no-racism.net logo
 
 

[ 30. Dec 2000 ]

Todesfasten: Bericht eines anarchistischen Gefangenen

Ein Brief der von einem Anarchisten (Selbstdefinition des Schreibers) aus einem Gefängnis in der Türkei. Metin Alavi ist tot. Die politischen Gefangenen in der Türkei riefen zu einem Todesfasten auf an dem sich über 200 Gefangene beteiligten. Am 19.12.00 wurden die Gefängnisse gesTürmt.

 

"Ich bin seit fuenf Jahren anarchistischer Gefangener. Sie (DGM, Malatya - DGM ist ein Staatssicherheitsgericht - gaben mir 15 Jahre, weil ich meine anarchistische Identitaet und Vorstellungen nicht verleugnet habe. Ich musste mit allen moeglichen Problemen fertigwerden. Im Gefaengnis Malatya wurde ich in die Abteilung gesteckt, die von marxistisch-leninistischen Gefangenen dominiert wird. Die haben ich nicht akzeptiert. Mir wurde gesagt, ich koennte als normaler, unpolitischer Gefangener bleiben, aber nicht als Anarchist. Nur die PKK hat mich akzeptiert, unter einer Bedingung: ich durfte mit niemand ueber Anarchismus sprechen. Obwohl sie mir etwas nachgaben, als ich darauf bestand, haben sie meine anarchistische Identitaet nicht anerkannt. Sie waren mir gegenueber moderat, weil ich mich in der Vergangenheit im DGM als kurdischer Anarchist verteidigen musste. Waere dies nicht so gewesen, dann haetten sie mich sicherlich erst gar nicht in ihren Block gelassen. Ich hatte keine andere Wahl, als die Verlegung in das Gefaengnis Burdur zu beantragen. Dort gibt es 4 andere anarchistische Gefangene. Es gab Leute, die hinter Gefaengnismauern vom Anarchismus ueberzeugt wurden. Wie viele andere Anarchisten im Gefaengnis haben sie eine linke Vergangenheit. Als ich verhaftet worden war, wurde ich gefoltert. Ich hatte Schwierigkeiten zu atmen, Leberschmerzen, Probleme mit Augen und Ohren. Vor allem war ich schwer traumatisiert. Meine Zelle hatte keine Klimaanlage und meine Gesundheit verschlechterte sich immer mehr. Ich bekam Probleme mit dem Atmen und fiel manchmal in Ohnmacht. Ich schlug meinen anarchistischen Genossen vor, dass wir einen Antrag auf Verlegung in einen Block mit Klimaanlage stellen sollten. Sie stimmten zu. Aber die Gefaengnisverwaltung verweigerte uns unser Recht. Sie sagten uns, wir sollten die Repraesentanten des Gefangenenkomitees ansprechen, das von marxistisch-leninistischen Organisationen kontrolliert wird. Ich erklaerte denen die Situation. Ich bekam keine aerztliche behandlung.

Ich sprach auch mit den Repraesentanten der MLKP (Marxistisch- Leninistische Kommunistische Partei) und der PKK und bat sie um Hilfe. Sie regten sich auf. Sie verweigerten uns Hilfe, weil wir Anarchisten waren und keine "Revolutionaere" seien. Sie sehen uns nicht als Revolutionaere. Sie sagten uns, wir sollten keine weiteren Probleme mehr verursachen. Meine Genossen und ich diskutierten die Lage. Wir beschlossen, eine Verlegung in ein anderes Gefaengnis zu beantragen, wo es keine Marxisten gibt. Ein Freund riet mir, ich sollte in einem der politischen Blocks bleiben, bis es mir gesundheitlich wieder besser geht. Zuerst lehnte ich dies ab, aber dann war ich sehr besorgt, weil ich haeufiger Ohnmachtsanfaelle bekam. Ich beschloss, dies den Repraesentanten des Gefangenenkomitees mitzuteilen. Die MLKP weigerte sich sofort, mich in ihren Block aufzunehmen. Die PKK wollte mich unter einer Bedingung aufnehmen: ich sollte ein "normaler" Buerger sein. Ich war sehr verletzt und weigerte mich. Dann schickte das Gefangenenkomitee einige meiner Besucher zurueck. Begruendung: wir seien keine Revolutionaere (...). Wir wurden an verschiedene Orte verlegt. Ich wurde ins Gefaengnis Konya/Ermenek geschickt. Dort war ich cirka 2 Jahre. Einige Zeit war ich bei den Trotzkisten untergebracht, weil die auch abgelehnt wurden und das Gefangenenkomitee behandelte sie wie uns. Schliesslich erkannte ich, wie schwierig es ist, mit Marxisten zu leben. Meine eigenen politischen Einstellungen waren der Grund dafuer. Meine Gesundheit war in der Einzelhaft gefaehrdet. Ich wurde ins Numune- Krankenhaus in Ankara geschickt. Dort konnten sie aber nichts gegen meine schweren Kopfschmerzen und meine Ohrerkrankung tun. (...) Wir Ihr sehen koennt, steht eine schwere Strafe darauf,
Anarchist zu sein. Alle sehen dich als Gegner. Ich denke, darueber sind sich Anarchisten sehr bewusst. Ich hoffe, dieser Brief hilft dabei, euch ueber die Bedingungen zu informieren, denen Anarchisten in tuerkischen Gefaengnissen ausgesetzt sind."

Uebersetzung: FdA Hamburg, e-mail: i-afd_2 (at) anarch.free.de
Text verbreitet von Anarchist Black Cross Innsbruck
Der Absender wurde anonymisiert. a-infos-en (at) ainfos.ca