In 15 europäischen Staaten fanden am Sonntag, 6. Oktober 2013 Veranstaltungen für die Rechte der Roma und Sinti statt. In der Wiener Innenstadt versammelten sich an die 200 Menschen zur "Roma Pride"-Kundgebung. Bericht von 'buendia bee' und Presseaussendung.
Die ":: Roma Pride"-Kundgebung wurde vom :: Romano Centro und :: SOS Mitmensch veranstaltet. Die RednerInnen erinnerten dabei an die Diskriminierung und Verfolgung von Roma und Sinti im Europa der Gegenwart. Während also die Verfolgung durch rechtsradikale Banden und staatliche Einrichtungen zunimmt, war die Mobilisierung von wenig Erfolg gekrönt. "Für Roma zu mobilisieren ist immer schwer. Kaum jemand interessiert sich für uns", fasste ein Teilnehmer traurig zusammen.
Wenig Solidarität trotz massiver Verfolgung
"Roma Pride"-Kundgebungen fanden an diesem Tag in 15 Städten statt, darunter Istanbul, Budapest, Paris und Belgrad. In Vorbereitung der Aktionen wurde ein :: Manifest ausgearbeitet, das von Vereinen und Verbänden in 30 Staaten unterzeichnet wurde. Wie schwer es aber ist, Menschen für die Anliegen der Roma auf die Straße zu bringen, zeigte die Veranstaltung beim Burgtheater. Gerade einmal 200 fanden sich ein, was von gefährlichem Desinteresse angesichts der derzeitigen Bedrohungen zeugt.
Die RednerInnen auf der Bühne machten auch sehr deutlich, wie gefährlich die Sutiation in vielen europäischen Ländern für die Roma ist. Dies trifft nicht nur für osteuropäische Staaten zu. Andrea Härle vom :: Romano Centro: "Rassismus gegen Roma in Europa ist ein Thema, das leider immer aktueller wird. Es gibt auch Übergriffe in Österreich. Wir erinnern uns, dass Anfang September eine Sinti-Gruppe :: aus Bischofshofen vertrieben worden ist. Die Polizei musste sie vor Übergriffen schützen. Ich bitte euch, auch an anderer Stelle eure Stimme zu erheben gegen Stereotypisierung und gegen Rassismus."
Wie kann es sein...?
Die ungarische Aktivistin :: Àgnesz Daróczi erkärte in ihrem Redebeitrag zunächst, warum der Titel "Roma Pride" richtig gewählt ist: "Wir sind stolz. Wir Roma sollen stolz sein auf unsere Ur-Eltern, die immer im Frieden in verschiedene Länder Europas kamen. Wir machten niemals Krieg, wir okkupierten niemals Länder. Wir sind im Frieden gekommen, haben unsere Kenntnisse angeboten und wir wollen jetzt Frieden."
Anschließend ging sie auf die Situation in Europa ein: "Wie ist es möglich, frage ich, dass aus :: Frankreich die Roma wieder zurückgeschickt werden? Wie ist es möglich, dass eine linke Partei diese Politik macht? Wie ist es möglich, dass es hier noch Vorurteile gibt? Wie ist es möglich, dass es in Schweden von den jetzt geborenen Roma-Kindern ein :: Register gibt? Haben wir den zweiten Weltkrieg schon vergessen? Haben wir schon vergessen, dass zwei Nationen nur deswegen verfolgt wurden, weil sie als Juden und Roma geboren wurden?"
Behördliche Ignoranz
Miklós Rafael, dessen Wohnung von Neo-Nazis in Brand gesetzt wurde und der zur Emigration aus Ungarn gezwungen war, berichtet von der Ignoranz der Behörden nach dem Anschlag auf ihn und seine Familie: "Nachdem unsere Wohnung angezündet wurde, haben wir vom Staat keine Hilfe bekommen. Lediglich ein paar Adressen für Obdachlosen-Unterkünfte. Da meine minderjährige Tochter in keinem Obdachlosen-Heim leben konnte, ist sie in eine Pflegefamilie gekommen." (Der Beitrag von Miklos Rafael zur Gänze am Ende des Artikels)
Willkür und Zensur
Am Rande der Kundgebung wurden Plakate der Wiener Künstlerin :: Marika Schmiedt präsentiert. Die Werke sind Teil einer :: Ausstellung, die am Montag, 7. Oktober in Linz (wieder) eröffnet wird, und die verschiedenen Methoden der Roma-Diskriminierung zum Inhalt hat. Diskriminierung hat sie am eigenen Leib gespürt. Bereits im April sollte die Ausstellung in Linz gezeigt werden, doch nach nur zwei Tagen kamen Polizeibeamte und entfernten de Plakate in einem unglaublichen :: Akt staatlicher Willkür und Zensur. Und auch die Wiederholung der Ausstellung, die nun erneut eröffnet werden soll, wurde bereits zum Politikum. Die ungarische Botschaft führte eine regelrechte Kampagne dagegen und bezeichnete die Schau als "verhetzend" und "rassistisch". Regierungstreue Medien in Ungarn nahmen das gerne auf. Dies ist ein gutes Beispiel, wie eine rassistisch verfolgte Minderheit von der Mehrheit als RassistInnen dargestellt werden - klassische Täter-Opfer-Umkehr.
Das Klischee gefällt dann doch
Ein Auftritt des Ausnahmemusikers Harri Stojka und seiner Band beendete die Kundgebung. Und siehe da, kaum wurde Roma-Musik gespielt und nicht mehr über die Diskriminierung der Roma gesprochen, blieben PassantInnen stehen und der Platz füllte sich merklich. Solange das Klischee bedient wird, kann eine Mehrheitsbevölkerung sehr interessiert sein. Und dennoch: Die Band begeisterte, es wurde getanzt und gefeiert.
Andrea Härle vom Romano Centro meinte zum Schluss: "Ich bin froh, dass doch einige Leute gekommen sind. Es wäre natürlich im Sinn der Sache besser gewesen, es wären deutlich mehr gewesen. Mir ist nicht ganz klar, warum es so schwer ist, zu mobilisieren. Das scheint ein Thema zu sein, das nicht sehr viele Leute interessiert."
Wir scheinen den zweiten Weltkrieg wohl wirklich schon vergessen zu haben und hinzunehmen,wenn Mitmenschen wieder verfolgt und ermordet werden.
Hier nun der Redebeitrag von Miklós Rafael in (fast) voller Länge:
Ich bin Vater von fünf Kindern, alleinerziehend bin ich seit Juni 2011. Mein ältester Sohn ist aus Ungarn geflohen, weil er die vielen Anschläge nicht mehr ertragen konnte. Heute befindet er sich in einer psychiatrischen Anstalt. Ich habe eine kleine Tochter, die bei Pflegeeltern lebt.
Nachdem unsere Wohnung angezündet wurde, haben wir vom Staat keine Hilfe bekommen. Lediglich ein paar Adressen für Obdachlosen-Unterkünfte. Da meine minderjährige Tochter in keinem Obdachlosen-Heim leben konnte, ist sie in eine Pflegefamilie gekommen. Dort hat sie begonnen zu rauchen, zu trinken und Drogen zu nehmen. Sie wollte Anwälte werden, solange sie die Sicherheit ihrer Familie gespürt hatte. Doch mit ihrer Sicherheit, verlor sie auch ihre Träume. Sie wurde schwanger, verlor das Kind aber wegen dem Stress.
Hier in Österreich habe ich einen Sohn, er ist auf dem einen Auge blind, auf dem anderen sieht er kaum. Meine Tochter ist 25 Jahre alt. Sie ist vollzeitbeschäftigt, sie ernährt uns. Sie zahlt die Miete und so leben wir. Das ist gut. Ich habe eine Tochter in Ungarn, die vier Kinder hat und zu hause hungern muss. Sie möchte nicht nach Österreich. Sie ist zu hause geboren und möchte zu hause sterben.
Nach allen Tragödien, die uns widerfahren sind, habe ich mir überlegt, wie es wäre, ein Maschinengewehr zu kaufen und mich zu rächen. Doch als ich in die Augen meiner Kinder blickte, überkam mich Schande. Sie gaben mir Kraft, so wie die Worte meines Vaters mir Kraft gaben: Wir haben kein Recht einem anderen Menschen Leid zuzufügen. Denn die Menschen hat Gott erschaffen und so gehören sie ihm, wie auch die Rache ihm gehört. Jetzt denke ich lieber darüber nach, wie man den Rassismus beenden könnte. Ich komme zu dem Schluss, dass man ihn zwar nicht beenden, doch sicher mildern könnte. Und darum bemühen sich die Gesellschaft Bedrohter Völker, Romano Centro und die Volkshilfe. Leider Gottes brauchen wir solche Institutionen immer noch.
Ich weiß, dass wir in schweren Zeiten leben. Ich weiß, wie es ist, wenn man seinem Kind nichts zu essen geben kann. So kommen die schlechten Gedanken. Jeder, der sich in dieser Lage befindet, sollte durchhalten, die Zähne zusammenbeißen und auf Gott vertrauen, denn er zeigt uns den Weg und gibt uns Kraft. Auch uns hat er den Weg gezeigt und jetzt sind wir hier in Österreich. Ich danke Gott, dass er die Leute, die uns geholfen haben, auf unseren Weg geleitet hat. Ich liebe alle Menschen, nur das hasse ich, was sie mit ihren Mitmenschen machen. Vielen Dank.
Unterstützende Organisationen der Kundgebung :: Ketani (Linz), :: Volkshochschule der Burgenländischen Roma, Voice of Diversity, :: Verein Roma Service Kleinbachselten/Burgenland, :: Gesellschaft für bedrohte Völker, :: ZARA u.a.
Quelle :: buendiabee.wordpress.com, 06. Oct 2013
Respekt für Roma und Sinti!
Utl. Mit RomavertreterInnen, Plakaten von Marika Schmiedt und Konzert von Harri Stojka
Presseaussendung vom 4. Oktober 2013
Österreich beteiligt sich erstmals aktiv am seit 2011 europaweit stattfindenden "Tag der Würde der Roma und Sinti". Romano Centro und SOS Mitmensch veranstalten am Sonntag von 14.00 bis 16.00 Uhr neben dem Wiener Burgtheater die Kundgebung "Respekt für Roma und Sinti!". Es soll ein Zeichen gegen den zunehmenden Rassismus gegen Roma und Sinti in weiten Teilen Europas gesetzt werden.
Bei der Kundgebung, die von zahlreichen Organisationen unterstützt wird, werden unter anderem die ungarische Roma-Aktivistin Ágnes Daróczi und Miklós Rafael, der in Ungarn Opfer eines rassistischen Brandanschlags wurde, sprechen. Es werden auch die Plakate der Künstlerin Marika Schmiedt gezeigt, die in Linz nach Beschwerde einer ungarischen Nationalistin von der Polizei zerstört wurden. Den musikalischen Rahmen bildet ein Konzert von Harri Stojka. Bereits Samstagabend findet im Wiener Top-Kino die Vorführung des Films "Just the Wind" mit anschließendem Publikumsgespräch statt.
Bezug zu Ungarn und Tschechien
Die Kundgebung findet nicht zufällig in unmittelbarer Nähe zur Ungarischen Botschaft statt. Besonders in Ungarn sind die Entwicklungen der letzten Jahre mehr als bedenklich: Brandanschläge und Mordserien, Diskriminierung in allen Lebensbereichen und Aufmärsche von Rechtsradikalen in Roma-Siedlungen haben schon viele ungarische Roma dazu gebracht, das Land zu verlassen. Die aktuellen Entwicklungen in Tschechien, vor allem die Aufmärsche rechtsradikaler Gruppen, schaffen ebenfalls ein Klima der Angst, das Roma/Romnja dazu veranlasst, ihre Heimat zu verlassen. Österreich hat als Nachbarland die Verpflichtung, sich auf politischer Ebene für die Opfer von Rassismus einzusetzen und den Betroffenen in Österreich Unterstützung anzubieten.
"Vorurteile und Rassismus gegen Roma und Sinti sind in allen Ländern Europas weit verbreitet. Die letzten Jahrzehnte haben insbesondere in den zentral- und osteuropäischen Staaten eine Verschlechterung der sozialen Situation der Roma und eine Zunahme an Diskriminierung, rassistischer Rhetorik in Politik und Medien, Aufmärschen Rechtsradikaler sowie rassistisch motivierter Gewalt gebracht", so Andrea Härle, Geschäftsführerin von Romano Centro.
Österreich keine Insel der Seligen
"Auch in Österreich sind Vorurteile und Diskriminierung gegen Roma und Sinti noch immer Realität und bleiben oftmals unhinterfragt. Das hat konkrete negative Auswirkungen auf die Bildungs- und Arbeitsmarktchancen und die soziale Situation von Roma und Sinti in Österreich", so Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch
Vorurteile abbauen
Romano Centro und SOS Mitmensch fordern den Abbau von Vorurteilen und konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Situation von Roma und Sinti in Österreich und Europa. "Wir fordern Maßnahmen zur Schaffung von Chancengleichheit und zur Lösung sozialer Probleme. Wir fordern ein Ende der Ethnisierung sozialer Probleme. Es braucht konkrete Maßnahmen, die die Teilhabe der Roma und Sinti an gesellschaftlichen Gütern fördern", betont Härle.
"Alle Roma und Sinti haben das Recht, nach ihrer individuellen Persönlichkeit und ihren individuellen Handlungen beurteilt zu werden, und nicht nach gängigen Klischees. Es braucht Respekt für die Rechte und Würde der Roma - nicht irgendwann, sondern jetzt", betont Pollak.