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[ 15. Jun 2012 ]

RECHTsprechung oder RECHTSsprechung?

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Eine kommentierte Prozess-dokumen-tation zum erstinstanz-lichen Urteil im Medien-verfahren Ousmane C. vs. unzensuriert.at.

 

Die schmissigen Herren Redakteure, die unter der Ägide des so wackeren, wie zuletzt zunehmend ins Zwielicht geratenen "Olympiers" und dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf die einschlägig bekannte Online-Plattform "Unzensuriert.at" betreiben, geben sich sichtlich Mühe, auch "schmissige" Headlines zu formulieren.

So titelte man über die - vom EGMR letztlich verbotene - Abschiebung von Ousmane C. schon am 6.2.2011 recht launig: "Afrikanischer 'Baron Münchhausen' entzog sich seiner Abschiebung". Einen Monat später, am 8.3.2011 legten die Rechtsausleger von "Unzensuriert.at" unter der Schlagzeile "Neues vom afrikanischen 'Baron Münchhausen'" nach, und bedauerten, dass "die hiesige Rechtslage und eine Armada von karitativen Vereinigungen bis hin zu Linkspolitikern und Star-Anwälten ...mit unzähligen Einsprüchen die Abschiebung" verhinderten. Dass Ousmane C. in seiner Heimat als Studentenaktivist politisch verfolgt wurde, wollten sie nicht glauben. Es sei, hieß es in dem Artikel, "unwahrscheinlich, dass jemand politisch verfolgt wurde oder wird, wenn ein Namensverwandter an führender Positionen in einer Universität tätig ist. Solche Jobs sind in Afrika bekanntlich nur besonderen Günstlingen zugänglich". (Es war ein A. C. an der Universität über die deutsche Botschaft in Guinea ausgemacht worden; C. ist laut Ousmanes Darstellung hingegen ein Allerweltsname wie Müller oder Mayer; und die Frage, weshalb ein angeblicher "Günstling" des Regimes flüchtet, will "Unzensuriert" vorsorglich nicht stellen...) Und im Herbst konnte die Graf'sche Online-Plattform gleich doppelt austeilen: "Ute-Bock-Preis für verhinderte Abschiebung des 'Asylbarons Münchhausen'", empörten sich die journalistischen Recken des dritten Nationalratspräsidenten: "Die Geschichte ist wie maßgeschneidert für Gutmenschen", hieß es weiter im Text; dazu wurde beklagt, dass sich diverse Medien (unter anderem auch der ORF in "Thema") der Geschichte angenommen hatten - aber die können freilich nicht das leisten, wozu "Unzensuriert.at" imstande ist: "Was Thema und andere Medien nicht recherchierten, holte Unzensuriert nach. Die Ergebnisse lassen vermuten, dass Ousmane C. ein Asylschwindler ist" war am 31.10.2011 zu lesen. Dass in den Postings zu sämtlichen "Unzensuriert"-Artikeln von "vermutlich auch kriminellen" "Negern" geschrieben wird, und Robert Zahrl - einer der Preisträger des Ute Bock-Preises 2011 - als "schwachsinniger Aktivist" dargestellt wird, der das Preisgeld als "Lohn für diesen Verrat am Volk, (...) das ihm sein unnützes Dasein ermöglicht" von "linken Auftraggebern" erhalten habe, rundet das Bild ab.

Ousmane, vertreten durch RA Georg Zanger, brachte nach diesem letzten Artikel Klage wegen Verstoßes gegen § 6 Mediengesetz (der im Strafrecht verankert ist) ein. In der ersten Tagsatzung am Wiener Straflandesgericht wurde zunächst auf den 30.5.2012 vertagt.


Mitschrift vom 30.5.2012; Landesgericht Wien, Saal 308, 9 Uhr.


Verhandlungseröffnung

Stellungnahme des Antraggegners:

Anwalt des AG: legt als neuerliches Beweisstück ein e-Mail der dt. Botschaft in Guinea vor; demnach sei die Studentenorg., für die O. tätig war, nicht bekannt. Im inkriminierten Bericht auf www.unzensuriert.at sei der Begriff "Asylschwindler" nur "konjunktivisch verwendet" ("lassen vermuten") worden. Zudem habe sich O. lt. Protokoll des Asylgerichtshofs "in Widersprüchlichkeiten verstrickt", so der Artikel.

Beweisaufnahme:

a) Zeugeneinvernahme:

O.: Personalien.
Richterin: eruiert scheinbare Widerspüche zwischen den Niederschriften 2007 (erstes Mal in Österreich) und 2010
R.: Ist es richtig, dass sie im April 2007 zum ersten Mal nach Österreich eingereist sind und zum erstenmal eine Niederschrift bei der Fremdenpolizei abgelegt haben?
O.: Ich bin am 1. April angekommen und habe am selben Tag den Asylantrag gestellt.
R.: Ist es richtig, dass sie angegeben haben, dass sie wegen der Beteiligung eines Streiks, weil ihre Schwester ermordet und ihre Eltern verhaftet wurden, geflohen sind?
O.: "Seit ich hergekommen bin, ist sehr viel passiert, und ich kann mich nicht im Detail an alles erinnern, was ich gesagt habe."
R.: Ist es richtig, dass sie im August 2010 nochmal hergekommen sind und einen anderen Fluchtgrund angegeben haben?
O.: Ich bin nicht freiwillig zurückgekommen, die englischen Behörden haben mich abgeschoben und bei der Ankunft in Österreich wurde ich direkt von Flughafen ins Gefängnis gesteckt.
R.: Haben sie damals angegeben, dass sie geflohen sind, weil sie sich gegen die Beschneidung ihrer Tochter gewehrt haben?
O.: Ja. Das war auch wirklich mein Problem. Aber ich hatte keine Zeit in Details zu gehen damals.
R.: "Warum haben sie erst im November 2010 zum ersten Mal gesagt, dass Sie der Wortführer einer guineischen Studentenorganisation sind?"
O.: "Ich konnte nie die Geschichte als Ganzes erzählen. Es gibt nicht mehrere unterschiedliche Geschichten, sondern eine Geschichte mit aufeinander folgenden Ereignissen. Aber ich konnte nie die ganze Chronologie erzählen, daraus ergeben sich die scheinbaren Widersprüche. Deshalb habe ich das Protokoll auch nicht unterschrieben, weil ich das, was da drinnen steht, so nie gesagt habe. Vom Beamten wurde ich dann überredet, doch zu unterschreiben - weil es gut für mich wäre."
R.: "Warum haben sie aber erst 2010 erklärt, als Studentenaktivist verfolgt zu werden?"
O.: "2007 wusste ich überhaupt nichts, ich habe kein Wort verstanden. Ich wurde fotografiert, es wurden Fingerabdrücke genommen, ich dachte: das ist dasselbe wie in Guinea. Ich dachte: die arbeiten zusammen. Deswegen habe ich über mein Studentenleben und meine Eltern nichts gesagt."
R.: "Sie haben nach ihrer Rückkehr nach Afrika unter einem Alias-Namen gelebt. Weswegen der Aliasname?"
O.: "Ich wollte unter einem anderen Namen einfach ganz normal in Guinea leben können"
R fragt in der Folge nach der Struktur der Studentenorganisationen in Conakry, Guinea.
O.: "Ich war Sprecher der StudentInnenvereinigung Syndicat des Etudiants de l'Université de Conakry. Es gab verschiedene Studentenorganisationen in der Universität Conakry. Wir haben einen Dachverband gegründet, haben gemeinsam Demonstrationen organisiert, aber alle Organisationen waren unabhängig mit eigenen SprecherInnen. Aber es gab einen StudentInnenrat, der alle Organisationen umfasst hat.
R.: "Laut dem e-Mail der dt. Botschaft ist der Rat bekannt, aber über einzelne Studentenvertretungen weiß man dort nichts."
O.: "Dieselbe Botschaft hat auch gesagt, dass es überhaupt keine StudentInnenbewegung in Guinea gegeben hat. Es wurden 2007 alle Studentenorganistationen von der Behörde aufgelöst und verboten. Es hängt davon ab, von welchem Zeitraum man spricht."
O. fragt Richterin von welchem Datum das Dokument spricht.
R.: 2011.
O.: Aber wird in dem Mail präzisiert, von welchem Zeitraum sie reden?
R.: Aktuell.
O.: Ja. Jetzt gibt es auch keine StudentInnenorganisationen mehr. Aber sie haben bis 2007 existiert.
R. fragt, ob O. in Guinea, wegen seiner Aktivitäten als StudentInnensprecher, inhaftiert war.
O. bejaht.
R.: "Sind Sie in Österreich an die Öffentlichkeit gegangen? Haben Sie gemeinsam mit der Österreichischen Hochschülerschaft eine Pressekonferenz abgehalten?"
O.: "Ich habe nicht nur mit der ÖH eine Pressekonferenz gemacht; ich habe etliche PKs gemacht, in denen ich eine Zusammenfassung meiner Situation und einen Überblick über meine Lage gegeben habe."
R.: "Haben Sie auch Interviews gegeben?"
O.: "Ja."
R.: "Wurden Sie von unzensuriert.at um eine Stellungnahme gebeten?"
O.: "Ich habe mit denen nie Kontakt gehabt."
Die R. fragt in der Folge nach O.s Ehrenmitgliedschaft bei der GPA-djp Jugend: "Ist das eine österreichische Organisation? Weiß in diesem Saale irgendwer, wer oder was die GPA-djp ist?"
Zuhörer: "Gewerkschaft der Privatangestellten, Sektion Journalismus, Druck und Papier"

Zeugenbefragung durch [b]RA Zanger:[/b] indem er "den chronologischen roten Faden herausarbeiten" möchte, will er beweisen, dass O. KEIN "Asylschwindler" sei. O. berichtet auch von der Folter die er erlitten hat. Der AG, von unzensuriert.at, gähnt während dessen auffallend.

Zeugenbefragung durch RA Antragsgegner: "Können Sie mir sagen, was Sie studiert haben?" - "Von wann bis wann dauert in Guineas ein Studiensemester?" - "Waren Sie nach Ihrer Inhaftierung wieder auf der Universität?" - "Wovon haben Sie Ihren Lebensunterhalt bestritten?" - "Wer hat Ihre Flucht 2007 finanziert?" - "Wer hat Ihre neuerliche Reise 2010 finanziert?" etc. etc.
O. betont, dass ihn die Behördenvertreter bei der letzten Befragung im November 2010 nicht zuhörten und auch nicht wollten, dass er Erklärungen abgebe.
RA Antragsgegener: "Hr. C., sagen Sie immer die Wahrheit?”
O.: "Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.”
RA Antragsgegener: "Warum haben Sie dann beim Antrag auf Asyl in England verschwiegen, dass Sie bereits ein Asylverfahren in Österreich hatten?”
O.: "Weil man mich nicht gefragt hat, es war dazu keine Gelegenheit. Der Vorwurf der Vernachlässigung meiner Auskunftspflicht ist ungerechtfertigt.”

Entlassung des Zeugen

Nächster Zeuge: HÖFERL (Redaktion www.unzensuriert.at) : "Ich habe den inkriminierten Artikel nicht geschrieben. Ich habe ihn geprüft und veröffentlicht." - "Der Artikel beruht auf unterschiedlichen Quellen; der Akt des Asylgerichtshofs, verschiedene Presseartikel; dazu die PK anlässlich der Verleihung des Ute Bock-Preises."
R.: "Haben Sie versucht mit dem Antragsteller in Kontakt zu treten?"
H.: Uns waren keine Kontaktdaten bekannt. Außerdem haben wir genannte Pressekonferenz als Stellungnahme für alle nicht direkt anwesenden Journalisten genommen. - Wir haben im Prinzip alles herangezogen, was damals aktuell war"

RA Zanger: "War Ihnen damals bekannt, dass meine Kanzlei den Antragsteller vertritt? Haben Sie versucht, mit mir oder meiner Kanzlei in Kontakt zu treten?"
H. verneint.
RA Zanger: "Hätten Sie vor der Verwendung des Wortes "Asylschwindler" nicht nachfragen sollen?"
H.: "Ja, eh, aber... Für uns war nur auffällig, dass Widersprüche in den verschiedenen Darstellungen bestehen."
R.: "Sie haben also nicht geschrieben, dass diese Organisation laut deutscher Botschaft nicht bekannt sei und die Recherche nicht weitergeführt."
H.: "Ja."

Entlassung des Zeugen

Es folgen die Plädoyers

RA Zanger: "Der wahre Sachverhalt ist: Hr. C. ist als Mitglied und Leiter einer Studentenorganisation nachweislich inhaftiert und gefoltert worden. Der Antragsgegner kann seine Darstellung hingegen nicht beweisen. Die journalistische Sorgfaltspflicht der Kontaktnahme wurde verletzt. Die Journalisten der Antragsgegner haben es geflissentlich unterlassen, Kontakt zu mir oder Hr. C. aufzunehmen. Die Recherchen waren allesamt Scheinrecherchen. Das e-Mail der dt. Botschaft ist als Beweisstück nicht aussagekräftig, weil es nur zeitbezogen ist. Hr. C. ist keine Person des öffentlichen Lebens, die sich deswegen mehr gefallen lassen muss, als der Normalbürger. Der inkriminierte Artikel stellt also eine Verletzung des § 6 Mediengesetz (Üble Nachrede, Beschimpfung, Verspottung und Verleumdung) dar, weil ausdrücklich vermutet wird, Hrn. C. sei ein "Asylschwindler", was so viel wie "Asylbetrüger" bedeutet."
Antrag auf Übersetzung des politischen Lageberichts zu Guinea aus dem Englischen, denn dieser beweist, dass dort zum besagten Zeitpunkt politische Verfolgung Gang und Gäbe war.

Antrag wird von Richterin abgewiesen.

RA Antragsgegner: "Es ist nur von einem "Asylbaron Münchhausen" und "Asylschwindler", nicht von einem "Asylbetrüger" gesprochen worden, das ist leicht wertend, aber kein Wertungsexzess. Die Darstellung im inkriminierten Artikel beruht auf Entscheidung österreichischer Behörden. Und solange in diesem Lande noch nicht geputscht worden ist, sind diese Entscheidungen anzuerkennen. Es ist im Rahmen der journalistischen Freiheit gestattet, O. Darstellungen auch aus einer anderen Sicht zu sehen, und auch zu werten. Da Hr. C. zu einer Person des öffentlichen Lebens geworden war, konnten die journalistischen Pflichten vernachlässigt werden."

Urteil: "Die Anträge werden abgewiesen, die Prozesskosten gehen zu Lasten des Antragstellers."

Begründung: "Der Antragsteller hat sich in Österreich öffentlich exponiert. Aus meiner Sicht ist es daher zulässig seine Rolle zu hinterfragen. Der Antragsgegner hat den Wahrheitsbeweis erbracht: die unterschiedlichen und teils widersprüchlichen Darstellungen der Flucht und auch, dass die behauptete Studentenorganisation unbekannt ist. Der Ausdruck "Asylschwindler" ist somit gedeckt. Die angeklagte Partei hätte aber beim Kläger nachfragen und ihrer journalistischen Sorgfaltspflicht besser nachkommen sollen, bevor man Hrn. C. als Schwindler bezeichnet. "Schwindler" ist nicht gleich "Lügner und Betrüger", sondern eine Wertung - wenn auch unangebracht."

RA Zanger meldet Berufung an.

Ende der Verhandlung.


Kommentar:


Es stellt sich nach dem erstinstanzlichen Urteil ein Gefühl ein, das zwischen Empörung, Beklemmung und Niedergeschlagenheit oszilliert.

Erstens: Das Gericht ging in keiner Weise auf die Erklärungen, Erläuterungen und Richtigstellungen Ousmanes ein, sondern folgte in weitesten Teilen den Darstellungen und Argumentationslinien von "Unzensuriert.at". Es ist zutiefst verwirrend, wenn das Gericht zwar die "journalistische Sorgfaltspflicht" nicht eingehalten sieht, das daraus resultierende "journalistische Werturteil" aber als "gedeckt" wertet.

Zweitens: Das Gericht erachtete von "Unzensuriert.at" den "Wahrheitsbeweis erbracht"; und dies obwohl "Unzensuriert.at" nicht einmal die journalistische Sorgfaltspflicht nachweisen konnte.

Drittens: Ousmane, befand das Gericht, sei quasi eine Person des öffentlichen Interesses, deshalb müsse seine "Rolle hinterfragt werden" können. "Hinterfragen" und jemanden implizit und öffentlich des "Asylschwindels" zu bezichtigen, sind schon noch zwei Paar Schuhe. Die Feststellung des Gerichts, dass der Ausdruck "Schwindel" ja nicht so wertend sei, wie "Lüge" oder "Betrug" - und dass man Ousmane deshalb den angeblichen "Asylschwindel" durchaus unterstellen könne, ist schlicht und ergriffen - so das Urteil in zweiter Instanz hält - ein Freibrief für Verunglimpfungen jeder Art, solange der Angegriffene nicht das Gegenteil beweisen kann. Eine sehr verstörende Umkehr der Beweislast.