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[ 19. Oct 2018 ]

Italien: Salvinis Dekret der Asylrechtsverschärfungen

Aktion von Antirassist_innen gegen den Besuch von Salvini in Venedig

Am 24. September 2018 winkte der Ministerrat den neuen Gesetzesentwurf zu „Sicherheit und Migration“ von Innenminister Matteo Salvini durch. Er enthält repressive Maßnahmen zum Schutz der Sicherheit und schränkt die Asyl- und Migrationsrechte enorm ein. Ein Überblick von Tabea Dibah Jian, borderline-europe.

 

Laut Dekret sollen „:: dringende Bestimmungen zur Erteilung von befristeten Aufenthaltstiteln aus humanitären Gründen oder internationalem Schutz, Einwanderung und Staatsbürgerschaften“ festgelegt werden. Es besteht aus zwei Teilen :: 17 Artikel sind der Einwanderung gewidmet, weitere 38 Artikeln der inneren Sicherheit. Damit es endgültig in Kraft treten kann fehlt noch die Zustimmung des Staatspräsidenten Sergio Mattarella.

Tritt das Gesetz in Kraft wird zukünftig die Bleibeperspektive von Migrant*innen in Italien drastisch erschwert. Seit Beginn September wird bereits über das Dekret des Innenministers diskutiert. Der Titel „Sicherheit und Migration“ greift zwei Themen auf, die den öffentlichen Raum schon seit längerem komplett einnehmen und vermitteln: Migration gefährdet die innere Sicherheit. Ein bekanntes Bild, dass die Bedrohung nach Außen verlagert. So wird der*die Migrant*in zur Sicherheitsgefährdung und die Abschottung im Namen der Sicherheit hochgelobt.

Im Einzelnen sieht das neue Gesetz folgendes vor:


Die Abschaffung des humanitären Schutzes


Bereits Anfang Juli hatte Salvini in einem Schreiben an die Präfekt*innen bekannt gegeben, er werde versuchen, den Titel des „humanitären Schutzes“ abzuschaffen. Schon da äußerten Kritiker*innen Bedenken, ob das :: geplante Gesetz mit der Verfassung im Einklang steht. Der „humanitäre Schutz“ („protezione umanitaraia“) ist in Italien seit 1998 in der Konstitution verankert und existiert neben den europäisch festgelegten Anerkennungen von Schutzbedürftigen. Er kann aus humanitären Gründen, wie beispielsweise bei ernsthaften gesundheitlichen Problemen oder Naturkatastrophen im Herkunftsland zuerkannt werden.

Diese Form der Aufenthaltserlaubnis kann zukünftig weder von den Territorialkommission für Asyl noch :: von den Gerichten nach einem Ablehnungsantrag erteilt werden. Der humanitäre Schutz war für viele Migrant*innen in Italien eine wichtige Möglichkeit, einen Aufenthaltstitel zu erlangen. Im Jahr 2017 wurden in Italien 130.000 Anträge auf internationalen Schutz gestellt: 52% der Anträge wurden abgelehnt, :: in 25% der Fälle wurde humanitärer Schutz gewährt, während nur 8% der Menschen den Flüchtlingsstatus, weitere 8% subsidiären Schutz und die restlichen 7% andere Arten von Schutz erhielten. Die Asylanträge sind jedoch bereits seit Januar 2018 in Italien rückläufig, betont der :: Forscher Matteo Villa vom Institut für Internationale Politikstudien.

Stattdessen wird eine Aufenthaltserlaubnis für bestimmte "Sonderfälle" eingeführt, d.h. für bestimmte Personengruppen: Opfer häuslicher Gewalt oder schwerer Ausbeutung von Arbeitskräften, für Pflegebedürftige oder für Menschen, die aus einem Land in einer vorübergehenden Situation einer sogenannten vorübergehenden und außergewöhnlichen Katastrophe kommen. Zudem können Personen durch :: "Handlungen von besonderem zivilrechtlichem Wert" eine Aufenthaltserlaubnis erlangen.


Verschärfte Kontrollen bei der Vergabe des internationalen Schutzes


Asylsuchende droht zukünftig die Einstellung ihres Asylantrags, wenn sie eine :: „soziale Gefahr darstellen oder in erster Instanz für eine Straftat verurteilt“ werden. Die Verletzung der öffentlichen Ordnung können dazu führen, dass internationaler Schutz verwehrt oder entzogen wird. Die Bestimmung gilt für Migrant*innen, die in erster Instanz wegen Straftaten wie Drogenhandel, sexuelle Gewalt, Gewalt gegen Amtsträger und schwere Verletzungen verurteilt wurden.

Zudem geht ein :: Zusammenschluss italienischer und europäischer Richter*innen davon aus, dass hinzu eine Ausweitung auf die Straftaten des*der Migrant*in im Herkunftsland vorgenommen wird und der internationale Schutz dadurch beeinträchtigt werden könnte.


Erschwertes Erlangen und Gefahr der Aberkennung der italienischen Staatsbürgerschaft


Das Dekret sieht die Änderung des italienischen Staatsbürgerschaftsgesetzes von 1992 vor. Der Antrag auf Erwerb der Staatsbürgerschaft kann auch dann abgelehnt werden, wenn er von einer Person gestellt wurde, die einen italienischen Staatsbürger oder einen Bürger geheiratet hat. Bislang konnten Heiratsanträge nicht abgelehnt werden. Der für den Antrag beantragte Beitrag wird von 200 € auf 250 € erhöht, und die Frist für die Gewährung der Staatsbürgerschaft durch Aufenthalt oder Heirat wird auf 48 Monate verlängert. Die Möglichkeit, einer Person, die wegen terroristischer Straftaten endgültig verurteilt wurde, :: die Staatsbürgerschaft zu entziehen (oder zu verweigern), wird ebenfalls eingeführt. Der Widerruf ist innerhalb von drei Jahren nach rechtskräftiger Verurteilung durch Erlass des Präsidenten der Republik auf Vorschlag des Innenministers möglich.


Ausschluss aus dem Personenregister


Asylsuchende können sich nicht in dem Personenregister des Einwohnermeldeamtes eintragen lassen und können somit auch keinen Wohnsitz anmelden.


Förderung von Abschiebungen


Zu den wichtigsten Neuerungen zählen :: erhöhte Ausgaben für den Rückkehrfonds. Insgesamt 3,5 Millionen Euro sollen über drei Jahre verteilt bereitgestellt werden: 500.000 Euro für 2018, 1.500.000 Euro für 2019 und 1.500.000 Euro für 2020.

Die Wiedereinreise von Ausländer*innen, die aus anderen Schengen-Staaten ausgewiesen wurden, ist verboten.


Haftverlängerung vor Abschiebung


Mit den neuen Vorschriften soll :: die Haftzeit für irreguläre Migrant*innen in den sogenannten Rückkehrzentren CPR (centri per i rimpatri) zum Zwecke der Identifizierung im Hinblick auf die Rückkehr von derzeit 90 auf 180 Tage verlängert werden. Daher wird davon ausgegangen, dass es zu einer Zunahme der Zahl der verfügbaren Plätze in den CPR kommen wird.


Senkung der Ausgaben für die Aufnahmestrukturen


Anders als befürchtet sollen die Aufnahmeeinrichtungen mit Integrationsmaßnahmen (SPRAR) doch erhalten bleiben. Allerdings wird dies nach all den Verschärfungen des Schutzanspruches nur noch für :: unbegleitete minderjährige Geflüchtete und Personen mit internationalem Schutztitel in Frage kommen. Die SPRAR sind sozusagen die zweite Aufnahmestruktur nach dem Aufenthalt in einer Erstaufnahme. Mit :: nur 35.869 Plätzen für alle Geflüchtete, vulnerabel und nicht, sind die Aufnahmemöglichkeiten sehr begrenzt. Bereits in den letzten Monaten wurden die Ausgaben für die Unterbringung von Geflüchteten diskutiert. Die :: 35 Euro pro Migrant*in, die für die Aufnahme zur Verfügung gestellt werden, sollen auf der Grundlage des europäischen Durchschnitts mit einer überprüft werden und demnach deutlichen gesenkt werden. Ein genauer Betrag ist noch nicht vorgesehen. Salvini möchte aber im Durchschnitt eine jährliche Einsparung von anderthalb Milliarden erzielen.

Salvinis Dekret höhlt mit aller Härte die Asyl- und Migrationsrechte in Italien aus. Seine nationalistische Vision wird aller Wahrscheinlichkeit bald durch das neue Gesetz gestärkt werden. Jurist*innen, Menschenrechtsorganisationen und Aktivist*innen befürchten einen Angriff auf die Konstitution. So äußert ein Zusammenschluss italienischer Richter*innen (Area democratica per la giustizia) besorgt, dass der gewalttätige Wille der Sicherheitspolitik darauf dränge, die alarmierenden :: Betonung auf einen Einwanderungsnotstand zu setzen, um die Rechtsprechung zu verdrängen. Auch Anne Garella, :: Leiterin der Mission Ärzte ohne Grenzen in Italien kommentiert: „Was wir in dem neuen Dekret sehen, ist ein weiterer Schritt in der repressiven Migrationspolitik der italienischen Regierung, die auf eine willkürliche Einstellung der Migrationsströme und die Kriminalisierung der Migration zu Wasser und zu Land abzielt, ohne sich für das Leben, die Gesundheit und die Würde Tausender von Männern, Frauen und Kindern zu interessieren.“

Die Annahme des Gesetzentwurfs im Ministerrat hat sich gezeigt, dass die Opposition in Italien schlichtweg fehlt. Salvini steht mit seinem autoritären Projekt nicht alleine, eine Mehrheit in der Regierung stützt ihn - sei es aktiv oder durch passives Enthalten - und setzt sich über die leise Kritik Einzelner hinweg.

Nicht nur der Bereich der Migration wird von den Restriktionen betroffen sein. Das Dekret ebnet den Boden für Überwachung und Kontrolle in der gesamten italienischen Gesellschaft. Das zeigt sich zum Beispiel in dem Ausbau der Polizeigewalt. In Gemeinden mit mehr als hunderttausend Einwohner*innen wird die Polizei mit dem :: Einsatz von Tasern, d.h. elektrischen Impulswaffen, experimentieren können. Außerdem wird die Straßensperre wieder eine Straftat und nicht eine Ordnungswidrigkeit sein, was Teilnehmer*innen an Demonstrationen betreffen könnte.

Salvinis Dekret ist ein Vorstoß auf die italienische Konstitution und trifft auf kurz oder lang die Rechte aller Bürger*innen in Italien. Es beginnt mit denjenigen, die besonders verletzlich und schutzbedürftig sind: Migrant*innen und Geflüchtete. Denn ihnen bleibt nicht nur der Schutz verwehrt, sondern ihnen wird auch gedroht, jedes kleinstes Fehlverhalten zu bestrafen. Damit wird eine Ungleichheit der Menschen vor dem Gesetz geschürt. Migrant*innen sollen zukünftig nämlich nicht nur nach dem italienischen Strafgesetz, sondern ein zweites Mal durch das Aufenthaltsrecht bestrafen werden.

Ein Überblick von Tabea Dibah Jian, borderline-europe, Palermo, 25. September 2018, zuerst erschienen auf :: borderline-europe.