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[ 15. May 2007 ]

Eine Gesellschaft, in der Sexarbeiterinnen gehört werden

Straßenaktion in Belgrad

Interview mit zwei Mitarbeiterinnen des Anti Trafficking Centre (ATC) in Belgrad über die Situation von SexarbeiterInnen in Serbien.

 

In Serbien ist Prostitution genauso wie in den meisten anderen Ländern Ex-Jugoslawiens illegal, weshalb SexarbeiterInnen sehr stark auf die Unterstützungsarbeit von NGOs angewiesen sind. Das Anti Trafficking Centre (ATC) ist eine non-profit NGO in Belgrad, die zusammen mit JAZAS - einer Organisation zur Prävention von HIV - ein Programm zur Beratung und Betreuung von SexarbeiterInnen betreibt. Jelena Đorđević(*) and Jelena Milić(*), zwei Mitarbeiterinnen von ATC, berichten über die Situation in Serbien, schildern ihre Arbeit und erklären ihre Forderungen.


malmoe: Wie sehen die gesetzlichen Rahmenbedingungen von Sexarbeit in Serbien im Vergleich zu anderen Ländern in der Region aus?

ATC: Die Situation in Slowenien, wo Prostitution gerade legalisiert wurde, unterscheidet sich natürlich stark von der in Serbien, wo Prostitution schlichtweg illegal ist.
In den umliegenden Ländern des westlichen Balkans ist die Situation ähnlich wie in Serbien. Stigmatisierung und etablierte Vorurteile verunmöglichen es, dass Sexarbeiterinnen von der öffentlichen Meinung Menschenrechte zugestanden werden. Aber im Gegensatz zu den anderen Ländern der Region hat Serbien noch immer kein Anti- Diskriminierungsgesetz. Denn trotz ähnlicher Situationen in den einzelnen Staaten liegt oft ein Unterschied darin wie die Institutionen mit der Frage der Differenz umgehen, also inwieweit minoritäre ethnische Gruppen wie Roma oder sexuelle Minderheiten anerkannt und mit Rechten ausgestattet werden.
Die serbische Gesellschaft verurteilt jegliche Form von Differenz. Nachdem 2001 die Teilnehmer der Belgrader Gay-Parade auf der Straße verprügelt worden waren, und die Polizei dabei zusah, wurde die Parade im nächsten Jahr aus Angst abgesagt. In Serbien ist es sehr hart, einer Minorität anzugehören - gerade auch für SexarbeiterInnen, weil sie in einem besonderen Maße dem öffentlichen Blick ausgesetzt sind.

Wie gehen lokale Institutionen mit Prostitution um?

Die Tatsache, dass der Staatsapparat sich nicht mit Kriegsverbrechen und mit der Sicherstellung grundlegender Menschenrechte auseinandersetzt, oder die Tatsache, dass in serbischen Gefängnissen gefoltert wird, lassen erahnen, auf welchem Niveau man in einem solchem System zum Thema Absicherung von SexarbeiterInnen verhandeln kann.

Wer arbeitet also mit SexarbeiterInnen? Welche Organisationen sind für die Betreuung von SexarbeiterInnen verantwortlich?

Eine solche Arbeit wird nur von Nicht-Regierungs- Organisationen gemacht. Auch in Kroatien, Mazedonien, Bulgarien und Rumänien sind es vorrangig NGOs, die sich mit dem Thema beschäftigen. In Serbien arbeiten wir - das Anti Trafficking Center - und die JAZAS-Initiative mit Sexarbeiterinnen. JAZAS ist eine NGO, die 1994 mit dem Ziel gegründet wurde, gegen die Verbreitung von HIV und AIDS präventiv anzukämpfen und gleichzeitig Personen, die HIV-positiv oder an AIDS erkrankt sind, zu betreuen.
Uns ist es sehr wichtig, Allianzen zwischen marginalisierten Gruppen und verschiedensten Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft herzustellen.

Wie definiert sich die Arbeit des Anti Trafficking Centers?

Das Anti Trafficking Center besteht seit 2003. Am Beginn stand die Idee, im Bereich der Prävention von Trafficking zu arbeiten, weil wir den Eindruck hatten, dass dieser Bereich in der gesamten Diskussion am wenigsten beachtet wurde. Aber während der folgenden drei Jahre unserer Arbeit haben sich unsere Initiativen stark geändert. Wir heißen immer noch Anti Trafficking Center, unser Fokus liegt aber nicht mehr nur dort. Wir arbeiten zwar noch aus der Perspektive der Prävention, aber mittlerweile reden wir mit jungen Leuten, gehen in Institutionen und wollen eine breitere Zivilgesellschaft adressieren. Mit den Leuten, die wir treffen, arbeiten wir zu verschiedenen Themen wie Sexualität, Gewalt gegen Frauen, Kommunikation und Solidarisierung mit SexarbeiterInnen. Das Programm zur Unterstützung von SexarbeiterInnen haben wir vor zwei Jahren in Zusammenarbeit mit JAZAS entwickelt. Wir haben einen eigenen Bus, in dem eine Gynäkologin, eine Psychotherapeutin, eine Ärztin und eine Beraterin den Prostituierten ihre Dienste anbieten. Die meisten SexarbeiterInnen in Belgrad sind Roma, die nicht sozialversichert sind und deshalb auch keine ÄrztInnen aufsuchen können. Das Programm versucht also vor allem Frauen zu unterstützen, die vom Staat keinen Gesundheitsschutz erhalten. Weil diese Frauen der Gewalt seitens der Polizei, der Klienten und der Gesellschaft im allgemeinen ausgeliefert sind, muss es andere Institutionen geben, die sie unterstützen.

Was ist Eure Einstellung in Bezug auf Sexarbeit?

Wir denken, dass es die freie Entscheidung einer Person sein kann, in der Sexindustrie zu arbeiten. Wir sehen Prostitution nicht als Gewalt gegen Frauen an, sondern stellen fest, dass die Bedingungen, unter denen Sexarbeiterinnen zurzeit arbeiten, Gewalt ermöglichen und erleichtern. Dadurch, dass Prostitution nicht legal ist, müssen SexarbeiterInnen unter sehr unsicheren und ungeschützten Bedingungen arbeiten. Wenn sie Opfer von Gewalt geworden sind, können sie nicht einmal rechtlichen Beistand einfordern, weil sie fürchten müssen, als Prostituierte verhaftet zu werden. Unser Hauptanliegen ist es, einen Raum in der Gesellschaft zu ermöglichen, in dem die Stimmen und Erfahrungen der SexarbeiterInnen gehört werden. Auch wenn wir nicht im Namen anderer sprechen wollen, sehen wir es im Moment als unsere Aufgabe an, die Interessen der SexarbeiterInnen in der Öffentlichkeit zu vertreten. Wir stellen für die Leute, die in der Sexindustrie arbeiten, Kontakt zu verschiedenen Institutionen her. Wir wollen SexarbeiterInnen unsere Unterstützung anbieten, egal ob das nun bedeutet, ihnen beim Ausstieg aus dem Geschäft zu helfen oder uns mit ihnen für eine Verbesserung ihrer Arbeitskonditionen zu engagieren. In Serbien ist die Situation extrem schwierig. Das Gesetz bestraft jede, die in diesem Feld arbeitet. Oft wollten Frauen die von uns verteilten Kondome nicht annehmen mit der Begründung: "Ich kann keine Kondome mit mir tragen, die Polizei kann das gegen mich verwenden." Kondome sind ein Beweis dafür dass 'etwas los ist'. So etwas erschwert unsere Arbeit sehr - wie können wir unter solchen Umständen ein Programm zur Prävention von HIV machen?
Unser größtes Problem ist also die Illegalität von Prostitution; dass SexarbeiterInnen, wenn sie erwischt werden, 30 Tage ins Gefängnis oder eine hohe Strafe zahlen müssen. Das Gesetz drängt Frauen in der Sexarbeit an den Rand der Gesellschaft und macht sie unsichtbar - und unsichtbare Prostitution ist von uns sehr schwer erreichbar.
Die Rechte von SexarbeiterInnen sind Menschenrechte, und Gewalt gegen SexarbeiterInnen ist eine Verletzung der Menschenrechte. Um diesen Grundsätzen öffentliches Gewicht zu geben, ist es notwendig, gesicherte und gleichberechtigte Arbeitsbedingungen für SexarbeiterInnen zu schaffen.

Dieses Interview von Ivana Marjanović(*), Vida Knežević(*), Jelena Radić(*), Goca Belić(*), Milica Ružičić(*); erschien zuerst in Heft 37 der Zeitschrift :: Malmoe. Übersetzt von Julia Wieger, mit Dank an KONTEKST galerija, Belgrad.


Anmerkung:
*) Aufgrund technischer Probleme mit Sonderzeichen werden die Namen derzeit nicht richtig angezeigt.