Eine 'Sonderanstalt' für AsylwerberInnen ist das Vermächtnis des Kärntner Landesvaters. Ein Besuch auf der Saualm, Artikel in 'Die Zeit'
Vladimir streicht sich nachdenklich über sein Handgelenk. Über die kleinen, rotbraunen Flecken, die ihn Tag für Tag an diese turbulente Nacht erinnern. 'Die sind von den Handschellen', sagt der gebürtige Kasache. Wenige Wochen ist es her, als ihn ein Polizist mit der Tür seines Dienstwagens aus dem Sattel seines Fahrrads katapultierte, als er nach einer Schlägerei unter Asylwerbern gerade das Weite suchen wollte. Es war eine blutige Angelegenheit gewesen. Alkohol war im Spiel und zu viel Testosteron. Eigentlich keine große Sache für Vladimir. Doch dieses Mal hatte sie erhebliche Konsequenzen.
Ernst zieht der 28-Jährige an seiner Zigarette und blickt aus dem Fenster. Weit und breit nur Bäume und Wiesen. In der Ferne ragen zwei Stangen hoch, zwischen denen auf einer Trockenleine Männerunterhosen und Socken im Wind schaukeln. Hier ist Vladimirs neues Zuhause. Seit Oktober lebt der Flüchtling auf der Saualm, um für seine Vergehen zu büßen.
Das ist das Vermächtnis des verstorbenen Jörg Haider. Eine 'Sonderanstalt' für straffällige Asylwerber wollte der ehemalige Landeshauptmann schaffen, dort, wo sie kein Kärntner je zu Gesicht bekommt. Auf der Saualm, in Wölfnitz in Unterkärnten, auf 1200 Meter Seehöhe mitten im Nirgendwo, ohne Supermarkt, Bushaltestelle oder Gasthaus. Der nächste Ort, Griffen mit 1000 Einwohnern, ist 13 Kilometer von der Einschicht entfernt. Abgeschieden sollte Haiders Verwahranstalt sein, damit die Flüchtlinge lernen, sich ohne Ablenkung 'anzupassen'.
Tür an Tür wohnt Vladimir jetzt mit jenen beiden Georgiern, mit denen er sich in der verhängnisvollen Nacht geprügelt hatte. Die erhitzten Gemüter sind merklich abgekühlt. Isolation schweißt zusammen. Die acht Männer, die mittlerweile in der Einsiedelei für Asylwerber leben, sollen alle straffällig geworden sein, drei davon rechtskräftig verurteilt. Unter straffällig versteht das Kärntner Flüchtlingsreferat 'alle, die verurteilt sind, in Untersuchungshaft sitzen oder bei der Staatsanwaltschaft angezeigt wurden'. In Kärnten sind das derzeit 93 der insgesamt 980 Flüchtlinge. Bis zu 50 'schwierige Fälle' sollen demnächst in dem Haus, das noch immer an das Kinderferiencamp erinnert, das es einmal war, untergebracht werden.
Eine Matriarchin führt auf der Saualm das Kommando
Als 'Endziel' schwebte Haider 'die Abschiebung' vor. Derzeit warten die jungen Männer noch auf den Abschluss ihres Asylverfahrens. Ihr Alltag bietet wenig Abwechslung: schlafen, essen, Spaziergänge, schlafen, essen, fernsehen bis tief in die Nacht. Der Gemeinschaftsraum mit Dart-Spielautomat, Tischtennistisch und Tischfußball ist leer. Rote Boxhandschuhe verstauben auf einer hölzernen Truhe. Ein Tischtennisschläger liegt im Mistkübel. Zwei Türen weiter dröhnt Dancefloormusik, untermischt mit Schießgeräuschen und Gebrüll. Ein Tschetschene habe ihnen russische Filme verkauft, erzählt Vladimir und zeigt auf einen Stapel mit DVDs. Er sei zufrieden hier, auch mit der Heimleiterin, die mit ihren Schützlingen im selben Haus lebt.
Monika Steiner führt das Kommando in dem Camp. Sie kocht, wäscht und putzt. Und mehrmals wöchentlich chauffiert sie die Männer zu ihren Terminen. Über deren Leben weiß die zweifache Oma kaum Bescheid, gerade einmal, weswegen Vladimir hier ist, wann der drogensüchtige Alex zur Therapie gebracht werden soll und Mischa seine Medikamente nehmen muss. 'Es ist oft anstrengender als in einem Kindergarten', grummelt die drahtige Blondine. Für Faulheit oder schlechtes Benehmen hat die resolute Frau kein Verständnis. Wer seinen Kaugummi unter die Rückbank ihres VW-Busses klebt oder sein Zimmer nicht aufräumt, muss eben beim nächsten Mal etwas länger warten, bis er wieder vom Berg hinunterkommt. Und wem's nicht passt, der solle 'gefälligst dorthin gehen, wo er hergekommen ist'.
An Asylwerber ist Monika Steiner gewöhnt. Anfang der neunziger Jahre entdeckte sie ihre 'soziale Ader'. Damals, während der Kriege am Balkan, wollte die Gastwirtin helfen und beherbergte Flüchtlinge in ihrem Wirtshaus. Seither kümmert sie sich um Asylwerber und hat die Flüchtlingsarbeit kurzerhand zu ihrem Familiengeschäft erklärt. Ihr Sohn hilft auf der Alm, ihre Schwiegertochter leitet, eine knappe Autostunde entfernt, das Asylheim Felsenkeller in St. Kanzian. Die beiden Enkelkinder Niko und Laura pendeln zwischen der Sonderanstalt und dem Asylheim hin und her, je nachdem, welcher Elternteil gerade mehr Zeit für sie hat.
Bis zum Frühjahr leitete Flüchtlingsmama Steiner den Felsenkeller. Damals gab das Kärntner Flüchtlingsreferat bei einer Besprechung mit den Quartiersleitern der insgesamt 35 Asylheime bekannt, dass eine Unterkunft für 'kriminelle Asylwerber' gesucht werde. Steiner schlug das ehemalige Jugendheim auf der Saualm vor. Bis vor zwei Jahren verbrachten dort Kinder ihre Sommer, um in der würzigen Luft ihr Asthma zu kurieren. Vieles erinnert daran, dass hier einmal Kinder spielten. Die Wände in den Gemeinschaftsräumen und in den Badezimmern sind mit bunten Mäusen, Papageien und Krokodilen bemalt. Auf der Wiese vor dem Haus gammelt ein heruntergekommener Spielplatz vor sich hin, mit Fußballtor ohne Netz und mit Basketballständer ohne Korb.
Vor über einem Jahr wurde das Heim geschlossen, unter anderem weil die alten Wasserleitungen die Qualität des Trinkwassers beträchtlich beeinträchtigten. Die Arbeitsvereinigung der Sozialhilfe Kärnten, der das Gebäude gehört, entschied gegen eine Renovierung des Hauses. Doch eine Prüfung des Flüchtlingsreferats ergab: Für Flüchtlinge reicht es allemal. Die Ölheizung funktioniert, Duschen und Toiletten sind intakt, und die Aussicht ist malerisch. Ein Flüchtlingslager de luxe sozusagen. Dass es im Winter dort oben bitterkalt werden kann und Schneemassen den schmalen Schotterweg, der zum Camp hinaufführt, unpassierbar machen, schien wenig zu stören. Die wichtigste Prämisse wurde erfüllt: weit, weit weg.
Das abgelegene Heim führen Steiner und ihr Sohn in Teamarbeit. Sie ist die strenge Matriarchin, er der nachsichtige Chauffeur, der die Flüchtlinge jederzeit trotz schlechten Benehmens vom Berg transportiert. Auf dieses Wohlwollen ist Mischa angewiesen, wenn er seine Frau für einen Nachmittag sehen will. Ob es eine Art Familienzusammenführung für verheiratete Flüchtlinge geben wird, ist noch ungewiss. 'Manchmal vermisse ich Natalia', sagt der 34-jährige Georgier. Immer wieder ist er beim Klauen erwischt worden, das letzte Mal stahl er eine Lederjacke. Das brachte das Fass zum Überlaufen und ihn auf die Alm.
Dass die Isolation den Asylwerbern auf Dauer nicht guttun kann, haben auch die Einheimischen begriffen. 'Ein eingesperrter Hund dreht auch irgendwann einmal durch', sagen die Bauern in der Umgebung. Maria Nepraunig hat Angst vor den unberechenbaren Männern auf der Saualm. Ihr Bauernhof liegt unweit von Camp Jörg. Die vierfache Mutter hält mit ihrem Mann 2400 Hühner. Vom Verkauf der Eier lebt die Familie. Nun lässt sie ihre Kinder nicht mehr zum Spielen in den Wald. 'Ich habe ja nichts dagegen, dass die Asylanten dort unterbracht sind. Aber man braucht unbedingt Sicherheitspersonal', meint Nepraunig.
Das wünscht sich auch die Heimmutter. Unter anderem dann, wenn es darum geht, ihr striktes Alkoholverbot durchzusetzen. 'Ich trau mich nicht, ihnen die Flaschen wegzunehmen', sagt sie und beklagt einmal mehr das 'hohe Gewaltpotenzial' der Asylwerber. An Sicherheitsvorkehrungen hat das Flüchtlingsreferat vor der Unterbringung der Männer nicht gedacht. Genauso wenig an einen Betreuungs- und Beschäftigungsplan. Einzig für Unterkunft und Verpflegung wurde vorgesorgt und der wöchentliche Besuch einer Sozialarbeiterin eingeplant. Mehr nicht.
Bauern verriegeln ihre Ställe, und Jäger laden ihre Gewehre
Für jeden Flüchtling bekommt Steiner pro Tag eine Pauschale von 40 Euro vergolten. Ein Geschäft macht sie bei acht Flüchtlingen nicht. Damit es sich für Steiner rechnet, müssten zumindest 40 Personen auf der Alm einquartiert werden. Doch vorläufig bleibt der ersehnte Nachschub aus, weil das Flüchtlingsreferat nur nebulose Pläne besitzt. Dass Steiners Betriebsstättengenehmigung auch noch nicht rechtskräftig ist und sie das Lager vorerst eigentlich illegal führt, scheint Haiders willige Helfer nicht zu stören.
Der neue Kärntner Landeshauptmann Gerhard Dörfler hält am letzten Großprojekt seines Vorgängers unerschütterlich fest. Sogar die Kritik der Griffener bewirkt nichts. Sie leben in einem sterbenden Ort. Junge Leute suchen das Weite, und viele Bauern vereinsamen, weil keinen Frauen zu ihnen in das abgelegene Dorf ziehen wollen. In dieser Gemeinde nährt die Sonderanstalt vor allem Angst. Die Bauern verriegeln ihre Ställe, Jäger laden ihre Gewehre, und Gastwirte befürchten Verluste, weil das Asylheim dem Ruf des Ortes schaden könnte.
Im Gasthof zum Hirschen herrscht ein rauer Ton. Bauarbeiter Siegfried Podritschnig steht an der Theke und flüstert: 'Dass die klauen müssen, liegt an ihrem Menschenschlag.' Ein Mann am Nebentisch, der mit anderen Karten spielt, hört das und schreit in die Runde: 'Es gibt dort oben keine Weiber, keine Gasthäuser, wo sie sich ansaufen können, und keine Geschäfte, in die sie einbrechen könnten. Das wird sie wohl friedlich machen.' Geht es nach Bauer Konrad Schranzer, will man notfalls auch zur Selbsthilfe greifen. Der vierschrötige Mittfünfziger hat Kärnten noch nie verlassen. Georgier oder Kasachen kennt er nur aus dem Fernsehen. Tatsächlich gesehen hat er noch nie einen, aber er weiß, was er im Ernstfall tun will: 'Wir haben darüber geredet, wie viele Jahre man bekommt, wenn einer von uns einen Flüchtling erschießt.'
Artikel von Marion Bacher, DIE ZEIT, 13.11.2008