Selbst- organisation von Sex- arbeiterInnen und Beratungs- stellen kritisieren Doppelmoral und politische Stagnation in Österreich
Sexarbeit wird in Österreich nach wie vor nur 'geduldet'. Geregelt werden Pflichten von SexarbeiterInnen, keine Rechte. Sexarbeit ist nach der immer noch unwidersprochenen Judikatur des Obersten Gerichtshofs (1989) in Österreich 'sittenwidrig'. Einkünfte von SexarbeiterInnen werden jedoch besteuert. Sexarbeit ist weder als Gewerbe, noch als Erwerbsarbeit anerkannt. Ein unselbstständiges Beschäftigungsverhältnis in der Sexarbeit kann nicht legalisiert werden. Drittstaatsangehörigen droht bei Verstößen gegen das Prostitutionsgesetz die Abschiebung. Migrantinnen, die jahrelang mit einem 'Prostituiertenvisum' in Österreich gearbeitet haben, wurden durch das Fremdenrechtspaket mit 1.1.2006 illegalisiert.
Anlässlich des Internationalen Hurentags am 2. Juni 2009 fordern die Plattform sexworker.at sowie die Unterstützungsorganisationen für SexarbeiterInnen LEFÖ (Wien), maiz (Linz), Lena (Linz), SXA-Info (Graz) und Aids-Hilfe Salzburg die rechtliche Anerkennung von Sexarbeit und die Gleichstellung von SexarbeiterInnen mit anderen Erwerbstätigen.
'Die fortdauernde Rechtlosigkeit von SexarbeiterInnen in Österreich ist untragbar und Ausdruck einer ignoranten Haltung gegenüber einer gesellschaftlichen Realität', kritisiert Faika El-Nagashi (LEFÖ) stellvertretend für die Organisationen, den österreichischen Umgang mit dem Thema. Die zunehmenden Repressionen gegenüber SexarbeiterInnen - willkürliche Anzeigen, Ausweisungen, unverhältnismäßige Pauschalbesteuerungen, Freierbestrafungen -verstärken die prekären Arbeits- und Lebensbedingungen von SexarbeiterInnen und verdeutlichen die ständige Abwertung, mit der ihnen und ihrer Arbeit begegnet wird.
In Oberösterreich zum Beispiel, wo zum ersten Mal ein Prostitutionsgesetz die bisherigen Regelungen im Polizeistrafgesetz ersetzen wird, übt sich der vorliegende Entwurf einmal mehr in Beschränkung und Kontrolle. Anstatt zu entstigmatisieren und klare positive Orientierungspunkte anzubieten, ergeht sich das Gesetz in unübersichtlichen Verbotsbestimmungen, die den Behörden, Gemeinden und sogar BordellbetreiberInnen einen zu weiten Interpretationsspielraum eröffnen. maiz fordert einen sachlichen Umgang mit dem Thema in OÖ: 'Der Gesetzgeber muss hier seine Verantwortung wahrnehmen. Es ist an der Zeit, Sexarbeit zu entstigmatisieren und zu entkriminalisieren sowie die Beschäftigten in der Sexarbeit als DienstleisterInnen anzuerkennen, um gegen die extreme Prekarisierung und Diskriminierung in diesem Bereich vorzugehen.'
'Wir sehen dringenden Handlungsbedarf bei den politischen EntscheidungsträgerInnen und fordern sie zur kompromisslosen rechtlichen Anerkennung und Gleichstellung von SexarbeiterInnen auf', so El-Nagashi.
Forderungen
Die Organisationen betonen anlässlich des Internationalen Hurentags am 2. Juni abermals ihre langjährigen Forderungen:
- Entkoppelung des Regelungsbereichs der Prostitution aus den Sitten- bzw. Anstandsnormen
- Rechtliche Gleichbehandlung und Gleichstellung von SexarbeiterInnen mit anderen Erwerbstätigen durch die Legalisierung der Sexarbeit als Erwerbstätigkeit und entsprechenden fremdenrechtlichen Änderungen
- Schutz vor Prekarisierung, Diskriminierung, Sexismus und Rassismus
Aktionstag am Dienstag, 2. Juni 2009
In diesem Sinn rufen die Organisationen zum Aktionstag' SexarbeiterInnenrechte sind Menschenrechte!' in Wien und in Linz auf:
Wien: 13:00 bis 19:00 Uhr
7., Urban-Loritz-Platz vor der Hauptbücherei
Mit: Live-Auftritt von msCHRA & msMUTT; Info-Café, u.a.
LEFÖ und sexworker.at laden zu diesem Aktionstag ein!
Linz: 12:30 bis 14:30 Uhr
in der Altstadt, Hofgasse 11
maiz lädt zum Infomittagstisch, auf der Tageskarte: 'Altes Neues oder neues Altes' Prostitutionsgesetz in OÖ.
maiz wird auch bei der Sendung FROzine: das akkustische Infomagazin auf Radio FRO (105.0 MHz) ab 18.00 Uhr gastieren.
Politischer Hintergrund des Internationalen Hurentags
2. Juni 1975: Proteste und Kirchenbesetzung von Sexarbeiterinnen in Frankreich
Am 2. Juni 1975 streiken Sexarbeiterinnen in Frankreich und bezeichnen in diesem Zusammenhang den Staat als den größten Zuhälter. 150 Frauen besetzen 10 Tage lang die Kirche Saint-Nizier in Lyon und schaffen damit eine internationale Öffentlichkeit für ihre Situation und ihre Forderungen. Als Aktionskollektiv wenden sie sich gegen die staatliche Diskriminierung und gegen polizeiliche Repressionen, die vorgeblich dem Kampf gegen Zuhälterei dienen sollen: ständige Kontrollen und Verhaftungen, Beleidigungen, Schikanen, unverhältnismäßige Strafen, willkürliche Steuerbescheide sowie Tatenlosigkeit der Polizei gegenüber Morden, Misshandlungen und anderen Formen von Gewalt gegen Sexarbeiterinnen. Die Sexarbeiterinnenbewegung von Lyon wehrte sich damit auch gegen die Stigmatisierung von SexarbeiterInnen und gegen die staatlich institutionalisierte Doppelmoral.