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[ 17. Mar 2004 ]

Keine Besserung in El Ejido

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Die soziale Lage der MigrantInnen in den Plastikhainen Andalusiens bleibt fatal. Bericht des Europäischen Bürgerforum.

 

Die soziale Lage der MigrantInnen in den Plastikhainen Andalusiens bleibt fatal

von *Nicholas Bell, Europäisches Bürgerforum* - redigiert von www.no-racism.net

Fast vier Jahre nach den rassistischen Unruhen gegen ArbeitsmigrantInnen im Februar 2000 beschlossen das EBF (Europäisches Bürgerforum) und die "Conföderation Paysanne" (franz. Bauerngewerkschaft), im Dezember 2003 erneut eine Delegation nach El Ejido in Spanien zu schicken, um die Entwicklung vor Ort zu untersuchen. Vor allem auch deshalb, weil wir in den vergangenen Monaten alarmierende Berichte über eine Reihe von gewalttätigen Ausschreitungen gegen marokkanische ArbeiterInnen erhielten.

Die 35.000 Hektar Plastikflächen sind weltweit die grösste Konzentration von Gemüse- und Obstproduktion in Treibhäusern. Dieses Plastikmeer ist sogar vom Mond aus sichtbar! Es werden manchmal mit riesigen Maschinen Berge abgegraben, um die Fläche fuer Plastikhäuser zu vergrössern. In der Hauptsaison verlassen täglich 1000 Lastwägen die Region.

Wir konnten keine Verbesserung der Situation feststellen, vor allem im Bereich der Unterbringung, der Nicht-Einhaltung der kollektiven Konventionen und der Beziehungen zwischen den Gemeindebehörden und den ImmigrantInnenverbünden. Eine Veränderung seit 2000 sticht ins Auge: Das Phänomen der Einwanderung aus Osteuropa hat sich massiv verstärkt. Aber gleichzeitig stranden weiterhin an der andalusischen Küste die kleinen Fischerboote mit zahlreichen Menschen aus dem Maghreb und aus Afrika, die oft vergeblich versuchen, Arbeit zu finden, und sei es für einige Stunden.

Bei den zahlreichen Treffen mit ImmigrantInnen fanden wir keinen einzigen, mit oder ohne Papiere, der nach dem Kollektivvertrag (4 Euro 11/Stunde) bezahlt wird. Der Stundenlohn schwankt zwischen 2 und 3,5 Euro. Die meisten arbeiten ohne Vertrag, sogar jene, die über eine Aufenthaltsbewilligung verfügen.

Die Polizei kontrolliert AusländerInnen aus Nordafrika und Afrika, aber sehr selten die anderen. Wenn AfrikanerInnen ohne Papiere arbeiten wollen, müssen sie die schlimmsten Bedingungen akzeptieren. Viele ArbeitgeberInnen ziehen deshalb Papierlose vor. Diese Konkurrenzsituation zwischen den verschiedenen ImmigrantInnengemeinschaften ermöglicht den Bauern, die Löhne noch mehr zu drücken. Heute werden die ArbeiterInnen aus Osteuropa schlechter bezahlt als MarokkanerInnen ohne Papiere vor drei Jahren.

Die Wohnverhältnisse sind ein unglaublicher Skandal. Auf Ödland, versteckt vor der Sicht der Einheimischen, entdeckten wir eine "parallele Welt" von schrecklichem Elend. Am besten haben es noch die AfrikanerInnen, die zu mehreren Unterschlupf in den cortijos fanden, alte Häuser oder landwirtschaftliche Gebäude aus Stein.
Andere wohnen in den Chabolas, kleine Konstruktionen aus Karton oder Plastik, oft neben wilden Abfallhalden oder verschmutzten Wasserpfützen. Viele müssen in Lagerhallen schlafen, wo Dünger und Pestizide gelagert werden.

Alle wissen, dass die AusländerInnen hier wohnen, und sie werden unter der Bedingung geduldet, für die Einheimischen unsichtbar zu bleiben. Früh morgens gehen sie auf Arbeitsuche und kehren nach der Arbeit sofort in ihr "Heim" zurück. Wenn sie in die Stadt gehen, riskieren sie, von der Polizei verhaftet und manchmal ausgewiesen zu werden, oder aber sie müssen sich Einschüchterungen gefallen lassen. Sie verfügen über keine Begegnungsstätte, wo sie sich entspannen könnten. Sie überleben nur dank starker gegenseitiger solidarität.

Das Vermieten der Cortijos an ImmigrantInnen wurde zu einer wichtigen Geldquelle für die EigentümerInnen. Die EinwanderInnen müssen 3 Euro pro Tag für Unterkünfte bezahlen, die kein Spanier akzeptieren wuerde. Die cortijos werden durchschnittlich von 2,8 Menschen belegt, was 252 Euro pro Monat ergibt. Gleichzeitig stehen in Roquetas del Mar 6000 Wohnungen leer, in El Ejido etwa 3500.

Alle sind sich darüber einig, dass El Ejido die unnachgiebigste und rassistischste Stadt ist. Die Gemeinde weigerte sich, für die Konferenz der SOC (LandarbeiterInnen gewerkschaft in Andalusien) einen Saal zur Verfügung zu stellen. Die SOC musste auf eine von einem Marokkaner verwaltete Telephonzentrale ausweichen. Polizeiautos verkehrten systematisch vor der Bar, in der wir uns verpflegten, und die Verwalter der Örtlichkeiten, in denen wir uns trafen, wurden nach unserer Abfahrt mehrmals belästigt.

Seit August 2003 gab es in El Ejido eine neue Serie von Anschlägen gegen marokkanische EinwanderInnen. Die SOC erstattete in fünfzehn fällen Anzeige bei der Polizei. Während unseres Aufenthaltes fanden drei weitere Aggressionen statt. Oft klagen die Betroffenen diese tätlichkeiten nicht ein, aus Angst, ausgewiesen zu werden.

Uns wurde auch der Fall eines schwer behinderten Immigranten vorgestellt. Wahrscheinlich hat er sich dieses Handicap im Umgang mit chemischen Produkten eingehandelt. Regelmässig leiden ImmigrantInnen an Vergiftungssymptomen und müssen im schlimmsten Fall ins Spital von Almeria eingewiesen werden.

Die SOC ist ausschliesslich in Andalusien verbreitet und vertritt vor allem die sehr zahlreichen TagelöhnerInnen in der Landwirtschaft, die traditionell sowohl an Ort und Stelle als auch in anderen Regionen Spaniens und Europas arbeiten. Die SOC ist die einzige Gewerkschaft, die wirklich an Ort und Stelle anwesend ist. Sie verfügt über praktisch keine Subventionen, im Gegensatz zu den grossen Gewerkschaften und humanitären Organisationen. Die SOC beabsichtigt, neue Lokale in der Zone der Gewächshäuser zu eröffnen, die ein Ort für Information, Begegnung und Entspannung sein sollen. Aber die Gewerkschaft muss dabei mit grossen Schwierigkeiten rechnen.

Es ist wichtig, dass Gewerkschaften, NGOs und JournalistInnen sich an Ort und Stelle begeben und die Entwicklung verfolgen. Die öffentliche Meinung muss weiterhin darüber informiert werden, unter welchen Bedingungen Obst und Gemüse produziert und in den Auslagen der Supermärkte auf dem Kontinent angeboten wird.