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[ 21. Dec 2018 ]

Nein zur Abschiebung von Lehrlingen - Beispiel Lustenau

Abschiebungen stoppen!

In Lustenau war es der 26-jährige Gastronomie- lehrling Qamar A., für den sich zahlreiche Menschen einsetzten. Er wurde am 27. Oktober 2018 trotz laufendem Verfahren nach Pakistan abgeschoben. Die Forderung Ausbildung statt Abschiebung besteht jedoch weiter - und der Widerstand gegen die Abschiebung von Lehrlingen wird breiter.

 

Die Polizei erschien am 5. September 2018 am Arbeitsplatz von Qamar, um ihn festzunehmen, traf ihn dort aber nicht an. Bereits wenige Tage später forderten mehr als 1.000 Menschen in einer Petition Bleiberecht für Qamar. Sein Anwalt brachte eine Beschwerde beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ein.

Am 11. September unterzeichnete ein breites Bündnis aus Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft in Lustenau einen Appell an die Bundesregierung. Diese wird aufgefordert, "Vorkehrungen (zu) treffen, dass
1. bereits in der Lehre in Mangelberufen befindliche Asylwerber/innen auch bei rechtskräftiger Ablehnung ihres Asylantrages die Lehre abschließen können.
2. dass die rechtlichen Voraussetzungen (etwa durch Adaptierung der Rot-Weiß-Rot-Card) geschaffen werden, damit bereits im Land befindliche und für eine Lehrausbildung geeignete Asylwerber/innen eine Lehrausbildung absolvieren können und
3. dass die Dauer der Asylverfahren deutlich verkürzt wird."


Hintergrund dieser Initiative ist, dass Bundesregierung unter Kanzler Kurz den „Lehrlingserlass“ aus 2012 außer Kraft setzte, der Asylsuchenden bis zum Alter von 25 Jahren eine Lehre in Mangelberufen ermöglichte. Laut Meinung der rechtsextremen Bundesregierung seien Lehrlinge genau so zu behandeln wie alle anderen Geflüchteten. Im Sinne der "Geisteshaltung" der "konsequenten Abschiebung", die vor allem von der FPÖ und ihrem Klientel gefeiert wird, werden integrationsfördernde Maßnahmen wie Deutschkurse mehr und mehr gekürzt. Diese kurz-sichtige Politik baut auf einem rechtsextremen, rassistischen Weltbild auf, in dem die Durchsetzung ideologiegesteuerter Maßnahmen mehr zählt, als "Menschlichkeit". Und eben diese "Menschlichkeit" ist es, die bei zahlreichen Protesten gefordert wird.


„Eine menschliche Lösung finden“


So u.a. der Vorarlberger ÖGB-Landesvorsitzender Norbert Loacker, der an die Entscheidungsträger*innen appellierte: „Wir müssen eine faire und vor allem menschliche Lösung finden, damit Qamar hier bleiben darf!“ Der Gewerkschafter (und rechtliche Vertreter von Qamar) kritisierte außerdem, dass Abschiebungen selbst bei laufendem Verfahren statt finden. In Qamars Fall lief ein Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung des humanitären Bleiberechts. „Es kann nicht sein, dass Abschiebungen trotz einem laufenden Verfahren möglich sind. Da läuft im System etwas ganz gravierend falsch“.

Anzumerken ist, dass das Fremdenrechts- wie das Asylrechtssystem Abschiebungen vorsehen - sowie die Rechte von Geflüchteten und Migrant*innen massiv einschränken. Und dies ganz und gar bewusst - und unter Zustimmung praktisch aller im Parlament vertretenen Parteien, auch wenn die eine oder andere Oppositionspartei gelegentlich dagegen argumentiert. So hat die SPÖ jahrelang das Asyl- und Fremdenwesen in Österreich (mit)gestaltet. Und sowohl Neos als auch :: Liste Pilz (nun: Jetzt) sind mit rassistischen Vorschlägen in den vergangenen Nationalrats-Wahlkampf gegangen. Es kam zu einem massiven Rechtsruck im Parlament und die jetzige Regierung erhielt die Mehrheit. Ein Wahlsieg für Rassist*innen ist vor allem dann kein Kunststück, wenn es an einer wirklichen antirassistischen Alternative mangelt.

So etablierte sich quer durch Österreich und Europa in den vergangene Jahren ein zunehmender rassistischer Konsens, der vor allem von Eliten und Wirtschaftskreisen gefördert wurde. Und nun ist die Regierung am Zug, ihr rassistisches und ausgrenzendes Programm umzusetzen. Und ein Teil davon sind eben vermehrte Abschiebungen, mit denen sich Innenminister Kickl brüstet. Dabei gibt sich der FP-Politiker "menschlich" und betont, dass das jetzige Asylsystem "unmenschlich" sei. Proteste gegen seine Position mag er nicht - was ganz seiner rechtsextremen Weltanschauung entspricht.


Von „Zuckerln“ und Härte


Während die ÖVP-geführte Regierung die im Wahlkampf versprochenen Zuckerl in Millionenhöhe an Reiche und Wirtschaftstreibende verteilt und somit ihr Klientel bedient, setzt die FPÖ auf Härte durch aufenthalts- und integrationsbehindernde Maßnahmen - wie sie es über Jahre hinweg immer wieder versprochen hat.

Wem juckt es da schon, wenn überall in Österreich Arbeitgeber*innen gegen die Abschiebung ihrer Lehrlinge protestieren? An den Abschiebungen soll festgehalten werden und um Protesten entgegenzuwirken der Zugang für Asylwerber*innen zur Lehre generell unterbunden werden, indem der „Lehrlingserlass“ außer Kraft gesetzt und die immer wieder beschworene Integration weiter erschwert und behindert wird.

Breiter Widerstand gegen die Abschiebung von Lehrlingen, insbesondere aus der Wirtschaft, setzte die Bundesregierung derart unter Druck, dass diese Ende August angekündigte, es werde zu keinen Abschiebungen während der Lehre kommen. Ein Versprechen, dass kurze Zeit später gebrochen wurde, wie der Fall von Qamar und anderen belegen. Die Regierung behauptet, es gäbe keine Möglichkeiten, Abschiebungen während der Lehrzeit zu verhindern, was sowohl politisch als auch rechtlich nicht stimmt.

Angesichts des akuten Fachkräftemangels appelliert die Initiative :: Ausbildung statt Abschiebung an die Bundesregierung, das in Deutschland bewährte Modell „3plus2“ bei Asylwerbenden in Lehre umzusetzen. „3plus2“ sieht vor, dass Lehrlinge während ihrer meist 3-jährigen Ausbildung und den ersten beiden vollen Arbeitsjahren nicht abgeschoben werden. Das Asylverfahren läuft dabei weiter, das Modell bewirkt eine Duldung der Betroffenen und damit Sicherheit für die Zeit während der Ausbildung und die ersten beiden Arbeitsjahre.

Fachkräftemangel hin oder her: Der Wunsch der Wirtschaft, das sich in Österreich bewährte Modell „Lehre und Asyl“ nicht abzuschaffen und Geflüchteten mit negativem Asylbescheid den Abschluss ihrer Ausbildung zu ermöglichen, passt einfach nicht ins Konzept der Regierenden.

Deshalb wird der seit 2012 gültige Erlass, wonach Asylwerber*innen bis 25 Jahre generell in Mangelberufen eine Lehre beginnen dürfen, aufgehoben. Zwar wurde versprochen, dass bereits begonnene Lehren fortgesetzt werden können, jedoch mit dem Zusatz: “im Fall eines negativen Bescheids sind die rechtlichen Möglichkeiten zu prüfen, ob er die Lehre fertig machen kann, bevor er das Land verlässt”, wie die APA ein Papier der Regierung :: zitierte. Die Regierung gab zwar Versprechen, ohne jedoch ihre Position zu ändern.

In einer älteren Stellungnahme des Innenministerium von :: Anfang 2002 hieß es: „Die Möglichkeit für Asylwerber eine Lehre zu machen, steht in keinem Zusammenhang mit der Prüfung des Asylantrages. Im Vordergrund steht die Schutzprüfung. Falls der Bescheid rechtskräftig negativ ausfällt, kann eine Lehre nicht zu einer Verlängerung des nicht rechtmäßigen Aufenthaltes führen.“

Diese Position deckt sich mit den Plänen der Regierung im Asylbereich. In einer :: Auflistung der asylkoordination wird ein "umfassendes Arbeitsverbot (selbständig, unselbständig sowie Dienstleistungscheck)" angeführt. Dieses gelte "für Personen, die sich rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalten, auch für Personen mit rechtskräftig negativ entschiedenem Asylverfahren."


Behördenwillkür und mangelhafte Verfahren


Mittlerweile wurden mehrere Lehrlinge - oft direkt von ihrem Arbeitsplatz - abgeholt und abgeschoben. Qamar, wurde auf seinem Arbeitsplatz nicht angetroffen, jedoch wurde er später, am 12. Oktober, an seiner Wohnadresse festgenommen und in Schubhaft überstellt. Die Polizei plante eine Abschiebung am 27. Oktober, doch geriet dieser Termin durch einen Beschluss des Bundesverwaltungsgericht (BVG) ins Wanken: Die Berufungsinstanz stellte "krasse Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens“ fest und hob die Entscheidung über die Verweigerung eines humanitären Aufenthaltstitels und die geplante Abschiebung nach Pakistan wegen grober Rechtswidrigkeit auf. Dadurch wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gezwungen, Qamar im Zuge einer Einvernahme persönlich anzuhören.

Plötzlich ging alles ganz schnell. Die Behörden kamen der Aufforderung des BVG umgehend nach: Sie überstellten Qamar noch in der darauffolgenden Nacht nach Wien und setzten den Termin für die persönliche Einvernahme am kommenden Vormittag, 25. Oktober, fest.

Es folgte eine stundenlange Anhörung durch “Befehlsempfänger”, wie der anwesende Rechtsvertreter von Qamar, Norbert Loacker, gegenüber den Vorarlberger Nachrichten berichtete. Es habe sich um eine reine Alibiveranstaltung gehandelt, bei der die amtshandelnden "Befehlsempfänger" im Halbstundentakt und nach jeder Einreichung von Qamars Anwalts den Raum verlassen hätten, um telefonisch Rücksprache mit Vorgesetzten zu halten.

Der Anwalt Stefan Harg stellte fest, dass seinem Mandanten die ihm zustehenden Rechte verweigert wurden. Die blitzartig durchgeführte Anhörung bezeichnete er als Farce. Doch diese reiht sich ein in ein fragwürdiges, von Fehlern gespicktes Asylverfahren, wie selbst das Bundesverwaltungsgericht bestätigt hat.

Den Höhepunkt dieser Behördenwillkür stellte die schließlich am 27. Oktober durchgeführte Abschiebung dar - trotz laufendem Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung des humanitären Bleiberechts.

Über den Verbleib Qamars nach seiner Abschiebung war zunächst nichts bekannt. Sein Anwalt berichtete, dass es sich nach seiner Ankunft weder bei seinem Arbeitgeber noch bei ihm gemeldet habe, deshalb sei vom schlimmsten auszugehen. Am 31. Oktober wurde über eine Kontaktperson bei einer NGO in Pakistan bekannt, dass Qamar :: nach seiner Ankunft in Pakistan inhaftiert wurde.

Er verbrachte mehr als zwei Wochen im Gefängnis - unter katastrophalen Verhältnissen. Im Gefängnis in Karachi, so berichtete Qamar, seien rund 6.000 Insassen untergebracht, 30 bis 35 Männer würden sich eine Zelle und drei Toiletten teilen. Geschlafen werde auf dem Betonboden, unter Tag werde gearbeitet. Erst über die Vermittlung einer Connection aus Lustenau zu hochrangigen Persönlichkeiten in Pakistan konnte er von seinem Bruder :: freigekauft werden und in der Nacht von 13. auf 14. November das Gefängnis verlassen.

Ohne die Unterstützung zahlreicher Leute und Interventionen auf politischer Ebene würde er wohl noch immer sitzen, wie viele andere nach ihrer Abschiebung. Der ehemaliger Arbeitgeber von Qamar berichtete, dass dieser auch andere Insassen traf, die abgeschoben wurden. Manche würden seit zwei oder drei Jahren im Gefängnis sitzen: „Wenn es von außen keinen Einfluss gibt, nicht geschmiert wird - also mit Geld - oder auch sonstigen Einfluss, hat man keine Chance, herauszukommen.“


Breiter Widerstand


Es gibt mittlerweile :: zahlreiche Initiativen, die sich gegen die Abschiebung von Lehrlingen richten - meist mit Beteiligung der Arbeitgeber*innen, die um ihre Angestellten besorgt sind.

Eine dieser Initiativen ging vom oberösterreichische Integrations-Landesrat Rudi Anschober (Grüne) aus. Am 19. Dezember 2018 zog dieser Bilanz über ":: "Ein Jahr der Initiative „Ausbildung statt Abschiebung“, ein Jahr Gesprächsverweigerung der Regierung aber immer mehr Unterstützung im ganzen Land & Chancen durch Gerichte und EU."

"Bereits 1.097 Unternehmen, über 64.200 Unterzeichner/innen der :: Petition, 112 Gemeinden mit 2,7 Mio. Einwohner/innen und immer mehr Prominente unterstützen das Ziel: keine Abschiebungen während der Ausbildung, weiterhin Zugang von Asylwerbenden zur Lehre. (...)

Obwohl der Lehrlingsmangel immer dramatischer wird und die Zahl der offenen Lehrstellen immer stärker wächst (alleine in Oberösterreich bereits über 4.200!! in Mangelberufen), obwohl die Dauer der Asylverfahren inkl. zweiter Instanz sogar steigt und daher Integrationsmaßnahmen für Asylwerber/innen dringend erforderlich wären, hat die Bundesregierung in den vergangenen Monaten so gut wie alle Integrationsmaßnahmen für Menschen im Verfahren gestrichen und betreibt seit einem Jahr vollständige Gesprächsverweigerung gegenüber „Ausbildung statt Abschiebung".

Jedes Schreiben Anschobers an den Bundeskanzler wurde von diesem unter Verweis auf die Zuständigkeit des Innenministers nicht beantwortet und vom ebenfalls angeschriebenen Innenminister gibt es nicht einmal eine Reaktion. Jeder Dialog über Lösungsansätze wurde bisher verweigert."


Deshalb ging Anschober den Rechtsweg über die EU-Behörden und schaltete die EU-Kommission ein. Er beruft sich dabei auf die die EU-Aufnahmerichtlinie, die "besagt, dass in Mitgliedstaaten bei Asylverfahren über neun Monaten ohne Entscheidung in erster Instanz ein geeigneter Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge ermöglicht werden muss."

In einer Stellungnahme des Europarechtsexperten Assoz. Univ.-Prof. Dr. Franz Leidenmühler, Vorstand des Instituts für Europarecht der Johannes Kepler Universität Linz, heißt es:

„Nach Art 15 Abs 1 der RL 2013/33 haben die Mitgliedstaaten dafür Sorge, zu tragen, dass Asylwerber/innen spätestens neun Monate nach der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz effektiven Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten.
Diese Bestimmung ist so hinreichend konkret und unbedingt, dass sie nach den Kriterien der Judikatur des EuGH die Voraussetzungen für ihre unmittelbare Anwendbarkeit erfüllt, wie jüngst auch vom BVWG festgestellt wurde. Damit ist von den österreichischen Behörden und Gerichten diese Bestimmung vorrangig vor entgegenstehendem innerstaatlichen Recht und entgegenstehenden Erlässen (wie z.B. auch jenem vom 12. September 2018, mit dem die Bundesregierung den Zugang junger Asylwerber/innen zur Lehre verbaut hat) anzuwenden und der Zugang zum Arbeitsmarkt zu gewähren."