Die ohnehin schon massive Repression gegen die Revolte im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca verschärft sich weiter. In den letzten Wochen wurden mindestens 17 Menschen von "Sicherheitskräften" erschossen und zahlreiche verwundet. Hunderte wurden verhaftet, viele gelten als "verschwunden". Es kam zu Folter und Vergewaltigungen.
Nachdem am 27. Oktober 2006 die Repression in Oaxaca einen Höhepunkt erreichte, als Paramilitärs mehrere Menschen erschossen, und am 29. Oktober die Bundespolizei die Stadt Oaxaca schwer bewaffnet angriff, gab es lange Kämpfe. Die Protestierenden errichteten zahlreiche Barrikaden und besetzten weite Teile der Stadt. (siehe :: Oaxaca - ein Aufstand für die Freiheit!)
Am Samstag, 25. November 2006, fand die siebte Megamarcha mit 100.000en TeilnehmerInnen in Oaxaca Stadt statt. Das Ziel war, nach einem acht Kilometer langen Marsch in Richtung Stadtzentrum die dort statioierten Einheiten der PFP (Bundespolizei) einzukreisen und diesen Kordon während 48 Stunden aufrecht zu erhalten. Doch die PFP ließ sich dies nicht lange gefallen und es entwickelte sich eine heftige Straßenschlacht, in deren Folge die Polizei die ganze Stadt terrorisierte. In anschließenden Straßenschlachten wurden 141 Menschen verhaftet und in ein 1200 Kilometer entferntes Gefängnis gebracht. Weiters gab es ersten Berichten zu folge mindestens 80 Verletzten (darunter 20 Schussverletzte), sowie viele Verschwundene. Ebenfalls wurde über mehrere Tote berichtet. (:: mehr hier bei :: Telepolis und :: Presseerklärung der APPO)
Verhaftungswelle
Am Sonntag, 26. November, erklärten Ruiz und die PFP-Kommandanten: "Die Geduld ist am Ende". In den Tagen zuvor wurden ca. 250 Personen verhaftet und zahlreiche weitere Haftbefehle gegen bekannte Mitglieder der "Versammlung der Bevölkerung Oaxacas" (Appo) ausgestellt. Die Appo ist im Zuge der Revolte entstanden und ein Zusammenschluss von 100en Organisationen aus den unterschiedlichsten Spektren. Sie ist neben den seit Mai protestierenden LehrerInnen die wichtigste Plattform der Aufständischen.
Neben der Polizei agierten weiterhin Paramilitärs in der ganzen Stadt und beschossen beispielsweise das Auto eines Priesters und die medizinische Fakultät.
Am 27. November übernahmen Elitetruppen die Kontrolle über die gesamte Polizei von Oaxaca, u.a. um 200 Haftbefehle wegen Beteiligung am Aufstand auszuführen. Und wieder kam es zu Verletzten, Verhaftungen und Folter. (:: Ticker vom 27. Nov)
In den folgenden Tagen spitzte sich die Repression weiter zu. Neben weiteren Verhaftungen gab es erneut Verletzte durch Schüsse. Außerdem wurde bekannt, dass die Verhafteten in Hochsicherheitsgefängnisse verlegt werden sollen. Immer wieder werden Fälle von Folter und Vergewaltigungen durch die Polizei bekannt. (:: Ticker vom 29. Nov)
Am Mittwoch, 29. November beschloss die APPO-Führung, unterzutauchen. Die Proteste gingen jedoch weiter. So fand trotz massiver Einschüchterungsversuche der Polizei am 1. Dezember 2006 in Oaxaca eine Demonstration statt. Aufgerufen hatten die Appo und die LehrerInnen. Die schwer bewaffnete Polizei drohte die Waffen einzusetzen und alle Demonstrierenden sofort zu verhaften. Trotzdem startete mit zwei Stunden Verspätung ein Demonstrationszug mit tausenden Menschen. Sie zogen mit Sprechchören und vielen Transparenten durch die Straßen. Angeführt wurde die Demo von den Angehörigen und FreundInnen der Ermordeten, der Gefangenen und der Verschwundenen. Die Demo endete im Stadtzentrum bei der Plaza de la Danza, welche nur fünf Straßen weg ist vom historischen Zentrum, welches durch die PFP besetzt ist.
An der Schlusskundgebung wurden auch einzelne der APPO-Leute, die aufgrund von gegen sie ausgestellten Haftbefehlen untertauchen mussten, via Handy live zugeschaltet und hielten Reden. So z.B. der ehemalige Generalsekretär der LehrerInnen Gewerkschaft in Oaxaca, Evangelio Mendoza González. Er sagte: "Wir sind in die Hauptstadt gegangen, nicht um uns zu verstecken, sondern um eine weitere Verhandlungsrunde anzugehen, um die unmittelbare und bedingungslose Freilassung aller politischer Gefangenen zu fordern, wie auch um unsere Forderung nach der sofortigen Absetzung von Ulises Ruiz zu bekräftigen. Es gibt zu diesen Forderungen keine Kompromisse und die Bewegung der LehrerInnen und der Bevölkerung wird dafür bis zu den letzten Konsequenzen kämpfen. Wir werden nicht aufhören bis Ulises Ruiz seine Koffer packt und Oaxaca verlässt."
Einer der SprecherInnen der APPO, Florentino López, sagte gegenüber der Presse, dass Mexico mit der Benennung der neuen MinisterInnen im Innenministerium und Justizministerium nur noch zwei gangbare, mögliche Wege offen hat: "Entweder eine Verhandlungslösung oder der Weg der Diktatur."
verschärfte Repression
Wenige Tage nach dem Amtsantritt des konservativen mexikanischen Präsidenten Felipe Calderón am 1. Dezember 2006 verschärfen die Sicherheitsbehörden weiter die Repression gegen AktivistInnen der APPO.
Auf der Suche nach mutmaßlichen Appo-AnführerInnen stürmte die Polizei Schulen, um LehrerInnen festzunehmen, gegen die Haftbefehle wegen Beteiligung am Aufstand in der gleichnamigen Landeshauptstadt vorliegen.
Der neue Präsident Calderón von der Partei der Nationalen Aktion (PAN) hatte bereits vor seiner Amtsübernahme keinen Zweifel daran gelassen, dass er auf eine harte Linie gegen die Opposition setzen wird. Der PAN-Politiker hat in seinem wirtschaftsliberal und konservativ ausgerichteten Kabinett deutliche Akzente gesetzt: der als rechter Hardliner bekannte Gouverneur des Bundesstaates Jalisco, Francisco Ramírez Acuña (PAN), führt nun das Innenministerium. Acuña trägt die politische Verantwortung für die Folter von AktivistInnen, die im Zuge der Proteste gegen den :: EU-Lateinamerika-Gipfel im Jahr 2004 in Guadalajara festgenommen wurden. Die Ernennung Acuñas sei ein Ausdruck von "Calderóns Geringschätzung der Menschenrechte", urteilte der Menschenrechtsdachverband "Todos los Derechos para Todos". Der neue Innenminister lässt keinen Zweifel aufkommen, dass er seine allbekannte Politik der kompromisslosen Repression gegen die sozialen Bewegungen in Mexiko durchsetzen will.
... dann ist wirklich niemand mehr sicher
Am 4. Dezember 2006 wurden wenige Stunden nach einer Pressekonferenz in Mexiko-Stadt der Appo-Sprecher Flavio Sosa sowie drei weitere Aktivisten des Bündnisses verhaftet. Sosa wird Entführung, Raub, Körperverletzung und Sachbeschädigung vorgeworfen.
Auf der Pressekonferenz wurde bekannt gegeben, dass am kommenden Tag eine Verhandlungsrunde zwischen der APPO und dem Innenministerium stattfinden solle. Offensichtlich waren die entsprechenden Vorbereitungsgespräche jedoch eine Falle des Innenministeriums. Momentan werden täglich Leute unter dem Vorwand, mit der APPO verbunden zu sein, verhaftet und sehr viele gelten als verschwunden.
Laut :: poonal ist die Verhaftung von Flavio Sosa zwar nur eine unter vielen, dennoch gilt sie als speziell interessant. Sosa ist alles andere als ein radikaler politischer Gegner der Regierenden. Bis zum Jahr 1999 war er Mitglied der PRD, die er verließ um die Wahlkampagne des damaligen Präsidentschaftskandidaten Fox zu unterstützen. Kürzlich hat er öffentlich bekannt gegeben, dass dies ein Fehler war und dass er sich heute wirkliche Veränderungen nur mittels pazifistischen Basisbewegungen vorstellen könne. Flavio Sosa wurde in den letzten Jahren stark von den Kämpfen der bolivianischen Indigena-Bewegungen beeinflusst und sieht im dortigen Präsidenten Evo Morales eine Leitfigur, die speziell auch für Oaxaca interessant ist. Sosa ist bekannt als moderater linker Kämpfer und Politiker. Er versuchte in Oaxaca immer wieder erfolgreich die aufgebrachten Volksmassen zu beruhigen und zu überzeugen, dass jegliche Gewaltanwendung mit einem Massaker enden würde.
Allen hier ist folgendes klar geworden: Wenn Falvio Sosa verhaftet wird, dann ist wirklich niemand mehr sicher. Zudem ist es ein Warnschuss des Innenministeriums gegen die APPO. Nach dieser Verhaftung wird es für diese schwierig sein, sich öffentlich zu manifestieren und jede Versammlung ist nur noch unter massiver Gefährdung möglich. Diese Verhaftung kommt einer offiziellen Illegalisierung der APPO gleich.
Die Repressionswelle nimmt Ausmaße an, die an die :: Massaker von Tlatelolco im Jahr 1968 erinnern, bei dem Einheiten der mexikanischen Armee Protestierende umzingelte und wahllos in die Menge schoss. So wurden im Vorfeld der Olympischen Spiele die das Land erschütternden StudentInnenunruhen blutig niederschlagen. Dieses Ereignis gilt als eines der Ereignisse, die den "Guerra Sucia" (Schmutziger Krieg) eröffneten, dem inoffiziellen Vorgehen von Regierung und Armee gegen linksgerichtete Oppositionelle im Mexiko der 1970er Jahre.
Ein langer Kampf, der Unterstützung braucht
Ein Aktivist schrieb aus Mexiko in einem :: persönlichen Brief an die Demo vom 2.12.2006 in Bern, dass die Kämpfe um soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde eben erst angefangen haben:
"In Oaxaca, wie an anderen Orten auch, hat dieser Kampf bisher viel Blut gekostet und die Liste der Toten und Verschwundenen wird täglich länger. Das ist wahrscheinlich nur ein kleiner Vorgeschmack wie das Leben in Mexiko unter dem neuen neoliberalen Präsidenten Calderon aussehen wird. Dieser hat schon angekündigt, dass er mit harter Hand regieren werde und dies würde auch Menschenleben fordern.
Die Repression hier in Oaxaca ist im Moment extrem und die Regierung macht keine Anstalten den Forderungen der APPO nachzukommen. Vieles deutet darauf hin, dass sich die Bewegung auf einen langen Kampf einstellen muss. Unterstützung, von wo auch immer, ist dringendst gefragt. In diesem Sinne möchte ich allen danken, die an dieser Demo teilnehmen, dass sie sich solidarisieren! Ich möchte gleichzeitig an alle appellieren, diese Unterstützung auch in Zukunft nicht zu lassen, dann nämlich, wenn dieser Kampf nicht mehr die internationalen Schlagzeilen erreicht. Der Kampf geht weiter und ist lang und hat viele unspektakuläre und langwierige Facetten - es ist aber immer der gleiche Kampf."
Für den 10. Dezember 2006 hat die APPO in Oaxaca zu einer Großdemonstration aufgerufen - der 8. Mega-Marcha im Laufe der letzten sechseinhalb Monate. Bis dahin wird nochmals versucht, Verhandlungen mit dem Innenministerium zu führen. Ein Erfolg dieser Gespräche ist zu bezweifeln, um so wichtiger scheint es, dass die internationale Unterstützung der Proteste weiter anhält.
:: Aufruf zu Eilaktionen zur Solidarität mit der APPO und den Aufständischen in Oaxaca - internationaler Aktionstag am 10. Dezember 2006
Für den 22. Dezember 2006 hat das Generalkommando des EZLN im Rahmen der anderen Kampagne zu einem weltweiten Solidaritätstag mit der Widerstandsbewegung in Oaxaca aufgerufen. Siehe :: Worte des Delegierten Null auf der 4. Konferenz der Politischen Linken Antikapitalistischen Organisationen (COPAI) der Anderen Kampagne, in D.F.
Quellen: :: poonal :: de.indymedia.org :: chiapas.ch :: 1 :: 2 :: 3