem Jahr wieder in der Baumgasse landeten. In dem Jahr das zwischen den zwei Besetzungen in der Baumgasse lag, wurden neun Grundstücke besetzt und aufgezeigt, dass es in Wien genügend Plätze gibt, die sich für Wagenleben eignen. Doch überall wurde die Wagentruppe Treibstoff nach kurzer Zeit wieder vertrieben. Lediglich während der Wintermonate 2009/2010 konnte ein vorübergehender Mietvertrag auf einem ehemaligen Sportplatz im 2. Bezirk abgeschlossen werden. Seit April 2010 wurde wieder besetzt, da sich die Gemeinde Wien weiterhin weigerte, über ein geeignetes Grundstück zu verhandeln. Der Umstand, dass alle der zwischenzeitlich bewohnten Grundstücke nach wie vor nicht genutzt werden verdeutlicht, dass nicht die Möglichkeiten fehlen, sondern einfach der Wille der Stadtregierung, Wagenleben zu akzeptieren.
Aus drei mach eins?
Die bis vor kurzem von der SPÖ Wien mit absoluter Mehrheit regierte Stadt Wien bestätigte ihre Ablehnung von Wagenleben gar nicht überraschend am Morgen des 21. Oktober. Nachdem die SPÖ offenbar im Wahlkampf möglichst keine Konflikte wollte und die Besetzung in der Baumgasse ignorierte, ließ sie eineinhalb Wochen nach den Wahlen, bei denen sie die absolute Mehrheit verloren hatte, den Platz von der Polizei und dem Abschleppunternehmen Toman räumen. Die abgeschleppten Fahrzeuge wurden auf einem von der Firma Toman gemieteten Platz verwahrt und am 19. November wieder befreit: "unspektakulär haben wir sie ausgelöst ohne vorerst Geld dafür auszulegen, leider wurden unsere Ausweise kopiert - vermutlich kommen die Rechnungen per Post!?" Die Gesamtrechnung wird voraussichtlich mehr als 15.000 Euro ausmachen. Dazu kommen Anzeigen und weitere Schikanen durch Behörden und Polizei.
Die Stadt Wien begnügte sich nicht damit, die Wagentruppe Treibstoff weiterhin von einem Platz zum nächsten durch die Stadt zu jagen. Auch der Wagenplatz Hafenstraße musste am 28. Oktober 2010 das seit eineinhalb Jahren besetzte Gelände räumen und auf das legalisierte Gelände des Wagenplatzes AKW Lobau übersiedeln. Dieses Grundstück ist allerdings erstens viel zu klein für die beiden Wagenplätze und zweitens wurde auch der Wagenplatz AKW Lobau bei den Vertragsverhandlungen komplett hintergangen. Nur einen Monat nach Umzug auf das legalisierte Gelände, welches einen auf drei Jahre befristeten Vertrag hat, eröffnete die Stadt Wien rings um das Gelände in einem Naturschutzgebiet eine dreijährige 24-Stunden Großbaustelle.
Ein neuer Wagenplatz
Wie es mit dem Wagenleben in Wien weitergeht, wird sich zeigen. Jedenfalls gibt es seit 29. November 2010 wieder einen neuen Wagenplatz in Wien. Als Grundstück bot sich dieses mal ein historischer Ort an: Bis September 1998 befand sich im Haus an der Ecke Gürtel / Gumpendorfer Straße die Redaktion des TATblatts. Vor einigen Monaten wurde das seit mehreren Jahren leer stehende Haus abgerissen und seither ist das Grundstück verweist. In den nächsten Jahren ist dort die Errichtung eines riesigen Büro- und Wohnbaus geplant. Die Wagentruppe Treibstoff will am neuen Platz eine Woche lang in einer Ausstellung zeigen, wie Wagenleben ausschauen könnte und betont, dass dieses Grundstück nur zur vorübergehenden Zwischennutzung besetzt wurde. Neben der Besetzung in der Gumpendorfer Straße wird es in den kommenden Tagen zu weiteren Veranstaltungen und Aktionen für die Akzeptanz von Wagenleben geben.
Wie geht es weiter?
Am Dienstag, 30. November sind ab 20.00 Uhr alle Interessierten zu einer Diskussions- und Informationsveranstaltung in den Hörsaal 2 im Neue Institutsgebäude (NIG), Universitätsstr. 7, 1080 Wien geladen, um mit zu diskutieren und sich einzumischen. In einer Aussendung der Wagentruppe Treibstoff heißt es dazu:
"Wir möchten mit dieser Veranstaltung den Grundstein dafür legen, endlich alle beteiligten Parteien der Wagenplatzthematik in einen Raum zu holen um konstruktive Gespräche zu führen um baldigst politische Verhandlungen aufnehmen zu können. Geladen sind u.a. Wohnbaustadtrat Michael Ludwig, Maria Vassilakou, Jutta Kleedorfer, Irmtraud Voglmayr, sowie VerterterInnen der Presse und VertreterInnen der drei Wagenplätze.
Geklärt werden sollen Fragen wie: Was sind eigentlich die Probleme, die Ideen und potentielle Lösungsansätze in diesem urbanen Konflikt? Wer sind die beteiligten Parteien? Wieso kommt kein konstruktiver Dialog zustande? Wie könnte Zwischennutzung für Wagenplätze wirklich aussehen? Und: Wie soll/ kann es weitergehen?"
Nach der Räumung am 21. Oktober kam es zu mehreren Aktionen zur Unterstützung des Wagenlebens. Von 3. bis 6. Dezember 2010 wird zu Wagenplätze Aktionstagen für Wagenleben in Wien und überall aufgerufen. Siehe dazu den Aufruf :: We're not gonna take it... anymore. Wagenplätze schlagen zurück.
Die Bewohner_innen der Wagenplätze werden nicht aufgeben und sich weiterhin engagieren, bis sie ihre Ideen und Projekte in Form von Wagenleben praktizieren können. Zahlreiche Solidaritätserklärungen bestätigen, dass sich viele von der Räumung und Repression der Wagenplätze betroffen fühlen und die Wägler_innen in ihrem Kampf nicht alleine lassen wollen. Es ist an der Zeit, dass den Worten Taten folgen - und Wagenleben in Wien und überall möglich gemacht wird.
Dieser Artikel basiert auf einem Feature auf :: at.indymedia.org, das überarbeitet und aktualisiert wurde. Als weitere Quelle dienten u.a. :: treibstoff.wagenplatz.at und :: nochrichten.net.