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[ 18. Dec 2018 ]

Diskriminierung und strukturelle Gewalt gegen Sexarbeiter*innen beruht nicht auf Einzelfällen

Internationaler Tag zur Beendigung der Gewalt  gegen Sexarbeiter*innen

17. Dez 2018: Internationaler Tag gegen Gewalt an Sexarbeiter* innen! die Plattform sexworker.at und Selbstorganisation Red Edition, die Vereine LEFÖ (Wien), maiz (Linz), SXA-Info (Graz), PiA (Salzburg) und iBUS (Innsbruck) weisen mit dieser Pressemitteilung auf Diskriminierung und strukturelle Gewalt hin.

 

Anlässlich des internationales Tages gegen Gewalt an Sexarbeiter*innen sprechen sich Beratungsstellen für und Selbstorganisationen von Sexarbeiter*innen in Österreich gegen die restriktiven Regelungen, Diskriminierung, Stigmatisierung und vor allem die verschiedensten Formen von Gewalt an Sexarbeiter*innen aus.

Gegen die oft vertretene Meinung, dass Gewalt an Sexarbeiter*innen meistens von Kundenseite kommt, stellen die Expert*innen fest, dass die Stigmatisierung durch Staat und Gesellschaft und ein Zustand der Rechtsunsicherheit die hauptsächlichen Hindernisse für ein menschenwürdiges Leben und Arbeiten für Sexarbeiter*innen in Österreich darstellen.

Es ist kein Einzelfall,

  • dass Sexarbeiter*innen die Eröffnung eines Kontos aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit seitens der Bank verwehrt wird;
  • dass Sexarbeiter*innen physische und psychische Gewalterfahrungen aus Angst vor Stigmatisierung nicht anzeigen und diese somit oftmals ohne Konsequenz bleiben;
  • dass Sexarbeiter*innen in Abhängigkeitsverhältnisse (zu Betreiber*innen) gedrängt werden und sich aufgrund fehlender Rechte schwer dagegen wehren können.
Es sind restriktive Migrationsregelungen und ein ungleichberechtigter Zugang zum Arbeitsmarkt, die Arbeitsausbeutung und Menschenhandel begünstigen. Eine strikte fachliche Differenzierung zwischen Menschen-/Frauenhandel und Sexarbeit und die Stärkung der Rechte von Sexarbeiter*innen sind Grundvoraussetzungen für die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen von Sexarbeiter*innen.[1]

Der in Salzburg veröffentlichte Artikel[2] zum Einsatz von Agent Provocateurs („Undercover“-Polizisten) - Aktionen der Verwaltungs- und Exekutivorgane - veranschaulicht den menschenunwürdigen Umgang mit Sexarbeiter*innen bei Amtshandlungen wie etwa durch fehlende Rechtsmittelbelehrungen bis hin zu Drohungen.

Die verpflichtenden Kontrolluntersuchungen für Sexarbeiter*innen, die entgegen von Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und anderen Fachmeinungen, in Österreich vollzogen werden, stellen nach Ansicht der Expert*innen einen massiven Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung und Intimsphäre dar und stehen im Widerspruch zum Schutz der körperlichen Integrität. Darüber hinaus wird damit eine zusätzliche Abhängigkeit zu Betreiber*innen ermöglicht.

Zum massiven Nachteil von Sexarbeiter*innen kommt noch hinzu, dass die Finanzierung fach-spezifischer Beratungsstellen in Österreich nicht ausreichend gesichert ist.

Es braucht eine eindeutige Positionierung für die Rechte von Sexarbeiter*innen und die Verurteilung jeglicher Form von Gewalt an Sexarbeiter*innen.

Es braucht dazu
  • eine völlige Entkriminalisierung und Rechtssicherheit für eine tatsächliche Gleichstellung mit anderen selbstbestimmten Erwerbstätigkeiten, welche mehr Rechte, Wahlmöglichkeiten und Selbstbestimmung für Sexarbeiter*innen und somit eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen bedeuten.
  • die Abschaffung der verpflichtenden Kontrolluntersuchungen, um die sexuelle Selbstbestimmung und körperliche Integrität von Sexarbeiter*innen zu schützen. Stattdessen sollten umfassende kostenlose und niederschwellige Angebote geschaffen werden, die freiwillig in Anspruch genommen werden können.


Hintergrundinformation: “International Day to End Violence Against Sex Workers”


Der 17. Dezember wurde ursprünglich als Gedenktag für die Opfer des „Green River“-Mörders begangen, der in den 1980er und 1990er Jahren in den USA über 90 Frauen ermordete. Die meisten der Opfer waren Sexarbeiterinnen und es dauerte 20 Jahre, bis der Mörder verurteilt wurde. Seit 2003 wird der 17. Dezember mit Demonstrationen, Gedenkveranstaltungen und Mahnwachen weltweit als Aktionstag begangen, um auf die Gewaltverbrechen aufmerksam zu machen, die gegenüber Sexarbeiter*innen begangen werden und durch die Stigmatisierung und Kriminalisierung von Sexarbeiter*innen verstärkt werden.


Weitere Informationen zum :: International Day to End Violence Against Sex Workers @ no-racism.net.


Anmerkungen


1 Melanie Hamen, maiz, (2018): Artikel 6 des NGO-Schattenberichts in Ergänzung des 9. Staatenberichts der
österreichischen Regierung an das UN-CEDAW-Komitee (UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von
Diskriminierung der Frau), S.11
https://www.klagsverband.at/dev/wp-content/uploads/2018/Schattenbericht_deutsch-1.pdf

2 Akarcesme, Dilara/ Nagl, Christine (2018): Policing Sex Workers in Austria. Agent Provocateurs and Rights
Violations. In: Gendup Zeit- Schrift, Nr. 37, S. 11-13 https://www.uni-
salzburg.at/fileadmin/multimedia/gendup/documents/GS-ZS_37.pdf

Diese Pressemitteilung vom 17. Dezember 2018 wird getragen von:

maiz – Autonomes Zentrum von und für Migrantinnen (Linz), LEFÖ – Beratung, Bildung und Begleitung für Migrantinnen (Wien), PiA / Projekt für Sexarbeiterinnen (Salzburg), SXA-Info (Graz), iBUS - Innsbrucker Beratung und Unterstützung für Sexarbeiterinnen, sexworker.at, Red Edition.