Die Abschiebehaft für abgelehnte Asylbewerber und Einwanderer ohne gültige Papiere soll in ganz Europa künftig bis zu anderthalb Jahre dauern können. Das beschloß vor kurzem der Innenausschuß des Europäischen Parlaments in Brüssel.
Die Abgeordneten änderten einen entsprechenden Gesetzentwurf der EU-Kommission, der höchstens sechs Monate Abschiebehaft vorsah. In Deutschland ist es schon jetzt erlaubt, Abschiebehäftlinge bis zu 18 Monaten einzusperren - mit oft katastrophalen Folgen für die Betroffenen.
Das Gelände ist von fünf Meter hohen Betonmauern mit dreifachem NATO-Stacheldraht umgeben; zusätzlich sorgen Metallzäune und Kameraüberwachung, Schranken und vergitterte Fenster dafür, dass hier niemand ausbrechen kann. Das Abschiebegefängnis im rheinland-pfälzischen Ingelheim, das im Behördendeutsch »Gewahrsam für Ausreisepflichtige« heißt, ist eines der modernsten seiner Art in der Republik. Es wurde im Jahr 2001 in Betrieb genommen und gleicht einem Hochsicherheitstrakt. Doch sitzen hier keine gefährlichen »Schwerkriminellen« ein, sondern Menschen, deren einziges »Verbrechen« darin besteht, dass sie Deutschland nicht freiwillig verlassen wollen. Viele der Betroffenen haben Angst, in ihrem jeweiligen Herkunftsland Opfer von staatlicher Gewalt und Menschenrechtsverletzungen zu werden. Andere leben schon seit Jahren in Deutschland, ihre Kinder gehen hier zur Schule; die Zukunft in ihrem Herkunftsstaat, mit dem sie nur noch der Pass verbindet, erscheint ihnen ungewiss. Damit sie nicht irgendwo untertauchen und sich so dem Zugriff der abschiebenden Behörde entziehen, werden sie »in Gewahrsam« genommen.
Die Abschiebehaft wird teilweise in Gefängnissen, zusammen mit dem normalen Strafvollzug, durchgeführt, oder die Häftlinge landen in Untersuchungshaft oder im Polizeigewahrsam. In einigen Bundesländern gibt es wie gesagt besondere Abschiebehaftanstalten.
Das im Jahr 2001 in Betrieb genommene Abschiebegefängnis in Ingelheim etwa kann insgesamt 150 »Ausreisepflichtige« aus Rheinland-Pfalz und dem Saarland aufnehmen; derzeit sind dort rund 50 Menschen inhaftiert, fast nur Männer. In der Justizvollzugsanstalt (JVA) Büren - nahe dem nordrhein-westfälischen Paderborn - steht das größte Abschiebegefängnis Deutschlands; hier gibt es 530 Plätze, ausschließlich für männliche Häftlinge. Jedes Jahr durchlaufen etwa 3 500 Abschiebehäftlinge allein diese Anstalt. Weibliche Abschiebegefangene werden unter anderem in der zweiten Abschiebehaftanstalt Nordrhein-Westfalens, in Neuss, untergebracht. Weitere solcher Spezialgefängnisse existieren auch in Berlin-Köpenick, Eisenhüttenstadt (Brandenburg), Offenbach am Main (Hessen), Langenhagen (Niedersachsen) und Rendsburg (Schleswig-Holstein).
Regierung gibt sich ahnungslos
Über die genaue Zahl der in Deutschland im Laufe eines Jahres inhaftierten Flüchtlinge gibt es keine bundesweite Statistik. Im vergangenen Jahr hatte die Bundestagsfraktion Die Linke eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung zum Thema Abschiebehaft gerichtet; darin waren 18 Fragen aufgelistet, unter anderem wurde nach Anzahl, Altersgruppen und Geschlecht der Abschiebehäftlinge in den einzelnen Bundesländern gefragt, des weiteren nach Rechtsgrundlagen der richterlichen Haftanordnungen, nach der Dauer der Abschiebehaft, nach Entlassungen wegen Undurchführbarkeit der Abschiebung, nach Betreuungsmöglichkeiten für Schwangere oder für Eltern mit Kindern in der Haft, nach der Anzahl verletzter oder getöteter Häftlinge sowie nach Privatisierungen von Abschiebegefängnissen. Doch offenbar sah sich die Bundesregierung nicht in der Lage, auch nur eine einzige der Fragen zu beantworten. In der Vorbemerkung zur Antwort der Bundesregierung heißt es lapidar: »Für die Anordnung und den Vollzug von Abschiebungshaft sind die Länder zuständig (...). Der Bundesregierung liegen daher Angaben zur Gesamtzahl der sich gegenwärtig in Abschiebehaft befindlichen Ausländer ebensowenig vor wie nähere Angaben zu den rechtlichen Grundlagen für die Durchführung von Abschiebehaft in den Ländern bzw. zu den dortigen Vollzugsmodalitäten. (...) Zu den Fragen 1 bis 18 wird auf die Vorbemerkung verwiesen.« Mit dem Verweis auf Nichtzuständigkeit wollte man(/frau) anscheinend schnell ein unliebsames Thema vom Tisch bekommen. Dabei erstaunt dieses Vorgehen der CDU/CSU-SPD-Koalition um so mehr, als man dort zur gleichen Zeit offenbar über genügend Sachkenntnis zum selben Thema verfügte, um einen Referentenentwurf zum Aufenthaltsrecht vorzulegen, mit dessen Umsetzung sich unter anderem die Abschiebepraxis absehbar weiter verschärfen würde.
Ebenfalls in Erstaunen versetzt die Tatsache, wie das Bundesinnenministerium (BMI) die grundsätzliche Kritik von Nichtregierungsorganisationen an der Abschiebungspraxis in Deutschland zurückweisen konnte, obwohl das BMI angeblich bis heute keinen ausreichenden Überblick über die notwendigen Fakten hat. Denn in jüngster Zeit, so hatte der Deutsche Caritasverband in einer Stellungnahme argumentiert, habe sich diese Abschiebungspraxis verschärft, und die Abschiebungshaft werde zu schnell, zu häufig und zu lange beantragt. Das BMI hatte diese Kritik implizit zurückgewiesen, wohlgemerkt ohne nach eigenen Angaben die Fakten zur Abschiebungspraxis im einzelnen auf dem Tisch zu haben. Auf Nachfrage der Linksfraktion, wie die Regierung ohne Kenntnis entsprechender Daten die Kritik von Nichtregierungsorganisationen an der Abschiebehaft einfach zurückweisen konnte, erklärte die Bundesregierung erneut ihre grundsätzliche Haltung, dass »Abschiebungshaft ein legitimes Mittel des Rechtsstaats ist, bestehende Ausreisepflichten durchzusetzen und kontrolliert durchzuführen.« Der Staat müsse zur Steuerung und Begrenzung von Zuwanderung tatsächlich auch in der Lage sein, betonte das Schäuble-Ministerium in seinem Evaluierungsbericht zum Zuwanderungsgesetz: »In diesem Sinne ist die konsequente Durchsetzung der Ausreisepflicht mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln des Rechtsstaats gegenüber Ausländern geboten, die kein Recht zum Aufenthalt oder weiteren Verbleib in Deutschland haben.«
Infolge »konsequenter Durchsetzung der Ausreisepflicht« werden nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International jedes Jahr 20000 bis 30000 Menschen in Deutschland in Abschiebehaft genommen. Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst geht sogar von rund 40000 Betroffenen aus; darunter sind auch Kinder. Deutschland ist neben Österreich das einzige Land in Europa, das auch Kinder und Jugendliche in Abschiebehaft nimmt. So befanden sich laut Bundesinnenministerium im Jahr 2004 mindestens 320 Jugendliche in Abschiebehaft, 110 davon allein in Berlin.
Gesetzliche Grundlage für die Abschiebehaft ist Paragraph 62 des Aufenthaltsgesetzes, das als Teil des Zuwanderungsrechts seit 2005 in Kraft ist: Wenn ein Flüchtling beispielsweise ohne Erlaubnis nach Deutschland eingereist ist oder sich der »freiwilligen« Abschiebung auf irgendeine Weise entzogen hat, oder wenn die Behörden den »begründeten Verdacht« hegen, dass sich jemand der Abschiebung entziehen will, kann er auf richterliche Anordnung in sogenannte Sicherungshaft genommen werden. Er bleibt dann so lange inhaftiert, bis die Behörden die organisatorischen Voraussetzungen für die Abschiebung getroffen haben; dazu gehört etwa, die Herkunft des Häftlings zu klären oder nötige Reisedokumente zu beschaffen. Die Abschiebehaft kann bis zu 18 Monate dauern; damit zählt Deutschland im europäischen Vergleich zu den Ländern mit den längsten Haftzeiten. In Österreich zum Beispiel darf die Abschiebehaft zehn Monate innerhalb von zwei Jahren nicht überschreiten, in Dänemark sind es sogar nur 72 Stunden.
Nicht bei allen Häftlingen steht am Ende der Inhaftierung die Abschiebung. So kommen in der JVA Büren nach offiziellen Angaben auf 200 Abschiebungen pro Monat zirka 50 Entlassungen. Nach inoffiziellen Schätzungen werden aus dem Bürener Gefängnis sogar regelmäßig 30 bis 40 Prozent der Inhaftierten ohne Abschiebung aus der Haft entlassen. Für das Land Berlin wird dieselbe Größenordnung genannt. Und auch in der Abschiebehaftanstalt in Ingelheim wurden von 200 Menschen, die eine Rechtsberatung erhielten, laut Angaben des Flüchtlingsrates Mainz dann 90 wieder freigelassen. Eine Abschiebung kann in solchen Fällen nicht vorgenommen werden, wenn etwa keine Rückreisepapiere ausgestellt werden können oder wenn durch Beschwerdeverfahren die Aufhebung des gerichtlichen Beschlusses erwirkt wurde. In Ingelheim wurden sogar Fälle bekannt, bei denen die Rechtswidrigkeit der Abschiebehaft festgestellt worden war, nachdem die betroffenen Personen bereits abgeschoben waren.
Es ist also davon auszugehen, dass ein nicht unerheblicher Prozentsatz der Häftlinge in deutschen Abschiebegefängnissen zu Unrecht inhaftiert ist. Wegen des erlittenen Unrechts in der Haft haben diese Menschen dennoch keinen Anspruch auf Haftentschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG). Denn die Abschiebehaft gilt rechtlich gesehen nicht als Strafe, auch wenn es den Anschein hat. Die Betroffenen können jedoch unter Umständen - mit Hilfe eines(/r) erfahrenen Anwalts(/Anwältin) - auf zivilrechtlichem Weg Schadensersatz erlangen - im Wege der Amtshaftung oder nach Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Häftlinge tragen Kosten
Wie bei einem Verwaltungsakt durchaus üblich, werden die anfallenden Kosten für Haftaufenthalt und Abschiebung grundsätzlich den »Verursachern« auferlegt, das heißt wer von den deutschen Behörden in Abschiebehaft genommen wird, ist gesetzlich verpflichtet, auch noch dafür zu zahlen. So war bei Häftlingen im Berliner Abschiebegewahrsam im Jahr 2005 anteilig für Wachpersonal, medizinische Betreuung, Sachkosten, Verpflegung und Fernsehbenutzung ein Tagessatz von 65,99 Euro fällig. Bei einem drei- bis sechsmonatigen Aufenthalt kommen Summen von 6 000 bis 12 000 Euro zusammen; nach 18 Monaten Abschiebehaft sind über 35 000 Euro (!) fällig. Bei einer Abschiebung kommen noch Kosten für Flug- und Transport sowie für eine amtliche Begleitung hinzu.
Damit die Betroffenen nach einer erfolgten Abschiebung in ein mehr oder weniger fremdes Land nicht völlig mittellos sind, dürfen sie eine geringe Summe behalten. »Ein Selbstbehalt in Höhe von derzeit 85,00 Euro wird belassen, um zu gewährleisten, dass die betroffene Person nach Abschiebung über Barmittel verfügt.«(1) Nach der Abschiebehaft sind die Flüchtlinge oft immens verschuldet. Wer nach einer erfolgten Abschiebung irgendwann auf legalem Weg wieder nach Deutschland einreisen will, muss zuvor seine(/ihre) Schulden bei der Bundesrepublik Deutschland bezahlen.
Im Februar 2006 hatte ein 63jähriger Häftling im Abschiebegewahrsam in Berlin-Köpenick einen Selbstmordversuch unternommen, nachdem ihm mitgeteilt worden war, dass er die hohen Kosten seiner Unterbringung selbst zu tragen habe. Anschließend kam es dort zu einer Häftlingsrevolte; 14 Flüchtlinge traten in einen Hungerstreik.
Die Haftbedingungen in den Abschiebegefängnissen werden von den Betroffenen meist als extrem belastend erlebt. Für viele Abschiebegefangene ist es das erste Mal, dass sie mit einem Gefängnis in Kontakt kommen. »Warum bin ich im Gefängnis? Ich habe doch nichts verbrochen?« Diese Frage hören Flüchtlingsbetreuer oft. Viele Abschiebehäftlinge sind stark verunsichert, auch weil sie das komplizierte rechtliche Verfahren und die Gründe für die Inhaftierung nicht verstehen. Die wenigsten Gefangenen können sich einen Anwalt oder einen(/eine) Dolmetscher(In) leisten, die Schreiben von Gerichten oder Ausländerbehörden sind für sie meist nicht verständlich. Auch wissen sie nicht, wie lange sie im Gefängnis bleiben müssen.
Die Unterbringung in den Hochsicherheitstrakten, hinter verschlossenen Türen und vergitterten Fenstern, ist für die allermeisten ein Schock. Die im Abschiebegefängnis Ingelheim tätige Sozialarbeiterin Katja Bramert zitiert in ihrem Referat, das sie bei der Tagung »Abschiebungshaft in Rheinland-Pfalz« im Februar 2004 gehalten hat, aus Briefen von Inhaftierten. Ein Zitat stammt von einem afrikanischen Flüchtling, der sich an den Tag seiner Ankunft im Gefängnis erinnert: »In Ingelheim wurde ich sofort in einen Raum geführt, der für einen Menschen ungeeignet ist. Und die Tür fiel hinter mir ins Schloß. Ich war von Anfang an nervös und deprimiert. Es war einfach absurd und unglaublich, dass ein Mensch, der nichts verbrochen hatte, solch einer Situation ausgeliefert sein konnte. Ich weinte die ganze Nacht.«
Nach Angaben der Sozialarbeiterin sind die Abschiebegefangenen in der Gewahrsamseinrichtung in Ingelheim »einem strikten Tagesablauf und einer permanenten Kontrolle unterworfen, die sich an administrativen Bedürfnissen orientiert und jegliche Bewegungsfreiheit und Entfaltungsmöglichkeit unmöglich macht.« Bramert zufolge können sich die Gefangenen nur höchstens anderthalb Stunden täglich im Freien aufhalten. »Dieser Hofgang findet in einem kleinen, hoch eingezäunten ›Käfig‹ zu festgelegten Zeiten am Vormittag statt. Davor patrouilliert das Wachpersonal mit Hunden. Bei schlechtem Wetter gibt es keine Ausweichmöglichkeit, das Wasser sammelt sich in Pfützen.« Ein algerischer Gefangener schreibt dazu: »Im Hof sind wir eingekreist von Hunden, so dass man glauben könnte, es gibt einen Krieg gegen Ausländer. Warum stecken Sie Menschen in einen Käfig, nur weil sie Asyl beantragt haben?«
Revolten und Hungerstreiks
Da auch in vielen anderen Abschiebehaftanstalten in Deutschland ähnliche Bedingungen wie in Ingelheim herrschen, kommt es seit Jahren immer wieder zu Häftlingsrevolten oder Hungerstreiks. Auch der Menschenrechtskommissar des Europarates, der Schwede Thomas Hammarberg, bestätigt in seinem erst vor kurzem veröffentlichten Bericht über einen Besuch in Deutschland im Oktober 2006: Das Gefängnispersonal der bayerischen Justizvollzuganstalt Stadelheim habe ihn darüber informiert, dass einige Abschiebungshäftlinge »einem enormen psychischen Druck ausgesetzt seien und dass eine Gruppe von Häftlingen sich kürzlich in einen Hungerstreik begeben habe«.
Manche Abschiebehäftlinge richten ihre Wut und Verzweiflung über die Haftbedingungen und ihre eigene ausweglose Lage nicht nach außen, sondern gegen sich selbst: Sie überschütten sich mit kochendem Wasser, schneiden ihre Arme auf, oder sie versuchen, auf irgendeine Weise Selbstmord zu begehen. Nach Angaben der Antirassistischen Initiative Berlin haben seit der faktischen Abschaffung des Asylrechts im Jahr 1993 bis zum Jahr 2006 mindestens 400 Menschen in Abschiebehaft versucht, sich umzubringen; sie überlebten zum Teil schwerverletzt. Mindestens 50 Abschiebehäftlinge sind durch Selbstmord gestorben. Im selben Zeitraum wurden 129 Flüchtlinge durch Bewachungspersonal in der Haft verletzt.
Die restriktive Praxis der Abschiebehaft in Deutschland ist dem Anschein nach darauf angelegt, politisch gewollten Druck auf Flüchtlinge auszuüben. Die Abschiebehaft soll abschreckend wirken, unter anderem, damit die Betroffenen nach einem abgelehnten Asylantrag das Land »freiwillig« verlassen. Das bestätigte schon vor Jahren der damalige Justizminister von Baden-Württemberg und Bruder des jetzigen Bundesinnenministers, Thomas Schäuble. In einem Artikel der Schwäbischen Zeitung vom 9. November 1994 heißt es: »Minister Schäuble betont, die Abschiebehaft gebe es auch deshalb, um die Motivation für andere Ausländer nicht wegfallen zu lassen, Deutschland kontrolliert und freiwillig zu verlassen, wenn ihr Asylbegehren abgelehnt wurde.«
Durch die belastenden Haftbedingungen und die zum Teil sehr lange Haftdauer sollen Flüchtlinge möglicherweise auch dazu gebracht werden, die nötigen Auskünfte zur Beschaffung von Ausweispapieren zu geben oder auf andere Art mitzuwirken, dass die Abschiebung schneller erfolgen kann. In Fällen langer Haftdauer, so die Einschätzung von Flüchtlingsorganisationen wie dem Berliner Flüchtlingsrat oder der Initiative gegen Abschiebehaft, hat der »Gewahrsam« oft den Charakter einer Beugehaft.
Die lange Haftdauer in deutschen Abschiebegefängnissen wird auch vom EU-Menschenrechtskommissar gerügt. In Hammarbergs Bericht heißt es: »Der Kommissar ist fest davon überzeugt, dass die Abschiebungshaft ausschließlich zur Anwendung gelangen soll, wenn sie umfassend gerechtfertigt und es klar ist, dass die Abschiebung tatsächlich in unmittelbarer Zukunft durchgeführt werden kann. Sie darf nicht zum Ziel haben, den abgelehnten Asylbewerber unter Druck zu setzen, damit er mit den Behörden zusammenarbeitet, um den Abschiebeprozess zu befördern.« Der EU-Menschenrechtskommissar fordert daher die deutschen Behörden auf, »die Abschiebungshaft - wann immer möglich - auf einige Wochen anstatt auf mehrere Monate zu beschränken.«
Weitere Verschärfungen
Angesichts anhaltender Proteste von Flüchtlingshilfsorganisationen - und von seiten der Gefangenen selbst - hatte die damalige SPD-Grünen-Bundesregierung schon in ihrer ersten Koalitionsvereinbarung im Jahr 1998 das Versprechen abgegeben, die Dauer der Abschiebehaft »im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes« zu überprüfen. Das Versprechen wurde jedoch nicht eingelöst, konstatieren Flüchtlingsorganisationen wie der Jesuiten-Flüchtlingsdienst. Aber auch die große Koalition hegt bislang keinerlei Absichten, die Haftdauer zu verkürzen. Entschärfungen des Aufenthaltsgesetzes - Rechtsgrundlage der Abschiebehaft - sind nicht vorgesehen. Auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, ob die Bundesregierung plane, den Vorzug »milderer Maßnahmen« (wie etwa die Unterbringung in anderen Einrichtungen als Abschiebehaftanstalten) festzuschreiben, heißt es: »Nein. Hierfür besteht kein Erfordernis, weil der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz von Verfassungs wegen Richtschnur für jegliches staatliches Handeln ist.«
Die Effektivität »staatlichen Handelns« in der Flüchtlingspolitik zu erhöhen, bedeutet für die große Koalition offenbar, weitere Verschärfungen im Ausländerrecht durchzusetzen. So wurde kürzlich im Bundesrat das »Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien, das sogenannte Zuwanderungsänderungsgesetz« verabschiedet, das erhebliche Verschlechterungen für Flüchtlinge und Migrant(Inn)en enthält. Danach soll es künftig möglich sein, Flüchtlinge schon an der Grenze zurückzuweisen, wenn es auch nur »Anhaltspunkte« dafür gibt, dass ein anderer Staat für sie zuständig sein könnte. Ein Flüchtling soll dann auf richterliche Anordnung in sogenannte Zurückweisungshaft genommen werden können, die ohne zeitliche Begrenzung vorgesehen ist. Einen Eilrechtsschutz mit aufschiebender Wirkung soll es nicht mehr geben. Deutschland schottet sich noch weiter gegenüber Asylsuchenden ab.
In der Flüchtlingshilfe engagierte Organisationen betonen den Zusammenhang zwischen der restriktiven Abschiebepraxis im Inneren einerseits und den scharf bewachten Außengrenzen der »Festung Europa« andererseits, an denen immer wieder Menschen bei dem Versuch sterben, das in ihren Augen verheißungsvolle Europa zu erreichen. Das Europäische Netzwerk UNITED, ein europaweiter Zusammenschluß von mehr als 550 Organisationen, die sich gegen Nationalismus, Rassismus und Faschismus und für die Unterstützung von Migranten und Flüchtlingen engagieren, veröffentlicht jedes Jahr eine aktualisierte Liste von Fällen, bei denen Menschen infolge der Abschottungspolitik der EU ihr Leben verloren haben. Seit Anfang 1993 sind mehr als 8 800 solcher Todesfälle dokumentiert.
Anmerkung:
(1) Abgeordnetenhaus Berlin, Kleine Anfrage der Abgeordneten Karin Hopfmann (Linkspartei.PDS), Berliner Abschiebungshaftkosten, 17.Mai 2006; Drucksache 15/13 505
Dieser Artikel von Elke Groß erschien zuerst in der :: Jungen Welt vom 20.09.2007. Eine Langfassung des Artikels erscheint in der neuen Web-Zeitung Hintergrund.de.
Elke Groß arbeitet als freie Journalistin beim WDR und ist Rechercheurin beim Politmagazin »Monitor«.