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[ 28. Dec 2013 ]

Ein Jahr nach der gewaltsamen Räumung des Refugee Camp Vienna

Refugee Camp Vienna

Vor genau einem Jahr, am 28. Dezember 2012, um etwa 4 Uhr in der Nacht, wurde das Refugee Camp vor der Votivkirche in Wien polizeilich geräumt.

 

Ein Artikel der :: ÖH Uni Wien zum einjährigen "Jubiläum" der Räumung


Wie mit (Un)Recht Protest verhindert wird - Zur Maßnahmenbeschwerde gegen die Räumung

Das Protest-Camp der Refugees vor der Votivkirche im Sigmund-Freud-Park steht nun schon seit genau einem Jahr nicht mehr. Am 28. Dezember 2012 um vier Uhr nachts wurde diese weithin sichtbare Anklage gegen die unmenschlichen Asylbedingungen in Österreich und Europa aus dem Stadtbild Wiens getilgt. Errichtet wurde es von Refugees und Unterstützer*innen am 24. November 2012 im Zuge eines Marsches, mit dem die Asylwerbenden ihre Anliegen vom abgelegenen Asylerstaufnahmezentrum Traiskirchen in die Hauptstadt gebracht haben. Wochen der Proteste, Gespräche und des sichtbaren Widerstandes folgten.

Bemerkenswert ist, dass für die protestierenden Refugees eine kleine selbstverwaltete Zeltstadt mitten im Winter bereits mehr Selbstbestimmung über ihr Leben bedeutet, als die menschenverachtende Unterbringung im chronisch überfüllten und streng bewachten Lager in Traiskirchen. Das Camp bot doch immerhin die Möglichkeit des Austausches und der Sichtbarmachung der Situation der Asylwerbenden - und war damit offensichtlich sowohl der Polizei als auch der Stadtverwaltung und Regierung von Anfang an ein Dorn im Auge.

Räumung mit allen Mitteln

Aufgrund von Kälte und Witterung suchten die Bewohner des Camps am 18. Dezember 2012 die Votivkirche als Zufluchtsstätte neben dem Camp auf. Das Camp blieb als Symbol des Kampfes bestehen und war auch weiterhin als Versammlungsort, Schlafstätte, Informations- und Koordinationszentrum und als Ort der Begegnung zentral.

In der Nacht vom 28. Dezember wurde das Camp von der Polizei umstellt, die Anwesenden wurden durch die Aufforderung geweckt, den Platz binnen weniger Minuten zu verlassen. Anschließend begann die Zerstörung des Camps: Polizist_innen rissen kleinere Zelte nieder, mit einem LKW-Greifarmen wurden größere Zelte, Tische und sonstiges Material schlichtweg zerquetscht und verladen. Der Zeitpunkt für den Repressionsschlag war gut gewählt: Die Polizei vermutete wohl in den (Weihnachts-)feiertagen eine geringe Präsenz von Unterstützer*innen und Medien.

Alles "rechtmäßig"? Räumung mit "Tourismus-Gesetz"

Seit der Errichtung war das Camp im Sigmund-Freud-Park als politische Protestkundgebung im Sinne des Versammlungsgesetzes angemeldet, in der Nacht der Räumung war die ÖH Uni Wien Anmelderin. Ohne Versuch der Kontaktaufnahme zu den Ansprechpersonen schien sich die Wiener Polizei ab dem 28.12. für eine Nichtbeachtung der Versammlungsfreiheit entschieden zu haben.

Gegen diesen Schritt und die brutalen Konsequenzen brachte die ÖH Uni Wien eine Maßnahmenbeschwerde beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien gegen die Landespolizeidirektion ein. In dieser Verhandlung sollte sich herausstellen, dass ausschließlich im Rahmen der "Kampierverordnung" der Stadt Wien gegen das Camp vorgegangen worden sei (begleitet von fremdenpolizeilichen Maßnahmen).

In der auf Sauberkeit und Ordnung bedachten Bundeshauptstadt stellt die 1985 erlassene Kampierverordung ein Instrument zur Diskriminierung und Kriminalisierung jeglicher Wohnformen außerhalb von vier Mauern und einem Dach, also außerhalb von Miet- und Eigentumsverhältnissen dar.

Wie vor kurzem bei der Räumung von Obdachlosen im Stadtpark und der Zerstörung deren Schlafbehelfe und -säcke scheint im Nachhinein diese Wiener Kosmetikverordnung eine praktikable Grundlage für das Unsichtbar-Machen von Armut und sozialen Missständen zu sein.

Stadt Wien und Exekutive Hand in Hand

Genau wie bei der Räumung im Stadtpark ergänzten sich bei der Zerstörung des Refugeecamps die Stadtverwaltung und die Polizei perfekt: Laut Herrn Zwettler, Leiter des "Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung", endete mit der Durchsage der Wegweisung der Anwesenden, den Personenkontrollen und Schikanen nach dem Fremdenrecht, die Zuständigkeit der Polizei.

Und die Bagger im Auftrag der MA 48, zynischer- und bezeichnenderweise zuständig für "Abfallwirtschaft und Straßenreinigung", exekutierten die weitere Zerstörung und Entsorgung des Versammlungsortes der größten selbstorganisierten Flüchtlingsbewegung Österreichs.

Politische Willkür der Stadtverwaltung

Nicht nur, dass die plötzliche Aberkennung des Versammlungsstatus in der Dunkelheit der Nacht nach wochenlangem Bestehen des Camps für die dadurch unmittelbar repressionsbetroffenen Protestierenden weder vorherseh- noch nachvollziehbar war - sie offenbart auch eine besonders perfide Strategie der rot-grün regierten Stadt Wien: Nachdem ein :: Video von der Räumung selbst im eingeschneiten Österreich für Empörung sorgt, wurde die heiße Kartoffel der Verantwortung im Behördendschungel hin und her gereicht. Noch am selben Tag verlautbarte etwa der Menschenrechtssprecher der Wiener Grünen, Klaus Werner-Lobo, die Stadtregierung habe die Räumung nicht verlangt und von ihr im Vorfeld nichts gewusst, während die Polizei das Gegenteil behauptete. Die Grünen verharrten in passiver Empörung über das angeblich autonome Handeln ihrer Abfallbehörde, was sich auch nicht änderte, als der Koalitionspartner Häupl klarstellte: "Ich habe selbstverständlich davon gewusst". Beide Parteien konnten ihr Image pflegen: Die naive, aber machtlose wir-würden-wenn-wir-nur-könnten-Partei auf der grünen Seite und die rassistische Law-and-Order-Politik einer starken Hand auf der roten. Zuckerbrot und Baggerspiel als (Medien)strategie für eine Politik die Geflüchtete kriminialisiert, verdrängt und abschiebt.

"Offenkundige Missachtung der Rechte" - Klage trotzdem abgewiesen

Spannend ist, dass es erst rechtlicher Schritte bedarf, um Klarheit darüber zu erlangen, wer hier die Finger im Spiel hat und wer welche Weisungen ausgibt. Die Strategie geht jedoch auch juristisch auf: Obwohl der Unabhängige Verwaltungssenat die offenkundige Missachtung der Rechte Dritter bei der "Entfernung der Gegenstände" aus dem Camp feststellte, wurde die Maßnahmenbeschwerde abgewiesen, weil sie sich gegen die Polizei und nicht das "zuständige" Magistrat wendete. Gezielte Desinformation bewährt sich anscheinend.

Von Recht und Gerechtigkeit

Dass im Rechtsstaat Recht mit Gerechtigkeit wenig bis nichts zu tun hat, ist wohl allen bewusst, die ein wenig das Tagesgeschehen nachvollziehen. Und dass Recht zu bekommen (oder auch nicht) mit ungeheurem finanziellen Aufwand verbunden ist, ist allen bekannt, die schon einmal mit selbigem in "Konflikt" geraten sind. Juristische Schritte gegen Staat und Polizei können vielleicht darin helfen, diese manchmal an das Vorhandensein von Schranken zumindest zu erinnern und die Behörden beschäftigt zu halten. Im Hinblick auf soziale Bewegungen müssen stärker denn je Aktionsformen ins Auge gefasst werden, die die Verhältnisse auch direkt angreifen.