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[ 23. Jul 2004 ]

Cap-Anamur: UNHCR kritisiert Italiens Behörden

Flüchtlinge auf dem Schiff

Das UNHCR hat in einem Schreiben an die italienischen Behörden das Verfahren kritisiert, das zu der Abschiebung einer Gruppe von Asylsuchenden aus Italien führte.

 

Das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR hat heute in einem Schreiben an die
italienischen Behörden das Verfahren kritisiert, das zu der - auch
international Aufsehen erregenden - Abschiebung einer Gruppe von
Asylsuchenden aus Italien führte. UNHCR drückte seine große Besorgnis
darüber aus, dass akzeptierte internationale und EuropäischeStandards
offensichtlich missachtet worden seien.

27 der insgesamt 37 Personen, die letzten Monat im südlichen Mittelmeer von
dem deutschen Schiff Cap Anamur aufgenommen worden waren, wurden gestern
Morgen vom rÃŒmischen Flughafen Fiumicino aus nach Ghana ausgeflogen, wo sie
um 12.15 Uhr landeten. Zuvor waren bereits fünf Asylsuchende aus der Gruppe
nach Nigeria abgeschoben worden. Eine weitere von der Cap Anamur
aufgenommene Person erhielt allem Anschein nach eine vorläufige
Aufenthaltserlaubnis in Italien, ohne überhaupt das normale Asylverfahren
durchlaufen zu haben.

"Unabhängig davon, ob diese Menschen tatsächlich aus Ghana und Nigeria
stammen und ob sie Flüchtlinge sind oder aus anderen Gründen nach Europa zu
kommen versuchten - wir sind sehr besorgt über die Art und Weise, wie in
dieser Angelegenheit verfahren wurde", sagte UNHCR-Europadirektor Raymond
Hall.

UNHCR hatte die Entscheidung der italienischen Behörden ausdrücklich
begrÌßt, den 37 Asylsuchenden zu erlauben an Land zu gehen. Die
UN-Organisation bedauert jedoch zugleich die erheblichen MÀngel, die es bei
der darauf folgenden Behandlung der Asylanträge gegeben hat.

Kurz nach der Erlaubnis, an Land gehen zu können, und trotz der Tatsache,
dass diese Gruppe erklärt hatte, einen Asylantrag stellen zu wollen,
scheinen die Behörden eine Gegenüberstellung mit Diplomaten aus mehreren
möglichen Herkunftsländern (u.a. dem Sudan) veranlasst zu haben. Es
widerspricht allen internationalen und Europäischen Standards, mögliche
Flüchtlinge mit einem Repräsentanten einer Regierung zu konfrontieren, die
verantwortlich für deren Flucht sein kann.

Die so genannte Zentrale Kommission, die Asylverfahren in Italien
durchführt, scheint von Beginn an unter starkem Druck gewesen zu sein, die
Asylanträge abzulehnen. So informierte der Innenminister die Medien darüber,
dass niemand aus dieser Gruppe ein Flüchtling sei, noch ehe die Kommission
überhaupt mit der Anhörung der Asylsuchenden begonnen hatte.

Die aus fünf Mitgliedern bestehende Kommission, an der UNHCR in beratender
Funktion beteiligt ist, musste alle 36 Personen in weniger als zwei Tagen
und ohne ausreichende Vorbereitungen befragen: Es waren praktisch keine
Informationen über die möglichen Herkunftsländer und völlig ungenügende
Dolmetscherdienste verfügbar. Den Asylbewerbern selbst wurde kein
ausreichender Zugang zu rechtlicher Beratung gewährt.

Trotz des Drucks empfahl die Kommission, 22 der 37 Asylbewerber den
Aufenthalt aus humanitären Gründen zu gestatten. Weitere 14 Personen wurden
abgelehnt. Ungeachtet dessen wurden fast alle - wenn nicht sogar alle -
Asylbewerber aus der Gruppe von 22 Personen am Donnerstag abgeschoben,
obwohl nicht klar ist, ob eine abschließende formelle Entscheidung der
Kommission vorlag.

UNHCR hatte eingeschränkten Zugang zu der Gesamtgruppe während ihres
Aufenthalts in Sizilien. Am Montag hatte UNHCR erneut Kontakt zu den 14
abgelehnten Asylbewerbern, die zu diesem Zeitpunkt in Rom waren. Alle 14
Personen hatten RechtsanwÀlte darüber informiert, dass sie gegen die
Entscheidung Berufung einlegen wollten. Jedoch bekam UNHCR am Dienstag
keinen Zugang zu den 22 Personen, für die von der Kommission ein humanitärer
Status empfohlen worden war. Sie hatten ebenfalls Berufung gegen die
Entscheidung eingelegt, da ihnen nicht der volle Rechtsstatus nach der
Genfer Flüchtlingskonvention zuerkannt worden war. Seit Montag blieben UNHCR
’s Bitten um weitere Informationen unbeantwortet.

"Akzeptable Standards für die Behandlung von Asylgesuchen müssen während des
gesamten Verfahrens eingehalten werden", sagte Hall. "In diesem Fall wurden
in verschiedener Hinsicht internationale und EuropäischeNormen,
einschließlich der absoluten Mindeststandards der kürzlich verabschiedeten
EU-Richtlinie über Asylverfahren nicht eingehalten. Auch die Politisierung
dieses Vorgangs durch alle Beteiligten wirkte sich ungünstig aus. Wir
hoffen, dass in Zukunft eine Zusammenarbeit mit den italienischen Behörden
möglich ist, durch die wir sicherstellen können, dass Asylverfahren die
angemessene Rechtssicherheit bieten."

"Nach unserem Eindruck sind auch einige Fragen über das Vorgehen von Cap
Anamur noch unklar", sagte Hall. "Letztlich wurden die 37 Menschen auf dem
Schiff, unabhängig von ihrer Herkunft, zu Opfern widersprüchlicher
Interessen. Das ist nicht der richtige Weg, das sehr ernste - und oft über
Leben und Tod entscheidende - Thema Asyl anzugehen."

Dieser ganze unglÃŒckliche Vorfall, der drei Staaten (Italien, Deutschland
und Malta) in komplexe Rechtsstreitigkeiten zu verwickeln drohte, machte
deutlich, wie notwendig es für die EuropäischeUnion ist, maßnahmen zu
verabschieden, die auf eine bessere Teilung der Verantwortung und Lasten
zwischen den Staaten zielen. Dies ist besonders der Fall, wenn es
unterschiedliche Interpretationen über die Verantwortlichkeit von Staaten
gibt oder eine besondere Problemlage mit Blick auf Asylsuchende oder
Flüchtlinge überproportional auf den Schultern eines einzelnen EU-Staates
liegt. Zumeist sind hiervon wahrscheinlich die Anrainerstaaten des
Mittelmeeres, wie etwa Italien, oder die EU-Grenzstaaten in Mitteleuropa
betroffen. UNHCR hat jüngst der EU eine Reihe von weit reichenden
Vorschlägen mit dem Ziel gemacht, diese Schwierigkeiten besser bewältigen zu
können.

UNHCR - Medieninfo vom 23.07.2004