Welchen Unterschied macht es eigentlich, ob private Sicherheitsfirmen oder Beamte das Migrationsregime und konkret den neuen Schubhäfn Vordernberg betreuen? Zwei Statements der Recherchegruppe Vordernberg, übernommen von linksunten.indymedia.
Das Österreichische Innenministerium hat einen 15-Jahresvertrag mit dem Unternehmen G4S zur Auslagerung von Sicherheits- und anderem Personal im neuen Schubhaftzentrum Vordernberg abgeschlossen. Es ist das erste Mal, dass der Staat diese Infrastruktur in solch einem Ausmaß auslagert.
Seit nun schon mehreren Jahren befindet sich das neue Schubhaftzentrum Vordernberg in Planung. Seit 2011 wird aktiv gebaut, die Fertigstellung ist für Ende dieses Jahres geplant. Nach einer 2-3 monatigen "Probezeit" in der die Angestellten eingeschult und der Betrieb getestet werden, soll die Anlage im Frühling 2014 in Betrieb gehen. Ausgelegt ist das Gebäude für ca. 200 Gefangene in mehreren voneinander getrennten halboffenen Abteilungen. Eine Neuerung wird mit hoher Wahrscheinlichkeit das Vorhandensein von Büros der jeweiligen Asylbehörden direkt vor Ort sein. Dadurch soll eine schnellere Abwicklung der Verfahren entstehen. Schnellere Verfahren werden von den Betroffenen langwieriger Asylprozesse schon lange gefordert, jedoch ist davon auszugehen, dass es in diesem Fall hauptsächlich darum geht, Menschen so schnell wie möglich abschieben zu können.
Vor Ort und in den Medien wurde das Zentrum häufig als Familienanstalt bezeichnet, tatsächlich ist der Großteil der vorhanden Zellen aber für einzelne Männer vorgesehen, die Frauen-, Familien- und Jugendlichenabteilungen nehmen etwa 25% des Raums in Anspruch. Im Architekturwettbewerb wurde mehrfach auf den "offenen" Charakter des Gebäudes hingewiesen, es wird als Vorzeigeprojekt für künftige InnerEUropäische Schubknäste gehandelt, während an den EU Außengrenzen und in Nordafrika die Grenze weiter militarisiert wird. Doch auch in Vordernberg handelt es sich dabei nicht um viel mehr als um die Rhetorik der Migrationsverwalter. Die Anlage steht viele Kilometer von der nächsten größeren Stadt (Leoben) entfernt, was die individuelle Unterstützung durch Besuche und unabhängige Rechtsberatung erschweren wird. Weiters ist in der Anstalt zwar ein offener Vollzug geplant, jedoch ist dieser durch die Grenzmauern des Gefängnisses und die ständig drohende Abschiebung gekennzeichnet. Das "Privileg" dieses Knasts soll zudem nicht jeder*m x-beliebigen Migrant*in zuteil werden sondern nur jenen, die keinen aktiven Widerstand leisten, sei es durch Hungerstreik, Selbstverletzung, Widerstand bei der Festnahme oder ähnliches. Es kann noch keine Aussage darüber getroffen werden, wie mit dem Vollzug in dieser Anlage, deren Abteilungen auch je eine Einzelzelle zur "allfälligen Disziplinierung" besitzen werden, wirklich umgegangen werden wird,
Mitte September wurde, möglicherweise als Wegweiser für die zukünftige Organisation von Abschiebungen, ein Großteil der Infrastruktur im neuen Gebäude dem Unternehmen G4S überantwortet. Im Gegensatz zur Auslagerung einzelner Tätigkeitsbereiche (meist: Küche, Gebäudetechnik und Reinigung) stellt diese Umfassende Ausweitung der Auslagerung auf Sicherheitspersonal, Medizinischer und Psychologischer Betreuung (!) sowie auf die angestellten Sozialarbeiter einen neuen Schritt in Richtung Privatisierung des Abschiebesystems dar. Für G4S ist diese Arbeit nichts neues: In England betreibt das Unternehmen bereits seit mehreren Jahren Abschiebeknäste aus denen ständig neue Meldungen über die Misshandlung von Inhaftierten aber auch über deren Widerstand gegen das unerträgliche Schubhaft- und Asylsystem nach außen dringen.
Weitere Stellungnahme der Recherchegruppe Vordernberg zu G4S und dem neuen Schubhaftzentrum Vordernberg:
In den letzten beiden Tagen kam es aufgrund der Protestaktion eines G4S-Billeteurs im Burgtheater sowie weiterer kursierender Artikel verstärkt zu einer Auseinandersetzung mit der geplanten Auslagerung von Arbeitskräften im neuen Schubhaftzentrum Vordernberg. In unserer ursprünglichen Notiz zu dieser Entwicklung schrieben wir G4S würde das Zentrum de facto übernehmen und stellten Vergleiche zu Schubhaftgefängnissen in England an. Diese zum Teil von der breiteren Medienlandschaft aufgegriffene Kritik wird nun vom Ministerium mit der Aussage kommentiert, es blieben sehr wohl sämtliche Aufgaben des "Hoheitsbereichs" in staatlicher Hand: 55 Exekutivbeamte werden in Vordernberg den Dienst versehen. Und sowieso sei die "Betreuung" in den Erstaufnahmezentren schon lange privatisiert, es sei also eigentlich eh alles ganz normal und "halb so wild". Wir möchten hier deshalb noch einmal konkreter auf diese Entwicklung eingehen:
Während das Ministerium bestätigt, dass es sich um ein -in diesem Bereich- neues Ausmaß an Auslagerung handelt, betont es zugleich, die Angestellten des privaten Sicherheitsunternehmens würden bloß in den "nicht hoheitlichen Bereichen" wie Küche, Reinigung oder Medizinischer Betreuung tätig sein. Für Küche und Reinigung sind hier die G4S Partnerunternehmen Lykos Gastro GmbH (voraussichtlich von außerhalb des Schubhaftzentrums) und IFMS Facility Management Service GmbH zuständig. Scheint es bezüglich der restlichen Tätigkeiten schon schon besonders zu sein, dass die Möglichkeit der Beschäftigung von Sozialarbeiter*innen und Psycholog*innen/Psychotherapeut*innen durch ein Unternehmen wie G4S in diesem Kontext überhaupt existiert, bleibt die Frage offen, welche Tätigkeiten all die Angestellten des "Unterstützungs- und Betreuungsdienstes", die G4S gerade anwirbt, übernehmen werden. Ausgeschrieben wurde der Auftrag im Mai dieses Jahres unter dem Titel: "Unterbringungs- und Bewachungsleistungen für das Schubhaftzentrum Vordernberg." Die Unterlagen der Auftragsvergabe legen im Übrigen nahe, dass es außer G4S vielleicht gar keine weiteren Bewerbungen für diesen Auftrag gegeben hat.
Was macht es eigentlich für einen Unterschied? Sind G4S Angestellte abgesehen von ihrer wahrscheinlich schlechteren Bezahlung und ihren prekäreren Verträgen etwa von Haus aus anders? Sind sie rassistischer oder brutaler als die staatlichen Exekutivbeamt*innen? Als Justizwache- oder Fremdenpolizeibeamt*innen, die in Österreich ebenso Leben von Migrant*innen auf dem Gewissen haben wie G4S Angestellte in England und von denen bekannt ist, wie rassistisch sich viele von ihnen tagtäglich in den staatlichen Haftanstalten gegenüber Inhaftierten verhalten?
Es geht nicht um eine individuelle Frage sondern um einen Prozess, in dem Österreich nicht autark, sondern im Verhältnis zu den anderen EU Ländern agiert. Bereits 1998 forderten ÖVP Abgeordnete mit Verweis auf England die totale Privatisierung des Schubhaftsystems. Nach der schrittweisen Auslagerung von Arbeitsbereichen ist der Staat dieser Forderung nun einen großen Schritt näher gekommen. Dass sich dabei auf die Verfassungsregelung als Grenze zur Vergabe hoheitlicher Tätigkeiten bezogen wird, ändert daran wenig. Die Auslagerung der Verwaltung des Migrationsregimes ist ein gesamtEUropäischer Prozess und nicht notgedrungen an G4S gebunden. Wie groß ist die Rolle, die Frontex heute an den Außengrenzen Europas spielt? Würden Italien, Griechenland, Spanien oder irgendein anderes europäisches Land behaupten, sie hätten ihre Grenzen ausgelagert? Nationale Grenzschutzbehörden existieren auch weiterhin und Frontex arbeitet auf dem Papier in "joint operations" brav mit ihnen zusammen. Gleichzeitig werden der Militäragentur im Lichte neuer Toter im Mittelmeer ständig weitere Befugnisse erteilt. Als österreichische Unternehmer vor einigen Jahren mit "Asylum Airlines" eine private Abschiebe-Fluglinie gründen wollten, wurden sie von vielen Seiten belächelt. Inzwischen wird darüber debattiert Frontex für diese Aufgabe Flugzeuge zur Verfügung zu stellen um das Protestrisiko der Linien- und Charterabschiebungen zu minimieren. Auch in Vordernberg wurde überlegt, den naheliegenden Privatflughafen Zeltweg für Abschiebungen zu nutzen. Diese Idee scheint aber bisher nicht weiterverfolgt worden zu sein.