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[ 16. Nov 2004 ]

Abschottung um jeden Preis: Institutionalisierung von Rassismen in Europa

In den letzten Jahren war es immer wieder Thema: MigrantInnen auf dem Weg in die Festung Europa schon im Vorfeld an der Einreise zu hindern. In den vergangenen Wochen wurde diese Diskussion verstärkt geführt. Hinter den Schlagworten "Harmonisierung der Asyl- und Migrationspolitik", "Hilfe für Flüchtlinge", "gemeinsamer Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" und manchmal sogar "offene Grenzen" verbirgt sich eine Politik der Abschottung, Kriminalisierung, Internierung und Deportation.

 

Inhalt:
Der Streit um Zahlen
Harmonisierte Abschottung
Neue Lager
GÀngige Praxis


Seit Jahren arbeiten die Innen- und Justizbehörden der EU an einer Harmonisierung der Abschottung der Festung EUropa. Beim EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs im Oktober 1999 in Tampere, Finnland, wurde ein erster großer Schritt in der Umsetzung dieser Pläne erzielt. Der Aufbau eines "gemeinsamen Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" wurde propagiert. Fragen zur Asyl- und Migrationspolitik der EU-Mitgliedsstaaten sollten sich in Zukunft an Mindeststandards der EU orientieren, vorerst aber noch nationales Recht sein. Wie diese Mindeststandards aussehen, zeigt u.a. die Änderung der Asylgesetzgebung in Österreich, die mit Mai 2004 zahlreiche Verschärfungen brachte. Teile dieser Veränderungen sind die Errichtung von sog. Erstaufnahmezentren (EAZ), deren Privatisierung (Betreuung durch European Homecare), die Prüfung der Zulassung zu einem Asylverfahren, die Möglichkeit der Deportation im laufenden Verfahren usw. Letztgenannte Praxis wurde von zahlreichen Menschenrechtsorganisationen kritisiert und eine Beschwerde beim VfGH eingebracht, über die im Herbst verhandelt werden soll. (Anm: mittlerweile wurden Teile der AsylG Novelle 2003 als nicht verfassungskonform erklärt)


Der Streit um Zahlen


Eine weitere Veränderung durch die Asylgesetznovelle betraf die Unterbringung von Flüchtlingen im laufenden Verfahren. Nachdem von Höchstgerichten entschieden worden war, dass allen Flüchtlingen und AsylwerberInnen im laufenden Verfahren die Aufnahme in Bundesbetreuung gewährt werden müsse, ging das Innenministerium in die Offensive und verfasste Listen mit Herkunftsländern, deren Staatsangehörige ebendiese verwehrt wurde. Und es wurde darauf verwiesen, dass die Gesetzesänderung eine entsprechende Regelung bringen würde. Mittlerweile ist das Gesetz seit mehreren Monaten in Kraft, doch die Bundesregierung streitet mit den ländern weiter um die Umsetzung der sog. Paragraf-15a-Vereinbarung zur Flüchtlingsbetreuung, nach der die Flüchtlinge anteilsmäßig auf die einzelnen länder verteilt werden sollen. Es gab Vorschläge seitens der ÖVP, Flüchtlinge in Kasernen unterzubringen, was jedoch aufgrund des massiven Proteste in den betreffenden Gemeinden wieder fallengelassen werden musste. Dann sollte jede Gemeinde in Österreich eine Flüchtlingsfamilie aufnehmen, da dies eine bessere Integration bedeute. Doch dieser Vorschlag stieß auf Ablehnung seitens der bürgerInnenmeisterInnen. Zuletzt wurde die Errichtung zweier zusätzlicher EAZ in der Steiermark und Tirol propagiert. Doch auch hier gibt es Differenzen zwischen der Bundes- und den Landesregierungen. übrig bleibt die Botschaft: Flüchtlinge sollen menschenwürdig untergebracht werden, doch "nicht bei uns". Eine Grundversorgung für alle AsylwerberInnen ist jedenfalls in keiner Weise gegeben.

Gleichzeitig wird die Diskussion jedoch von einem weiteren Thema bestimmt: Wer ist Flüchtling? Die Trennung in Flüchtlinge und MigrantInnen wird dermaßen strapaziert, dass zuletzt nur noch übrig bleibt: die Flüchtlinge kÀmen nur, um sich in Europa auf die faule Haut zu legen und am Reichtum mitzunaschen. Doch gerade diesen Reichtum gilt es zu verteidigen. Mit aller Gewalt, Tote werden bereitwillig in Kauf genommen. Rechtliche Ungleichheiten stehen im Mainstreamdiskurs nicht mal zur Diskussion. Selbst in Aussagen der Grünen SpitzenpolitikerInnen geht es darum, auf die Interessen der Bevölkerung - gemeint ist die MehrheitsBevölkerung, die die FPÖ gerne als die "echten Österreicher" bezeichnet - und den Bedarf der Wirtschaft Rücksicht zu nehmen. spätestens seit der schwarz/grünen Landesregierung in OberÖsterreich fällt es den Grünen schwer, Kritik zu ÃŒben. Viel einfacher ist es da schon, die Schuld an der Misere bei den anderen zu suchen, so wie der Grüne Bundessprecher Van der Bellen: "Ich denke mir, die Grünen in der OberÖsterreichischen Landesregierung sind sicher nicht die, die daran schuld sind, sondern es sind die Sozialdemokraten."

Doch eigentlich geht es in diesem Streit eher um Zahlen als um Menschen. Und genau dies ist das Problem. Wenn Flüchtlinge oder MigrantInnen als Menschen wahrgenommen werden, dann lediglich als Opfer: Nicht sie selbst würden nach Europa kommen, sie würden viel mehr von der Schleppermafia nach Europa gebracht werden. Diese Bild von den "unschuldigen Opfern" kann nach Belieben in ein anderes gekehrt werden, wenn die entsprechenden Feindbilder konstruiert sind: illegalisierte EinwanderInnen, jene, die Asylgründe nur vortÀuschen, Kriminelle, Drogendealer, Automader, die Ostmafia, RumÀnenbanden usw. dienen dazu, einen rassistischen Grundkonsens in der Bevölkerung zu verstärken und die Leute gegeneinander auszuspielen. Eine Praxis, die nicht auf Österreich beschränkt ist. überall in der EU und darüber hinaus wird an der Abschottung der Festung Europa gebaut, werden jene Pläne umgesetzt, die den Wohlstand und die Sicherheit in der EU gewähren sollen.


Harmonisierte Abschottung


Die Harmonisierung der EU-Migrationspolitik hat jedenfalls ein neues Stadium erreicht. Nachdem die 1999 beschlossene Harmonisierung weitgehend umgesetzt wurde, wird nun an einer weiteren Harmonisierung gearbeitet. Am EU-Gipfel der Fachminister für Justiz und Inneres von 30.9. bis 1.10.2004 in Scheveningen, NL, wurde wie gewohnt hinter verschlossenen Türen über die Zukunft der Festung Europa diskutiert. Der Öffentlichkeit wurden Ergebnisse präsentiert. Jene Ergebnisse, die für die Öffentlichkeit gedacht sind. Diese Praxis verwundert nicht, treffen doch seit Jahren verschiedenste Ad-hoc-Gruppen und -Diskussionskreise bestehend aus führenden PolitikerInnen und BeamtInnen der EU-Staaten zusammen, um an einer Verschärfung zu arbeiten. Dabei kooperieren diese geschickt mit den Medien. Notstände werden inszeniert und Bedrohungsszenarien geschaffen. So verwundert es nicht, dass gerade rund um den EU-Gipfel verstärkt Meldungen über "Flüchtlingsströme", überfüllte Asylheime usw. vermehrt in die Medien kommen.

Nebenbei werden die künftigen Vorgaben für die Migrations- und Asylpolitik der Europäischen Union präsentiert. Vorbereitet wurde der Plan in den Niederlanden, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne hat. Das als "Tampere II" bezeichnete Programm hat bereits konkrete Vorstellungen. möglichst bis zum Jahr 2010 soll etwa ein EU-Amt für Asylfragen entstehen, das die Prüfungsverfahren für Flüchtlinge koordiniert und die Bewachung der EU-aussengrenzen soll zukünftig von einer gemeinsamen Grenzschutztruppe durchgeführt werden. In einer zweiten Phase soll das gemeinsame EU-Asylsystem in der Lage sein, Aufnahmeanträge von bestimmten Flüchtlingsgruppen bearbeiten zu können, die etwa aus dem gleichen Herkunftsland kommen. Und grundsätzlich soll sich die Zuwanderung je nach Bedarf des Arbeitsmarkts ausrichten.

Ergänzung: Das in Scheveningen, nahe der Stadt Haag, ausgearbeitete Programm wurde bei einem Gipfeltreffen der Staats- und der RegierungsschefInnen am 5. November 2004 in Brüssel beschlossen. Es trägt den Namen Haager Programm.


Neue Lager


Medial angeheizt wurde die Debatte um die künftige EU-Migrationspolitik vom deutschen Bundesinnenminister Otto Schily mit der Idee zur Bildung von Auffangzentren für Flüchtlinge in Nordafrika. Er war nicht der erste, der derartige Vorschläge äußerte. Bereits ein Jahr zuvor äußerte der britische Premierministers Tony Blair seinen Vorstellungen, außerhalb der EU Camps für Asylsuchende zu errichten, in denen sie den Ausgang des Asylverfahrens abwarten müssen - etwa in der Ukraine. Der Österreichische Innenminister Ernst Strasser (ÖVP) teilte damals mit, dass dieser Vorschlag von Österreich und Dänemark unterstützt werde. für Strasser könnten diese Camps aber ebenso gut innerhalb der EU liegen.

Die Diskussion vor einem Jahr flaute schnell ab, wurde sie doch massiv kritisiert. Im Vereinigten Künigreich mussten damals ebenfalls Berichte in Medien dementiert werden, nach denen bereits an einem Lager in Kroatien gebaut wurde. Es handle sich dabei um ein Lager für Asylsuchende aus England, die nach Kroatien deportiert werden, um dort auf den Ausgang ihres Verfahrens zu warten, sondern um welche aus Kroatien selbst.

Beim Treffen der EU-Justiz- und InnenministerInnen in Scheveningen wurde der Plan von Lagern in Nordafrika, die von der EU betrieben werden, jedenfalls vorerst fallen gelassen. Es wurde jedoch eine grundsätzliche Einigung erzielt, fünf Pilotprojekte vorzubereiten. Als PartnerInnenländer seien dafür Libyen, Tunesien, Algerien, Marokko und Mauretanien vorgesehen. Diese sollen - unter finanzieller und logistischer Unterstützung durch die EU - von den jeweiligen ländern betrieben werden, die Stellung von Asylanträgen für die EU aber möglich sein. Voraussetzung sei jedoch, dass die betreffenden länder die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert haben. Zudem müsse geklärt werden, wie ein abgelehnter Asylbescheid vor Ort rechtlich überprüft werde. Schließlich müsse klargestellt werden, wer für die Rückführung abgelehnten AsylbewerberInnen zuständig sei. Im Entwurf der niederländischen RatspräsidentInnenschaft wird die EU-Kommission aufgefordert, bis Juni 2005 entsprechende Pläne für die Zentren vorzulegen. Als Starttermin ist in dem Papier Dezember 2005 vorgesehen. In der Aussprache habe sich keinE TeilnehmerIn grundsätzlich gegen die Idee ausgesprochen, hieß es. Es wurde des weiteren diskutiert, solche Zentren auch in Osteuropa aufzubauen, um den steigenden "Flüchtlingsstrom" aus Tschetschenien zu bewältigen.

Die EU-MinisterInnen wollten diese Projekte in Zusammenarbeit mit dem Hohen Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen UNHCR realisieren, doch dieser stellte sich quer und dementierte derartige Meldungen.

Die EU-Kommission dementierte ihrerseits diese Angaben. Nach Generaldirektors Jonathan Faull gehe es darum, in den genannten ländern die jeweiligen Asylsysteme stärken, um die illegalisierte Einwanderung besser in den Griff zu bekommen. Ziel sei letztlich ein besserer Schutz für Flüchtlinge und Asylsuchende.


GÀngige Praxis


Während auf Verhandlungstischen und via Medien diskutiert wird, ist die gängige Praxis bereits viel weiter fortgestritten. Nachdem die EU das Ende des Embargos gegen Libyen für Ende Oktober 2004 angekündigt hatte, einigten sich libysche und italienische RegierungsvertreterInnen nun auf eine Zusammenarbeit bei der Kontrolle der "Migrationsströme".

Der italienische Innenminister Giuseppe Pisanu sprach nach einem Treffen mit dem libyschen Staatspräsident Muammar Gaddafi am 26. September 2004 von einem "vollen Erfolg" seiner Mission. Italien wird Libyen AufKlärungsflugzeuge, Hubschrauber, Patrouillenboote, wÃŒstentaugliche Fahrzeuge sowie Radar- und Nachtsichtgeräte liefern.

Das libysche Heer wird künftig auch eigene Flugzeuge und Schiffe zur überwachung der Migrationsbewegungen einsetzen. 150 italienische ExpertInnen sollen in kürze in Tripolis mit der Ausbildung der Grenzschutzeinheiten beginnen und libysche PolizistInnen auf ihren Patrouillengängen begleiten. Italienische Behörden sollen die libyschen auch bei der Fahndung nach den OrganisatorInnen von Flüchtlingstransporten nach Sizilien unterstützen. außerdem ist die Errichtung von drei Asyllagern für 1000 Flüchtlinge geplant. Dafür muss vorher im lybischen Parlament ein eigenes Gesetz verabschiedet werden.

Nach Angaben des italienischen Innenministers hatte Libyen in den vergangenen Wochen 6.500 Flüchtlinge in deren Herkunftsländer zurückgeschickt. Libyen dürfe hier nicht alleine gelassen werden. Italien hat seinerseits Anfang Oktober mit Massendeportationen begonnen. In Flugzeugen der Al Italia und der italienischen Luftwaffe wurden innerhalb weniger Tage mehr als 800 Leute lediglich 24 bis 48 Stunden nach ihrer Ankunft auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa(1) unter Ausschluss der Öffentlichkeit nach Libyen geflogen. Eine nach der Genfer Flüchtlingskonvention vorgeschriebene Anhörung der Asylsuchenden scheint in dieser Zeit kaum möglich.

Doch selbst wenn es zu einer Anhörung gekommen ist, gilt es, die gängige Praxis von Abschottung, Kriminalisierung, Internierung und Deportation zu kritisieren. Denn Fakt ist, dass sich die Leute nicht davon abhalten lassen werden, in die goldene Festung Europa einzureisen. Und es sollten die ohnehin nur minimalen Rechte der MigrantInnen eher ausgebaut als beschnitten werden. Doch davon dürften die KonstrukteurInnen eines "gemeinsamen Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" nicht viel halten.



Anmerkung:


(1) Lampedusa ist eine Mittelmeerinsel, die nahe an der Küste zu Afrika liegt. Da sie selbst als EU-Territorium gilt, versuchen viele Flüchtlinge über diesen Anlaufpunkt das EuropäischeFestland zu erreichen. Auf Lampedusa befindet sich ein Flüchtlingslager, dass nach offiziellen Angaben für 190 Personen ausgelegt ist, in dem sich derzeit jedoch mehr als 1000 Personen befinden. Die Insel wurde in den letzten Monaten immer wieder in Zusammenhang mit Migrationsbewegungen genannt. Zahlreiche Menschen ertranken in den letzten Jahren beim Versuch, mit kleinen Booten diese Insel zu erreichen.

Dieser Text erschien zuerst in TATblatt Nr. +214 - Oktober 2004 (pdf-download, ca. 800 KB)