Wir, ImmigrantInnen, antirassistische und antifaschistische Organisationen und Vereinigungen, wenden uns mit diesem Aufruf an alle MigrantInnen in Europa, damit alle zusammenkommen in Genua, um sich zu treffen, zu demonstrieren, zu diskutieren und um neue Netze international aufzubauen.
Ein neues Gespenst geht um in Europa: das der heimlich Eingereisten, der Flüchtlinge, der GrenzüberschreiterInnen. Es verkörpert die unsichtbare und rechtlose Menschheit. Alle MÀchte des alten Europa haben sich vereint, um es zu jagen und zu verjagen, in einem Kreuzzug, das von Schengen koordiniert und von den britischen Labours, die spanischen Konservativen, die italienischen Demokraten und die deutschen Polizisten getragen wird. Schengen ist der Ersatz einer Europäischen Immigrationspolitik, ist ideen- und vorschlagslos, es heißt Cordon sanitaire aus Polizei und Militär. Dass die Probleme, die die Immigration aufwirft, tendenziell in Polizeifragen aufgelöst werden, ist nicht nur europäisch, sondern eines der typischen Züge, die die Globalisierung hervorgebracht hat. Das Niederreißen der Hindernisse des Waren- und Kapitalverkehrs wird von der Vervielfach der Grenzen begleitet, gegen Frauen und Männer auf der Flucht vor dem Elend, dem Krieg und den sozialen und politischen Tyranneien: die "aussengrenzen" verlaufen rings um die EuropäischeUnion, zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko, und als Damm gegen die Mobilität der Frauen und Männer, die in die Mobilität ausbrechen, rund um Hong Kong, um den süden Chinas, um die länder südostasiens, die von der 97er Krise heimgesucht wurden.
Die Welt, die sich nach 89 allmÀhlich im Traum des "süßen Handels" und der heutigen "new economy" hätte vereinigen sollen, zeigt sich deswegen zerteilt zwischen alten und neuen Grenzen, durch aussengrenzen vor allem. Aber auch durch Binnengrenzen, in den einzelnen nationalen und regionalen räumen, da selbst im kapitalistischen Westen Entwicklungen des sozialen Ausschlusses und der Einschränkung der bürgerrechte wieder Aufschwung bekommen.
Als Zeichen der Mobilität der Arbeit, die geschichtlich dem Kapitalismus ihre eigene Dynamik auferzwungen hat, werfen die Migranten ein bezeichnendes Licht auf die die Tendenzen der Deregulierung und der Flexibilität, die in den letzten 20 Jahren das Profil des Arbeitsmarkts der länder des entwickelten Kapitalismus neu gezeichnet haben. Was sich auf den ersten Blick wie eine autonome Wahl ausnimmt - die Forderung und Praxis des Rechts auf Flucht vor dem realen Elend und vor tyrannischen sozialen und politischen Regimes - kehrt sich konkret in den Zwang zu prekären Arbeitsverhältnissen um, wie die Situation der Illegalisierten beispielhaft und überdeutlich, voller symbolischer Verweise, zeigt. Die soziale Stigmatisierung und die Diskriminierung zeichnen den Alltag der MigrantInnen in der Europäischen Union aus, in den Städten, in denen sich der Diskurs und die Politik der "Zero Tolerance" verbreiten, an den Arbeitsplätzen wie in den Lagern und Abschiebeknästen, die in den letzten Jahren überall in Europa entstanden sind, in denen Frauen und Männer lediglich deswegen eingesperrt werden, wiel sie die "falsche" Staatsangehörigkeit haben.
Heraus aus dem Versteck zu kommen, die Angst zu besiegen, öffentlich zu kämpfen, anerkannt zu werden als politisches Subjekt ist von grundsätzlicher Wichtigkeit für die MigrantInnen. Es ist der Zeitpunkt gekommen, wo eine große internationale Demonstration organisiert werden sollte, europaweit und mit der Teilnahme von Delegationen aus ländern aus aller Welt, für die Eroberung der verweigerten Rechte.
Im Juli 2001 findet in Genua (Italien) das G8-Gipfeltreffen statt. Wir, ImmigrantInnen, antirassistische und antifaschistische Organisationen und Vereinigungen der Stadt, wenden uns mit diesem Aufruf an alle MigrantInnen in Europa, damit alle zusammenkommen in Genua, um sich zu treffen, zu demonstrieren, zu diskutieren und um neue Netze international aufzubauen.
Das Beispiel von Seattle sollte auch in Europa konkret ausprobiert werden, insbesondere gegen den Rassismus, den gesellschaftlichen Ausschluss und die Marginalisierung, gegen die neoliberalen Beschlüsse, die jedes Gipfeltreffen des G8 oder des IWF als Weg zu einer besseren Welt präsentieren.
Wir haben einen großen Kampf vor uns. Der G8-Gipfel kann ein wichtiger Teil davon sein, wenn es gelingt, dass die Tausenden von Sans Papiers, den Flüchtlingen ein Gesicht bekommen, in einer großen Demonstration der MigrantInnen und ihrer Vereinigungen, für die verweigerten Rechte, für den Respekt der Kulturen aller, für die Bewegungsfreiheit, für das Recht auf Asyl, für die Abschaffung der Abschiebeknäste, für die Legalisierung der heimlich Eingereisten, für das Stimmrecht, für das Recht auf Existenz und auf Kampf für eine Gesellschaft von Gleichen mit gleichen Rechten und gleichen Pflichten, frei von Not und Angst.