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[ 12. Jul 2018 ]

Italienischer Neo-Faschismus

Schiffe mit aus Seenot geretteten Geflüchteten landen weiterhin in Italien - während der Nacht

Nach monatelangem Theater ist in Italien nunmehr eine Regierung angetreten, die weiterhin Wahlkampf betreibt und mit dem Finger auf unbequeme Zeug*innen zeigt. Sie agiert mit Überheblichkeit und Gewalt gegen NGOs und Journalist*innen, die anderer Meinung sind als sie, und gegen jene, die den Status Quo bekämpfen.

 

Wir leben in Tagen, in denen der Faschismus mit voller Wucht zurückgekehrt ist. Er zeigt sich in rassistischen Zählungen und Vorenthaltung von Menschenrechten, die jeden Tag die Demokratie zerstören. Der Regierungschef und der Innenminister reden und in einem Wortschwall. Sie wähnen sich sicher in Ihrer Immunität, von der sie überzeugt sind, dass sie vor jeder persönlichen Verantwortlichkeit schützen kann. Sie erlauben es sich daher, all jene zu beleidigen, zu diffamieren und mit Worten Gewalt anzutun, die nicht auf ihrer Linie sind. Das geschieht ohne eine institutionelle Opposition, die einen Teil der öffentlichen Meinung wiedergibt, welche sich einen kleinen Rest Gewissen und zuvörderst den Glauben an die Menschenwürde bewahrt hat.

In diesem historischem Moment in dem die italienische Regierung gemeinsame Sache mit neo-faschistischen Mitgliedsstaaten Europas macht, in denen auf den Straßen und in den sozialen Medien eine Hetzjagd auf „Schwarze“ betrieben wird, in denen die Migrationspolitik benutzt wird, um die Trägheit einer populistischen Politik bar jeden Inhalts zu vertuschen, ist es die Pflicht einer*s jede*n Bürgers*in, zu rebellieren gegen diejenigen, die nationale und internationale Rechtsprinzipien missachten. Nur so können wir uns wieder der Geschichte unseres antifaschistischen Widerstands würdig betrachten.

Die ersten Anzeichen einer faschistischen Veranlagung der jetzigen Regierung sind aus den Verfügungen gegenüber dem öffentlichen Dienst zu entnehmen. Dies beweist folgende im Originaltext wiedergegebene Mitteilung, die die nationale Asylkommission allen örtlichen Vorsitzenden geschickt hat:

„Sehr geehrte Vorsitzende,
ich komme zurück auf das Thema Tunesien, das, wie Sie wissen, bereits Gegenstand meiner vorherigen Mitteilungen gewesen ist. Dies betreffend möchte ich nochmals unterstreichen, dass das Land über eine demokratische Verfassung verfügt und mit Italien ein Rückführungsabkommen geschlossen hat. Deswegen kann Antragsteller*innen, die aus diesem Land kommen, kein Schutz in jeglicher Form zugesprochen werden.
Bei diesem Anlass möchte ich darauf hinweisen, dass, in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Zentralverwaltung, niemand von Ihnen an Konferenzen, Seminaren oder Symposien teilnimmt oder Presseerklärungen ohne vorherige Genehmigung abgibt, bevor nicht die politische Linie der jüngst angetretenen Regierung bekannt wird.“


Die öffentliche Verwaltung ist den Launen der Regierung unterworfen. Dies gilt sogar in der Anerkennung von Menschenrechten, die von Verfassung wegen garantiert werden. Die Verfassung scheint im Angesicht der Erklärungen der Politiker*innen allerdings nicht mehr viel Wert zu sein.

Gleiches gilt für die Militäreinheit der Küstenwache. Diese muss trotz ihres bedingungslosen Rettungsauftrags Zeuge werden von unzähligen Toten im Meer, oder sogar Ausführende von solch sinnlosen oder unmenschlichen Befehlen von Ministern werden, die ihre Politik auf dem Rücken der Menschen betreiben. Wenn die Minister das Gesetz gar nicht erst kennen, wie soll dann von ihnen erwartet werden, dass sie es einhalten?

Schmutzige Propaganda die aus Lügen besteht. Dies geht zu Lasten der Steuerzahler*innen, die Militäreinsätze für sinnlose und gefährliche Operationen bezahlen. Andere kostspielige Einsätze, wie das stundenlange Verharren des Schiffes „Aquarius“ vor der Küste ohne die Erlaubnis, in den Hafen einzufahren, gehören auch dazu. Die Geflüchteten kommen trotzdem an, wie der Fall des Schiffes Diciotti zeigt, das vor wenigen Tagen mitten in der Nacht am Hafen von Pozzallo angekommen ist, mit mehr als 500 Passagieren an Bord. Auf diese Weise sollte vor der Öffentlichkeit vertuscht werden, dass die menschenfeindlichen Ausrufe nichts daran ändern, dass die Schiffe immer noch an Land gehen. Die Propaganda ist auch deswegen schmutzig, weil sie die Gesundheit von Menschen missachtet. Hier muss an die Rettung des Schiffs Trenton erinnert werden, von dem nach einer langen Odyssee nur 41 Menschen gerettet werden konnten, während mehr als 80 auf See verstorben sind. Es ist wichtig, diese Fakten zu verheimlichen, zu verbergen, in Vergessenheit geraten zu lassen; niemand darf wissen, welche physischen und psychischen Auswirkungen die vielen Tage auf See auf die Hinterbliebenen haben, die zuvor lange in Haft in libyschen Lagern waren. Männer, Frauen und Kinder, deren Rettung gesetzlich verpflichtend ist, sind Opfer von Menschenhandel und Folter und befinden sich in einem Zustand schwerwiegender Unterernährung.

Die Regierung hat entschieden, dass niemand wissen darf, was in Libyen vor sich geht. Die einzigen Zeug*innenberichte über das kriminelle Unterlassen der europäischen Regierungen sind von NGOs die auf hoher See retten. Ihre Stimmen werden zum Schweigen gebracht, der Umgang mit ihnen ist eine Fortsetzung der Kriminalisierungspolitik des ehemaligen Innenministers Minniti. Die aktuelle Regierung hat beschlossen, dass diejenigen, die auf See in Gefahr sind, ihrem eigenen Tod überlassen werden, wenn sie nicht zurück nach Libyen gebracht werden. Die Notsituation wird allerdings von Schleusern verursacht, die durch Italien finanziert werden, sowie von der Schließung der Außengrenzen. Diese wiederum begünstigt die illegale Einreise, die unserer untergehenden Wirtschaft nützt.

Nur wenige wissen, dass die Ermittlungsrichter von Palermo auf Antrag der Staatsanwaltschaft beim Dezernat für Anti-Mafia-Ermittlungen die Ermittlungen gegen die NGO „Golfo Azzurro“ und „Sea Watch“ eingestellt hat. Ein Zusammenhang zwischen den beiden Organisationen und Menschenschleusern wurde kategorisch abgelehnt. Diese Nachricht ist still und leise untergegangen, während der Minister auf den sozialen Netzwerken weiter Lügen verbreitet.

Es gibt mittlerweile nur wenige, die sich nicht über das Panoramablatt hinaus informieren und Hintergrundberichte aus Quellen lesen, die nicht regierungstreu sind. Denn der Großteil lässt sich durch Tweets unserer Regierungsangehöriger blenden, die wie dämliche Jugendliche Stunden am Smartphone verbringen und nach Anerkennung und Bekanntheit suchen.

Wir finden solche Anzeichen bedenklich und ahnen, dass eine neue, dunkle Ära für den Rechtsstaat eingetreten ist. Institutioneller Rassismus ist inakzeptabel, ebenso wie das Vorenthalten von unverletzlichen Grundrechten, darunter zuallererst das Recht auf Leben. Wir sind fassungslos gegenüber der Ablehnung von Asylschutz aufgrund von Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nationalität oder zu anderen Kategorien.

Lügen, Schweigen, falsche Gerüchte, um jeden Preis einen Gegner finden, dies alles macht unsere Gesellschaft krank. Sie kommt einer mörderischen Politik zugute, zu der wir alle aufgerufen sind, sie zurückzuweisen, um uns gegen das faschistische Netz aufzulehnen, in das wir bereits gefallen sind. Es bringt nur Tod, Schmerz und Leid für alle. Erinnern wir uns an unsere Geschichte.

Artikel der Redaktion Borderline Sicilia, Übersetzung aus dem Italienischen von Alma Freialdenhoven, zuerst veröffentlicht am 11. Juli 2018 auf :: borderlinesicilia.org.