Bericht und Analyse aus dem TATblatt über die ersten beiden Wochen nach dem Tode Marcus Omofumas - mit Bericht über die Demos und Aktionen am 8. und 12. Mai 1999.
In der letzten Ausgabe des TATblatt beendeten wir den Artikel "Die Straße gehört uns! Spontane Aktionen gegen Rassismus" mit dem Satz: "In den nächsten Tagen sind weitere spontane Kundgebungen zu erwarten, die zumindest den Rücktritt des Innenministers zum Ziel haben." Die spontanen Kundgebungen sind derweilen unter Nichtbeachtung seitens der gleichgeschalteten Medien in diesem Land weitergegangen. Vom Rücktritt des Innenministers dagegen ist kaum die Rede. Die Forderung, einen Mann wie Karl Schlögl seines Amtes als Boss der Österreichischen Polizei zu entheben, fand nicht einmal Eingang ins Parlament. Dort wurde vielmehr über die "Andersartigkeit" der Menschen mit schwarzer Hautfarbe diskutiert (vgl. Meldung der Rubrik "Achtung Staatsgrenze!"). Ein Umstand, der eines klarstellt: Mit den ParlamentarierInnen ist, wenn es um die Umsetzung elementarer Rechte für Menschen ohne Österreichische StaatsbürgerInnenschaft geht, nicht zu rechnen.
In unterschiedlichsten Aktionsformen wurde der Wille von AntirassistInnen dann immer wieder benannt. Spontane Aktionen und angemeldete Demonstrationen gab es ebenso wie eine Mahnwache vor dem Innenministerium.
"Wir sind nicht gefährlich - Wir sind in Gefahr."
Das grösste Ereignis bisher war die Demonstration am Samstag, dem 8. Mai 1999. Am Aufgang der U-Bahnstation Kettenbrückengasse sammelten sich ab 12.30 Uhr die unterschiedlichsten Menschen, die vorher wohl noch nie gemeinsam auf einer Demonstration waren. Entschlossenheit und der Wille zur Veränderung lagen in der Luft, die erfüllt war von Aussagen, die so klar waren, wie schon lange nicht mehr auf Demonstrationen in Wien. 3.000 Menschen spazierten vier Stunden durch Wien, wiesen darauf hin, dass der Tod Marcus Omofumas keinen Einzelfall darstellt, die Polizei strukturell für Rassismus verantwortlich ist, legitimiert durch entsprechende politische Gesetze. Ö3 berichtete halbstündlich von einer Demonstration gegen die Polizei - was untertrieben ist. Vor der offensichtlich schon in den Tagen oder Nächten davor mit Farbbeuteln bedachten Niederlassung der Balkan-Air wurde auf die Beteiligung der Fluglinien an der Abschiebepraxis hingewiesen. Da Österreichs Vorzeigepilot und "Kriegsdienstverweigerer" (oder besser "Drückeberger") Niki Lauda sich sinngemäss damit brüstet, mittels seiner Fluglinie Abschiebungen durchzuführen, wurde am Opernring kurz halt gemacht. Die Polizei stand schützend vor der Niederlassung der Fluglinie.
Rassistische Bemerkungen seitens herumstehender MehrheitsösterreicherInnen, zufällige ZeugInnen der Demo, wurden sofort beantwortet. Sogar die Staatspolizei musste sich mehrmals schützend vor RassistInnen stellen und die klaren Worte in Empfang zu nehmen.
Die Stimmung war sehr gut und wurde immer besser, bis vor dem Bundekanzleramt einige PolizistInnen erleben mussten, in der Minderheit zu sein. Die ständigen Sprüche von Schwarzen wie: "Polizei Arschloch!" erzeugten eine widerständige Atmosphäre. Die auf Deeskalation eingestellte Polizei war in der Defensive, als ca. 1.000 Menschen vor dem Bundeskanzleramt halt machten, während die restliche Demo langsam weiterzog. Die Umkehrung der alltäglichen Situation war das auffallendste an diesem Ort. Waren es zuvor einzelne Menschen aus der Demonstration gewesen, die ihren Unmut über die Praxis der Polizei kund taten, waren es nun viele, die gemeinsam protestierten - von einem Angriff zu sprechen ist nicht ganz untertrieben. Kurze Zeit später sammelte sich der inzwischen weit auseinandergerissene Demozug wieder und es ging weiter zum Innenministerium. Dort fand bereits seit einigen Tagen eine Mahnwache in Gedenken an Marcus Omofuma statt. Die Mahnwachenden befanden sich kurioserweise hinter der Absperrung der Polizei. Der friedliche Protest wurde durch eine lautstarke Demonstration unterstützt. Nach einigen Redebeiträgen zog die Demonstration weiter zur Abschlusskundgebung am Stephansplatz.
Die Demonstration zeigte sehr deutlich für alle Beteiligten und umstehenden Menschen auf, wie die reale Situation aussieht. "Wir sind nicht gefährlich - Wir sind in Gefahr." Mit dieser Parole erzeugten ein halbes Jahr zuvor in Belgien Menschen auf der Strasse jenen Druck, der zu Umwälzungen in der Regierung führte. Auch wenn der Widerstand in Belgien nicht dazu führte, dass das rassistische Abschottungssystem aus den Angeln gehoben wurde, wurden doch einige PolitikerInnen zur Verantwortung gezogen.
Demokratisches Österreich
Ein breites Spektrum an Gruppierungen und unorganisierten Einzelpersonen hat sich in den letzten beiden Wochen in Wien zusammengefunden. Eines wurde in den zahlreichen Aktionen und Diskussionen immer deutlicher: Der Kampf gegen jede Form der Unterdrückung muss gemeinsam geführt werden.
Wie diese Gemeinsamkeit aussieht, wurde des Öfteren deutlich. Die Kundgebung von SOS-Mitmensch am Mittwoch, dem 12. Mai, wurde von zahlreichen Gruppen der afrikanischen Community "boykottiert". Grund ist nicht, dass eine Spaltung des antirassistischen Widerstandes erzielt werden soll, sondern vielmehr, dass eben genau diese Spaltung verhindert werden soll. Die Politik von SOS-Mitmensch zielte klar darauf ab, die "Betroffenen" zu vereinnahmen und zu präsentieren, während die Rahmenbedingungen vorgegeben werden. Sie sollen in das demokratische Bild passen, das besonders in Vorwahlzeiten von liberalgrünrot geprägt wird. So verwundert es nicht, dass aus der Forderung des Rücktrittes von Karl Schlögl eine höfliche Aufforderung wurde: "Herr Innenminister Schlögl - wir fordern sie höflichst dazu auf, zurückzutreten" verkündete der Sprecher von SOS-Mitmensch eine der "treffenden" Parolen von der Bühne. Zuvor wurde schon darauf hingewiesen, dass es nicht erwünscht sei, mit Transparenten und Parolen an der Kundgebung des "demokratischen Österreich" teilzunehmen.
Freiheit für alle Schubhäftlinge
Etwas lautstarker als die Kundgebung von SOS-Mitmensch, an der etwa 600 Menschen teilnahmen, war die bereits zwei Stunden vorher stattfindende Demonstration vor dem Polizeigefangenenhaus Rossauer Lände. Mit dem "Appell an alle Schubhäfn: Löst euch auf. Im Gedenken an Marcus Omofuma" wurde zu einer Solidaritätskundgebung mit den gefangenen Menschen aufgerufen. Der Aufruf, Lärminstrumente mitzunehmen, damit die Gefangenen im Inneren davon hören, dass nicht alle gegen sie sind, wurde von 150 Menschen in die Tat umgesetzt.
Diese Aktion war Teil eines internationalen Aktionstages für Marcus Omofuma. Im Aufruf der Rosa Antifa Wien dazu steht: "Der Innenminister wird bedingungslos unterstützt und behauptet natürlich von solchen Abschiebe-Methoden nichts gewusst zu haben, obwohl während seiner Amtszeit ein Gerichts-Bescheid ausgegeben wurde, der es verbietet, Menschen den Mund zu verkleben. Knebelungen werden nicht mehr vorkommen, sagt der Minister, und in Zukunft werden Sturzhelme bei Abschiebungen eingesetzt, denn diese "würden Schreie ersticken und Bissattacken vermeiden" [Offiziell wurde von diesem Vorhaben wieder Abstand genommen; Anm. TATblatt]. Statt "normal" rassistischen Beamten sollen jetzt u.a. Polizisten von der berüchtigten Wiener Spezialeinheit WEGA Abschiebungen durchführen, weil sie "psychologisch geschult" [... seien. Wie sie das sind] zeigen sie immer wieder durch extreme Brutalität bei ihren Einsätzen und durch ihren ideologischen Hintergrund: Bei Personalvertretungswahlen erreicht die Polizeigewerkschaft AUF der rechtsextremen FPÖ [... bis zu] 80% der Stimmen unter den WEGA-Polzisten." Da in Österreich jeder Widerstand von Politik und Medien totgeschwiegen wird, soll durch internationalen Druck mit dazu beigetragen werden, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Karl Schlögl wird von seiner Partei, der SPÖ, und insbesondere den Freiheitlichen voll gedeckt und in Schutz genommen. Kein Wunder, wird doch von den einen jene Politik seit Jahren aus der Rolle einer Oppositonspartei gefordert und von den anderen bereitwillig umgesetzt.
Internationale Aktionen
Wovon wir erfahren haben: In Frankreich hatten sans papiers den Österreichischen Botschafter aufgesucht, um gegen den Tod von Marcus Omofuma zu protestieren. Aus England gab es massive, aus Deutschland vereinzelte Faxproteste.
Weiter Aktivitäten
Bereits jetzt steht fest, dass am 5. Juni eine bundesweite Demonstration stattfinden soll. Interessierte wenden sich an untenstehende Adresse. Bis auf weiteres findet von Montag bis Freitag von 13.00 bis 17.00 eine Mahnwache vor dem Innenministerium in der Wiener Herrengasse statt. Menschen, die sich daran beteiligen wollen, sind hiermit aufgerufen, für ein paar Stunden dort vorbeizuschauen.
Da es Widerstand aus verschiedensten Seiten gibt und der Protest der Strasse nicht bis zur nächsten grossen Demo Anfang Juni beendet sein soll, sind speziell kleinere, spontane Aktionen gefragt. Die Aktivitäten der letzten Wochen zeigen, dass es möglich ist, sich Gehör zu verschaffen, ohne auf die bürgerlichen Medien angewiesen zu sein. Eine radikale Änderung der menschenverachtenden Politik in Europa bedarf einer radikalen Opposition, die nicht darauf abzielt, nach den nächsten Wahlen selbst an der Macht zu sein.