WOZ - Flüchtlinge waren keine gekommen, so mussten sie eben gespielt werden. In Spielfeld an der österreichischen Südgrenze, wo kürzlich die Übung «Pro Borders» stattfand. Das Bundesheer, die Polizei und die neue Sondereinheit Puma waren aufmarschiert, um mit Schäferhunden, Wasserwerfern und Radpanzern fiktive Flüchtlinge am Grenzübertritt zu hindern.
Auf der Ehrentribüne applaudierten der neue Innenminister und der Verteidigungsminister, beide von der rechtspopulistischen FPÖ. Die Übung lässt sich im Netz anschauen, es läuft einem kalt den Rücken herunter, wenn die Schäferhunde die Szenerie betreten.
Was zum Teufel ist bloß los in Europa? In Brüssel treffen sich die RegierungschefInnen der EU, um an einem Sondergipfel neue Abwehrmaßnahmen gegen Flüchtlinge zu beschließen. Sie bestehen zuerst immer in einem neuen Vokabular: «Ausschiffungsplattformen» will man nun errichten, im Klartext sollen das exterritoriale Flüchtlingslager in Afrika sein. In Berlin stürzen sich derweil die christlich-konservativen Parteien in eine Regierungskrise, um sich doch noch in einem sogenannten Kompromiss zu finden: Für Asylsuchende, die schon in einem anderen Staat registriert sind, werden «Transitzentren» geschaffen, was in Tat und Wahrheit Gefängnisse sind. Die deutsche Regierung stützt sich – auch das ein neuer und besonders absurder Begriff – auf die «Fiktion der Nichteinreise». Flüchtlinge sind zwar da, aber sie dürften nicht da sein. Ergo sind sie gar nie eingereist und können im juristischen Niemandsland zum Verschwinden gebracht werden.
Dabei ist die Nichteinreise gar keine Fiktion mehr, sondern wird zur Realität. Die Flüchtlingszahlen sind so tief wie seit Jahren nicht. Kamen 2015 rund 1,4 Millionen nach Europa, so schafften in diesem Jahr bisher rund 46 000 die Fahrt über das zentrale Mittelmeer. Konstant hoch bleibt nur die traurige Zahl der Toten: Fast 1500 Menschen – Männer, Frauen und Kinder – haben in diesem Jahr im Mittelmeer ihr Leben verloren.
Wenn kaum mehr Flüchtlinge durchkommen, dann muss die sogenannte Flüchtlingskrise von etwas anderem handeln als von der Flucht. Dann handelt sie von der Politik selbst, die sich den Sündenbock des Flüchtlings imaginiert und sich in der Abgrenzung zu ihm definiert. Gespielt wird, in einer global vernetzten und eigentlich doch herrlich komplizierten Welt, das simple Theater der Souveränität. Weil einfache Antworten schwierig sind, muss der Beweis der Tatkraft umso dringender erbracht werden. Natürlich ist das Männersache, weshalb Politiker wie Horst Seehofer, Sebastian Kurz oder Matteo Salvini mit markigen Worten voranschreiten. Zum Beweis der Handlungsfähigkeit zieht man noch immer am einfachsten eine Grenze. Dass sie meist ganz andere Folgen zeitigt, Flüchtlinge auf immer gefährlichere Routen zwingt, geht dahinter als Erstes vergessen. Vor allem aber muss man sich dann nicht um die ökonomischen und ökologischen Herausforderungen der Gegenwart kümmern, die weit dringlicher wären.
Der rechtspopulistischen Hysterie, die mittlerweile in zahlreichen Staaten zum Regierungsprogramm geworden ist – auch in der Schweiz regiert die SVP mit –, begegnet man am besten mit entschiedener Nüchternheit. Die Geschichte der europäischen Staaten sei schon immer von Fluchtbewegungen geprägt gewesen, und diese seien in der Vergangenheit weit größer gewesen, schreibt der Historiker Philipp Ther in seiner Fluchtgeschichte «Die Außenseiter». Im historischen Vergleich falle auf, dass sich die gegenwärtige Flüchtlingspolitik auf die Abweisung fokussiere, während früher Fragen der Aufnahme und der Integration weit wichtiger gewesen seien.
Eine zukunftsfähige Flüchtlingspolitik muss die Flucht deshalb nicht von ihren Ursachen, sondern von ihrem Ende her denken. Von den 68 Millionen Menschen, die 2017 weltweit auf der Flucht waren, lebten 85 Prozent in Entwicklungsländern. Europa braucht keine Ausschiffungs-, sondern Einschiffungsplattformen. Oder schöner gesagt: Hafenstädte.
Artikel von Kaspar Surber, zuerst erschienen am 05. Jul 2018 in der :: WOZ.