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[ 21. Apr 2014 ]

Flüchtlingsproteste in Berlin: Nach der Baumbesetzung

Am Dienstag, den 8. April 2014 wurde das Protestcamp der Flüchtlinge auf dem Oranienplatz, Berlin geräumt. Nach einem langen Prozess der Spaltung der Campbewohner_innen durch die Berliner Politik war diese Räumung das geplante und gewünschte Ergebnis:

 

Geflüchtete zerstören gewaltsam die Zelte und Hütten von anderen Geflüchteten um in den Genuss erhoffter Versprechungen zu gelangen. Politik und Polizei hielten sich fast einen ganzen Tag lang heraus, eine Gruppe der Geflüchteten erledigte diese Aufgabe für sie. Bewusst wurde von offizieller Seite ein rechtsfreier Raum nicht nur in kauf genommen, sondern befördert. In der Vereinbarung heißt es dazu: "Die Flüchtlinge organisieren selbständig den Abbau der Zelte bzw. Unterkünfte" und es "erfolgt nach Abbau der Zelte am Oranienplatz ... auf Antrag eine umfassende Überprüfung der Einzelfallverfahren im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten."

Wir kennen die Methode aus kolonialen Zusammenhängen: Die einzelnen Gruppen unter den Flüchtlingen selbst werden gegeneinander ausgespielt, indem man ihnen dies oder jenes verspricht. Die letzten drei Zelte, die von ihren Bewohner_innen gegen dieses aggressive Vorgehen gerettet werden konnten, wurden später von der BSR zerstört.

Währenddessen feiert das politische Establishment sich selbst: Sowohl Monika Herrmann (Bezirksbürger_innenmeisterin für Friedrichshain-Kreuzberg) als auch Dilek Kolat (Berliner Senatorin für Integration, Frauen und Arbeit und Verhandlungsführerin für den Senat in den Gesprächen mit den Flüchtlingen vom Oranienplatz) feierten den "erfolgreichen" Abbau des Camps vermeintlich durch die Bewohner_innen selbst. Die Regierungserklärung zur Berliner Flüchtlingspolitik von Klaus Wowereit (Regierender Bürger_innenmeister Berlin) am Donnerstag, den 10.04. stieß in dasselbe Horn und machte deutlich, dass es immer nur darum ging, kritische Proteste zu unterdrücken und nie darum, eine menschenwürdige Politik umzusetzen: "Berlin wird es in Zukunft nicht dulden, dass öffentliche Plätze zu Zeltlagern umfunktioniert werden."

Schon bei der Pressekonferenz des Senats zu den Ergebnissen und noch mehr im Zusammenhang der Räumung wird klar, dass die getroffene Vereinbarung vom Senat einseitig ausgelegt wird: Die Vorgehensweise beim Abbau zeigt dies deutlich. Die Vereinbarung besagt auch: "Der Oranienplatz bleibt als Informations- und Protestplattform für die Rechte der Flüchtlinge erhalten." Diese Zusagen werden jetzt schon nicht mehr eingehalten. Das Abkommen enthält auch zu den weiteren Punkten keine Garantien und besteht weitgehend aus Absichtserklärungen.

Aus diesem Grund haben wir einen Baum auf dem Oranienplatz besetzt - gegen den Versuch der Polizei, die Besetzung durch die Verweigerung von Nahrung, Wasser, medizinischer Versorgung etc. Schon für Mittwoch wurde den Besetzer_innen zugesagt, ein Gespräch mit Frau Kolat zu führen. Diese Zusage wurde erst am 11.04., am fünften Tag der Baumbesetzung, erfüllt. Folgende Forderungen richten wir an den Senat:

    1. Der völlig unzureichende Container, der als Infopoint hingestellt wurde, muss durch einen angemessen großen Infopoint ersetzt werden.

    2. So wie es immer Bestandteil der Verhandlungen war, muss das sogenannte Zirkuszelt wieder hergestellt werden.

    3. Für die Flüchtlinge, die keine Unterkunft in dem komplett überfüllten Gebäude in der Gürtelstraße gefunden haben, müssen wieder Zelte aufgebaut werden, um sie nicht der Obdachlosigkeit zu überlassen.
Diese Forderungen bewegen sich im Rahmen der Vereinbarungen, so wie sie bisher kommuniziert wurden. Sie bilden den nötigen Rahmen zur weiteren Arbeit an den Forderungen u. a. nach Abschaffung der Residenzpflicht, von Lagern und einem Ende der gängigen Abschiebepraxis. Wir fordern damit nicht mehr und nicht weniger als die Einhaltung der Abmachungen, die die Vertreter_innen des Berliner Senats selbst unterschrieben haben.

Am Samstag, den 11.04. gegen 22:30 Uhr ist Napuli, die seit Mittwochabend die Besetzung alleine weiterführte, vom Baum gestiegen, nachdem ein verbesserter Infopoint und das Zirkuszelt schriftlich von Dilek Kolat zugesagt wurden. Wir werten dies als Erfolg.

Dilek Kolat schreibt auf Facebook: "Ich bin froh, dass nun auch mit Napuli der Dialog möglich und ihre Gesundheit nicht mehr gefährdet ist." Ein Dialog mit den Baumbesetzer_innen fand unter extremster Gefährdung von Napulis Leben fünf Tage lang nicht statt, obwohl Frau Kolat durchgehend zu Gesprächen aufgefordert war. Wir fordern ernsthafte Gespräche, die Einhaltung von Vereinbarungen und eine menschenwürdige Politik statt pure Absichtserklärungen und taktische Manöver!

Zurzeit findet immer noch ein Hungerstreik am Oranienplatz statt, der am Mittwoch, den 9. April 2014 in Solidarität mit der Baumbesetzung begonnen hat. Der Kampf um eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik geht weiter. Der Oranienplatz ist tot? Lang lebe der Oranienplatz!

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