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[ 10. Jan 2008 ]

Nein zur 'Jagd' auf tschetschenische Familien

Tschetschenischer Bub mit Schultasche

Offener Brief des Aktions- komitees für Toleranz und Menschlichkeit in Kärnten, dieses fordert die Rückkehr der aus Kärnten vertriebenen Familien!
Offener Brief im Wortlaut, politische Überlegungen zu ethnischen Säuberungen sowie APA Meldungen

 

Klagenfurt (10.01.08) - In einem offenen Brief fordert das 'Aktionskomitee für Toleranz und Menschlichkeit in Kärnten' Bundespräsident Fischer und die Mitglieder der Bundesregierung auf, sich für eine Rückkehr der aus Kärnten vertriebenen tschetschenischen Familien einzusetzen. 'Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wenn in Kärnten wieder einmal rechtsstaatliche Grundsätze mit Füßen getreten und Menschenrechte verletzt werden. Bis heute ist nicht geklärt, wer an den Raufereien zu Silvester tatsächlich beteiligt war. Bundespräsident Fischer und die Mitglieder der Bundesregierung dürfen nicht zulassen, dass diese menschenverachtende Jagd auf tschetschenische Familien weiter fortgesetzt wird. Das Aktionskomitee setzt sich dafür ein, dass den Familien die Rückkehr in ihre gewohnte Umgebung ermöglicht wird und die Ergebnisse der polizeiliche Ermittlungen abgewartet werden', so LAbg. Rolf Holub, Sprecher des Aktionskomitees.

Das Schreiben wird auch an das UNHCR und an das Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit geschickt.

Der offene Brief im Wortlaut:


Sehr geehrter Herr Bundespräsident!
Sehr geehrte Mitglieder der österreichischen Bundesregierung!

Der 7. Jänner 2008 war ein trauriger Tag für alle Menschen, die an Demokratie und Menschenrechten glauben und sich dafür einsetzen. Wieder einmal wurden in Kärnten rechtsstaatliche Grundsätze mit Füßen getreten und Menschenrechte verletzt. 3 Familien aus Villach, die aus Tschetschenien stammen, wurden – auf Betreiben von LH Jörg Haider - an diesem Tag nach Traiskirchen gebracht. Mitglieder dieser Familien sollen angeblich an einer Schlägerei zu Silvester in Villach beteiligt gewesen sein. Bis dato ist jedoch nicht klar, wer an dieser Schlägerei tatsächlich beteiligt war. Das polizeiliche Ermittlungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Das bedeutet, dass hier willkürlich Familien ausgesucht werden, die zu Sündenböcken abgestempelt und regelrecht aus Kärnten 'verfrachtet' wurden.

Um die menschliche Tragödie darzustellen, soll hier kurz über die Familie Dudajev (Name geändert) berichtet werden: Vater und Mutter Dudajev freuen sich noch über den jüngsten Familienzuwachs, sie haben vor vier Monaten ihr fünftes Kind bekommen. In Tschetschenien haben nicht nur die Eltern, sondern auch die restlichen vier Kinder schreckliches erlebt und gesehen. Der älteste Sohn, Aslan, besuchte gerade die Volkshochschule in Villach und war dort ein beliebter und fleißiger Schüler, der nach Angaben von Christiane Fiegele problemlos den Hauptschulabschluss geschafft hätte. Aslan war im Spätsommer 2006 bei einem rassistisch motivierten Messerattentat von einem Kärntner lebensgefährlich verletzt worden. Sein jüngerer Bruder, Dschochar, ging in die vierte Klasse der Hauptschule und wurde ebenso wie Aslan aus der Klassengemeinschaft herausgerissen. Tränen der Verzweiflung bei Lehrern und Kinder gab es in der Volksschule 9: Die Geschwister Heda und Bakar waren dort bestens integriert und von allen geliebt. Klassenlehrerin Edith Schmied beschreibt die beiden als 'Sonnenstrahlkinder' und lobt das große Potential dieser jungen TschetschenInnen. In Villach selbst spielten sich beim Abschied der Familie von ihren Freunden berührende Szenen ab. Die Frauen und Kinder weinten, die Jugendlichen verstanden überhaupt nicht, warum sie für etwas bestraft werden, was sie nicht getan haben. Die tschetschenischen Männer zeigten ihre Solidarität und kamen in großer Anzahl zum bereitstehenden Bus. Mittlerweile befinden sich die Familien in Traiskirchen, sie wohnen dort in einem Zimmer und warten in verzweifelter Ungewissheit.

Selbstverständlich sollen jene, die an der Schlägerei beteiligt waren, auf offiziellem Weg ausgeforscht und einem Rechtsverfahren zugeführt werden, wie es eigentlich in einem Rechtsstaat üblich sein sollte. Aber auch hier gilt vorerst für alle Beteiligten die Unschuldsvermutung. Menschen auf reinen Verdacht hin auszuweisen grenzt an Rassismus. LH Haider ist kein Gericht und kann daher nicht der Rechtssprechung vorgreifen. Diese Selbstjustiz Haiders ist verabscheuungswürdig und darf nicht tatenlos akzeptiert werden.

Das Aktionskomitee für Toleranz und Menschlichkeit in Kärnten fordert Sie daher mit aller Vehemenz auf, den drei tschetschenischen Familien die Rückkehr in ihre gewohnte Umgebung nach Kärnten zu ermöglichen und die Ergebnisse der polizeilichen Ermittlungen abzuwarten. Lassen Sie nicht zu, dass diese menschenverachtende „Jagd“ auf tschetschenische Familien in Kärnten weiter fortgesetzt wird!

Hochachtungsvoll
Evangelische Kirche, Mag. Renate Moshammer
Islamische Glaubensgemeinschaft, Esad Memic
Verein ASPIS, Univ-Prof. Dr. Klaus Ottomeyer - Maria Lind
Europäisch-tschetschenische Gesellschaft, Siegfried Stupnig
Diakonie Flüchtlingsdienst / Schubhaftbetreuung / Rückkehrbetreuung, Mag.a Susanne Jelenik
BSA Klagenfurt Stadt und Land, Dr. Helge Haselbach
Die Grünen Kärnten, LAbg. Rolf Holub
Schwester Andreas, Kloster Wernberg

Hintergrundinformation zum Aktionskomitee 'Toleranz und Menschlichkeit in Kärnten':


Das Ziel des Aktionskomitees 'Toleranz und Menschlichkeit in Kärnten' ist es, ein offenes, tolerantes und menschliches Kärnten zu repräsentieren und gegen unmenschliche Härtefälle vor allem im Asylbereich aufzutreten. Das Aktionskomitee will einen Beitrag zur Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung der Kärntner Bevölkerung und Zivilgesellschaft für Menschenrechte leisten und alle Personen und NGOs unterstützen, die sich für ein friedliches und solidarisches Zusammenleben in Kärnten einsetzen. Insbesondere will aber das Aktionskomitee durch Aufdeckung und öffentliche Thematisierung von Menschenrechtsverletzungen angesichts der immer häufiger auftretenden humanitären Härtefälle im Fremdenrechtsbereich allfällige Willkürhandlungen und menschenrechtswidrige Aktivitäten aufzeigen.

Informationen über den Abschied und politische Überlegungen zu ethnischen Säuberungen von Siegfried Stupnig, Europäisch-tschetschenische Gesellschaft


In Villach selbst spielten sich beim Abschied der Familie von ihren Freunden berührende Szenen ab. Die Frauen und Kinder weinten, die Jugendlichen verstanden überhaupt nicht warum sie für etwas bestraft werden, was sie nicht gemacht haben. Die tschetschenischen Männer zeigten ihre Solidarität und kamen in großer Anzahl zum bereitstehenden Bus. Mittlerweile befindet sich die Familie in Traiskirchen, sie wohnen dort in einem Zimmer und warten in verzweifelter Ungewissheit.

Am Abend kam es zu einem runden Tisch bei dem Vertreter der Kriminalpolizei und etwa 40 Tschetschenen und Tschetscheninnen gekommen waren. Geleitet hat diese Diskussion Schwester Andreas, die für die Gemeinde der Villacher TschetschenInnen die wichtigste Ansprechperson ist und nicht nur vom Leiter des Vereines Marsho, Chamsat Amaev, geschätzt und geehrt wird.

Diese Säuberungsaktion von Landeshauptmann Haider ist der bislang wohl schlimmste Beweis dafür, dass es in Kärnten auch im dritten Jahrtausend noch zu ethnischen Säuberungen kommt. Die Tschetschenien wurden und werden zusätzlich vom Boulevard medial schikaniert, hoffen aber auf eine Bevölkerung, die sie versteht. Der Hass der gegen diese Volksgruppe seit längerem geschürt wird, dient wohl auch dazu sich aus menschenrechtlicher Verantwortung herauszuwinden. Tausende TschetschenInnen sind nach wie vor auf der Flucht um der marodierenden russischen Armee und den Folter-Generälen des FSB zu entkommen. Mindestens ein fünftel der tschetschenischen Bevölkerung wurde in den letzten Jahren getötet, die Überlebenden suchen Schutz und Sicherheit und werden von uns entrechtet.
Wir erhoffen und eine baldige Rückkehr der drei tschetschenischen Familien und fordern Schmerzensgeld vom Kärntner Landeshauptmann.
Sigi Stupnig

APA Pressemeldung zur Tschetschenen-Abschiebung: Unterredung Haider-Platter


Klagenfurt/Wien (APA) - Im Fall der Verbringung von drei tschetschenischen Familien mit insgesamt 18 Personen von Villach in das Flüchtlingslager Traiskirchen ist es am Donnerstag zu einer Unterredung zwischen Kärntens Landeshauptmann Jörg Haider (B) und Innenminister Günther Platter (V) gekommen. Wie Haider anschließend mitteilte, werde Kärnten im Gegenzug 18 andere Asylwerber aufnehmen. Platter habe dies akzeptiert.

Am Vortag hatte eine Erklärung seitens des Innenministeriums, wonach 50 andere Asylwerber nach Kärnten kommen sollten, das BZÖ auf den Plan gerufen. Haiders Sprecher und geschäftsführender Landesparteichef Stefan Petzner hatte dies umgehend dementiert und klargestellt, dass man lediglich 18 Personen aufnehmen werde. Das habe er auch gegenüber dem Innenminister so deponiert, ließ Haider am Donnerstag wissen.

Das "Aktionskomitee für Toleranz und Menschlichkeit in Kärnten" forderte unterdessen Bundespräsident Heinz Fischer und die Mitglieder der Bundesregierung auf, sich für eine Rückkehr der aus Kärnten abgeschobenen tschetschenischen Familien einzusetzen. "Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wenn in Kärnten wieder einmal rechtsstaatliche Grundsätze mit Füßen getreten und Menschenrechte verletzt werden", heißt es. Weiters wird darauf hingewiesen, dass bis heute nicht geklärt sei, wer an den Gewalttaten zu Silvester in Villach tatsächlich beteiligt gewesen sei, bei denen ein junges Pärchen misshandelt und verletzt worden war.

Dem Aktionskomitee gehören Vertreter der Evangelischen Kirche, der Islamischen Glaubensgemeinschaft, des Vereins Aspis, der Kärntner Grünen, der Europäisch-tschetschenischen Gesellschaft, der Diakonie Flüchtlingsdienst/Schubhaftbetreuung/Rückkehrbetreuung sowie des BSA Klagenfurt an. Haider-Sprecher Petzner zeigte sich in diesem Zusammenhang 'verwundert' über die Proteste gegen die Verbringung der Tschetschenen nach Niederösterreich: 'Die Täter werden bemitleidet, und niemand kümmert sich um die Opfer.'