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[ 08. Dec 2014 ]

Das Ende der Fluchthilfe

Ein Kommentar zum "Schlepperei"-Prozess in Wiener Neustadt. In der 'Wiener Zeitung' wird die Entwicklung der relevanten juristischen Paragraphen und die Wandlung eines positiv besetzten Begriffs hin zu einem kriminellen Tatbestand nachgezeichnet.

 

Das Ende der Fluchthilfe
Aus fünf Gesetzesnovellen wurde ein mit hohen Strafen geahndeter krimineller Tatbestand.


Wien. Einen Bekannten zum Zug gebracht. Schuldig. Einem Freund etwas zu essen gegeben. Schuldig. Über das Internet eine Mitfahrgelegenheit besorgt. Schuldig. Es sind Gefälligkeiten wie diese gewesen, die Donnerstagnacht in Wiener Neustadt zu sieben Schuldsprüchen nach Paragraf 114 des Fremdenpolizeigesetzes geführt haben: Schlepperei.

Die Geldbeträge, die im Zuge dieser Gefälligkeiten übergeben wurden, waren minimal, teilweise deckten sie nicht den Aufwand. Aber das war in diesem Prozess juristisch unbedeutend. Selbst die Anwälte der angeklagten Asylwerber aus Pakistan, Indien und Afghanistan rechneten mit Schuldsprüchen, auf Freisprüche hofften sie maximal.

"Ein Schlepper ist ein Unternehmer, der auf Profit aus ist. Die auf der Anklagebank sitzenden Männer sind das nicht, sie sind vielmehr eine Schicksalsgemeinschaft, die darauf angewiesen war, sich wechselseitig zu helfen", sagte Verteidiger Lennart Binder bei seinem Plädoyer. Im Gesetz ist jedoch keine Bagatellgrenze enthalten, es differenziert nicht, ob 10 oder 1000 Euro bezahlt werden. Und es differenziert auch nicht mehr zwischen Fluchthilfe und Schlepperei. Die nicht rechtskräftig Verurteilten hatten die anderen Asylwerber nicht über die Grenze gebracht und auch nicht ihre Flucht von Österreich aus organisiert, sie halfen ihren Bekannten nur, als sie da waren. Das reicht laut Gesetz:

"Wer die rechtswidrige Einreise oder Durchreise eines Fremden (. . .) mit dem Vorsatz fördert, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, ist vom Gericht mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen."

Die Ungenauigkeit in der Formulierung ist ein Kritikpunkt, der von den Anwälten nach dem Urteil moniert wurde. "Das ist sehr allgemein gehalten. Wenn ich jemandem sage, wo die U-Bahn ist, kann das schon als fördern ausgelegt werden", sagt Clemens Lahner, einer der Verteidiger.

1990 nur Verwaltungsstrafe
Rechtspolitisch interessant ist, wie über mehr als zwei Jahrzehnte der Tatbestand der Fluchthilfe kriminalisiert wurde. Vor dem Fall des Eisernen Vorhangs war das Schleppen "um seines Vorteiles willen" noch eine Verwaltungsstrafe (bis 50.000 Schilling), lediglich im Wiederholungsfall und bei Gewerbsmäßigkeit waren Freiheitsstrafen vorgesehen.

Im Jahr 1992, während des Jugoslawienkrieges, wurde die Bestimmung insofern verschärft, als jegliche Förderung, also auch ohne eigenen Vorteil, mit einer Verwaltungsstrafe belegt wurde. Schlepperei wurde in dieser Gesetzesfassung auch zum ersten Mal definiert, und zwar als "Förderung der rechtswidrigen Ein- oder Ausreise eines Fremden". Diese Formulierung hat mit einer wichtigen Ausnahme bis heute Bestand. Aber dazu später.

1995 trat Österreich der EU bei, zwei Jahre später öffneten sich die Grenzen nach Deutschland und Italien. Noch davor reagierte die rot-schwarze Regierung auf die erwarteten Herausforderungen, indem auch der Versuch des Schleppens ins Gesetz geschrieben wurde. Schlepperbanden werden seit damals auch als kriminelle Organisationen eingestuft.

Das durchaus positiv besetzte Bild von Fluchthelfern, die Menschen aus dem Ostblock in den Westen schleusten, war zu dem Zeitpunkt aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Schlepper waren Kriminelle, die Hilfsbedürftige ausnutzten und sie Gefahren aussetzten. Im März 2000 ertranken vier Flüchtlinge aus Pakistan an der österreichisch Grenze in der Donau, tags darauf verkündete der damalige Innenminister Ernst Strasser eine Verschärfung des Gesetzes.

2000 erstmals Haftstrafe
Unter Schwarz-Blau wurde Schlepperei dann erstmals auch ohne Gewerbsmäßigkeit strafrechtlich relevant und mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr belegt, wobei auch noch eine Geldstrafe eine Option war. Die Novelle war heftig umstritten, unter anderem warnte Caritas-Direktor Michael Landau damals: "Wenn ein Sohn seine alte Mutter nur mithilfe eines Schleppers aus einem Kriegsgebiet retten kann, dann fordert die Regierung, dass dieser Sohn vor Gericht gestellt wird." Um solche Fälle zu verhindern, wurde im Gesetz dann eine Bagatellegrenze festgeschrieben ("nicht bloß geringfügiger Vermögensvorteil").

Wäre der damalige Paragraf noch heute in Kraft, wären die Verfahren in Wiener Neustadt anders ausgegangen. "Viele Anklagepunkte wären wohl entfallen, beziehungsweise hätte es noch wesentlich mehr Freisprüche zu einzelnen Punkten gegeben, wenn ein Taschengeld von zehn Euro nicht kriminalisiert würde", sagt Anwalt Lahner.

Doch 2005 wurde das Gesetz erneut geändert, ebenfalls unter Schwarz-Blau, aber mit Zustimmung der SPÖ. Hintergrund bei der Verschärfung: die EU-Osterweiterung, der Wegfall von Grenzen und die Angst vor unkontrollierbarer Zuwanderung. Da damals eine Reihe von Fremden- und Asylgesetzen novelliert wurde, ging unter, dass die Bagatellegrenze gestrichen wurde. Fünf Jahre lang war überhaupt kein Geldbezug festgeschrieben, er wurde erst 2010 wieder aufgenommen - aber ohne Bagatellegrenze. Gleichzeitig wurde der Strafrahmen auf bis zu zwei Jahre erhöht und die Definition der Schlepperei um das Wort "Durchreise" ergänzt. Das war auch von Bedeutung in Wiener Neustadt.

Europa hat sich vor allem seit der juristischen Zäsur im Jahr 2000 verändert, doch dieser Umstand wird im Gesetz nicht berücksichtigt. Wer früher schleppte, half dabei, eine bewachte Landesgrenze nach Österreich zu überwinden. Heute macht sich hingegen bereits strafbar, wer einen Landsmann, der es irgendwie in die EU geschafft hat und weiterreisen will, bei sich übernachten lässt und zehn Euro für das Essen kassiert. So wie bei den verurteilten Asylwerbern.

Die Abgeordnete der Grünen, Alev Korun, kündigte am Freitag eine parlamentarische Initiative auf eine Gesetzesänderung an. "Dieses Gesetz führt zu solchen Zuständen und gehört geändert", sagt sie. Vertreter der Regierungsparteien wollten der "Wiener Zeitung" dazu keine Stellungnahme abgeben.

Der Artikel erschien zuerst in der :: Wiener Zeitung vom 05.12.2014