"Gemäß § 43 Abs 2 Z 2 BFA-VG ist eine Versorgung in einer Bundeseinrichtung derzeit nicht möglich." Diese und ähnlich lautende Mitteilung erhalten derzeit tausende Flüchtlinge, die in Österreich einen Asylantrag stellen und werden so vom Innenministerium in die Obdachlosigkeit verbannt.
Neue Gesetzeslage
Mitte Juli 2015 ist das :: Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015 in Kraft getreten. Eine wesentliche Änderung ist, dass der Antrag von AsylwerberInnen anfangs direkt bei der Polizei behandelt wird und die AsylwerberInnen am Anfang ihres Asylverfahrens nicht mehr zwangsläufig in den Erstaufnahmestellen :: Traiskirchen in Niederösterreich oder Thalham in Oberösterreich, sondern auch in Regional-Betreuungseinrichtungen in anderen Bundesländern untergebracht werden können.
In Wien war es in den letzten Monaten Praxis Flüchtlinge, die einen Asylantrag stellen, in den beiden Polizeianhaltezentren (= Polizeigefängnis) Rossauer Lände und Hernalser Gürtel für 48 Stunden in einer Zelle einzusperren!
Ich habe in den letzten Wochen sicher ein dutzend AsylwerberInnen getroffen, die traumatisiert und erschöpft davon waren, dass sie sich nach Ihrer Einreise in Österreich Asyl erhofften, aber in einer Gefängniszelle landeten und danach auf die Straße gesetzt wurden. Eine Gruppe von fünf Irakern hat mir sogar berichtet, dass ihnen sämtliches Bargeld (jeweils zwischen 100-500 Euro) "nicht wieder ausgefolgt" worden ist.
Vor einigen Wochen dürfte die steigende Zahl der AsylwerberInnen dazu geführt haben, dass sämtliche Polizeianhaltezentren in Wien "voll" waren und sich das Innenministerium daher dazu entschieden hat in der Wiener Stadthalle eine provisorische Erstaufnahmestelle einzurichten. Glücklicher Weise wurde dieser Ort nicht mehr durch die Polizei, sondern das Rote Kreuz betreut und konnten sich die AsylwerberInnen dort zumindest frei bewegen. Derzeit wird dieser Ort in die Lindengasse (ehm. Kurier Gebäude) verlegt.
Verordnete Obdachlosigkeit und "nicht vorhersehbare Umstände”
Nach der Registrierung durch die Polizei wird allen AsylwerberInnen, die meist nur Arabisch, Farsi und eigentlich nie Deutsch sprechen, jedoch nur eine Ladung mit einem Termin zu ihrer Erstbefragung und ein Informationszettel jeweils auf Deutsch in die Hand gedrückt in dem sinngemäß mitgeteilt wird, dass derzeit keine Betreuungseinrichtung des Bundes zur Verfügung steht und die AsylwerberInnen ehemöglichst Ihren Aufenthaltsort aufgrund ihrer Mitwirkungspflicht im Asylverfahren bekannt zu geben haben!
Die Unterbringung und Versorgung erfolgt statt dessen durch karitative Organisationen, andere NGOs, die Stadt Wien und freiwillige HelferInnen. Die AsylwerberInnen erhalten weiters weder die "grüne" Verfahrenskarte als Ausweis noch sind sie krankenversichert.
Eine :: selbstorganisierte Gruppe von unabhängigen RechtsberaterInnen, die am West- und Hauptbahnhof und in der Stadthalle AsylwerberInnen und Flüchtlinge beraten und die :: Diakonie haben diese Zustände bereits kritisiert.
Die Möglichkeit, dass sich das Innenministerium derart einfach aus der Verantwortung stiehlt, findet sich im :: § 43 Abs 2 Z 2 BFA-VG. Das Bundesamt für Fremdenwesen kann "auf Grund besonderer, nicht vorhersehbarer Umstände" von der Versorgung der AsylwerberIn absehen.
Anstatt finanzielle Mittel frei zu machen und damit für Unterkünfte und Versorgung zu schaffen, verbannt das Innenministerium AsylwerberInnen in die Obdachlosigkeit.
Aufruf! Demo am 03. Oktober 2015 um 13:00 Uhr
Zutiefst berührt hat mich folgendes Erlebnis, wobei ich klarstellen möchte, dass kein Mensch egal, ob ÖsterreicherIn, EU-BürgerIn oder AsylwerberIn oder anderer Staatsangehörigkeit auf der Straße schlafen und Hunger und Durst leiden sollte!
Am Abend des 26.09.2015 wollte ein afghanischer Mann Rechtsberatung. Mit Hilfe eines Dolmetschers erfuhren wir, dass der Mann und seine im achten (!) Monat schwangere Ehefrau mit ihren 4-, 8- und 10-jährigen Kindern in Eisenstadt alle Asylanträge eingebracht hatten, jedoch :: auch Ihnen mitgeteilt wurde, dass kein Betreuungsplatz vorhanden war. Sie wurden deswegen noch am gleichen Abend sowohl in Traiskirchen als auch in einer anderen Schlafstelle mangels Platz abgewiesen und schlussendlich am Hauptbahnhof einfach abgesetzt. An diesem Abend waren sehr viele Flüchtlinge in Wien und sämtliche Notschlafstellen überfüllt. Auch der Samariterbund konnte trotz zweistündiger Anfrage beim Sanitätsstab keine Schlafstelle organisieren.
Schlussendlich konnte aufgrund der Vermittlung eines Kontaktes bei der Caritas durch Birgit Hebein ein Platz im blauen Haus beim Westbahnhof gefunden werden (vielen Dank an dieser Stelle!).
Ich weiß nicht wie es Amin, Balqis, Leyla, Idris und Jamal* jetzt geht - ich hoffe sie sind wohlauf!
Was ich aber weiß ist, dass die Innenministerin schutzsuchende Menschen auf die Straße setzt, die Regierung ein Gesetz erlassen hat um dies zu ermöglichen, die FPÖ im Fahrwasser dieser Politik ihren fremdenfeindlichen Kurs fortsetzt und uns die Innenministerin suggeriert es sei kein Platz mehr um Flüchtlinge unterzubringen und diese Aufgabe der Zivilgesellschaft überlässt, obwohl ausreichend finanzielle Mittel vorhanden sind um dies zu ändern und die Flüchtlinge zu versorgen!
Ich werde deswegen :: am Samstag, den 03. Oktober 2015 um 13:00 Uhr am Westbahnhof/Europaplatz mit hoffentlich vielen anderen Menschen dagegen demonstrieren, weil sich die Politik und der Umgang mit Menschen, die Schutz suchen und Hilfe brauchen dringend ändern muss!
*alle Namen geändert
Artikel von papiertiger zuerst veröffentlicht am 30. Sep 2015 auf :: papiertiger.noblogs.org.