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[ 06. Jun 2009 ]

G8 Gipfel Migration: Direct Action gegen IOM

Mit roter Farbe und Plakaten verzierte Fassade des IOM Büros in Rom

Rund um das Trefen der G8 Minister_innen für Inneres und Justiz in Rom gab es mehrere direkte Aktionen. Am 28. Mai 2009 wurde das lokale IOM Büro attackiert. Ausführlicher Bericht über die Hintergründe.

 

Die Außenwände des Sitzes der Internationalen Organisation für Migrationen (IOM) in der Via Nomentana wurden mit mehreren Eimern blutroter Farbe und Plakaten verziert, der Verkehr blockiert und Rauchkerzen angezündet. Mehr als 50 Aktivist_innen kritisierten mit der Parole "Das Schweigen ist das der Schuldigen" die als humanitäres und solidarisches Engagement bezeichnete "Kompliz_innenschaft" der IOM bei rassistischen Politiken. (:: Fotos auf gipfelsoli.org)

Flavio Di Giacomo, ein Sprecher der IOM zeigte sich "verbittert" über den Protest und erklärte: "Wir sind Antirassisten, wir arbeiten zugunsten der Migranten, wir empfangen sie auch ganz konkret in Lampedusa und sind wegen dem Gegenteil angegriffen worden. Wir sind wirklich verwundert". Doch ist hinlänglich bekannt, dass die IOM im Auftrag der Regierungen arbeitet, mitverantwortlich ist für den Ausbau der Abschottungspolitik der EU, zahlreiche "freiwillige Rückführungsprogramme" koordiniert und Internierungslager für Migrant_innen betreibt.


Initiativen des noG8 Netzwerks in Rom. Warum die IOM


In Zusammenhang mit dem Gipfeltreffen über "Immigration und Kriminalität" erklären sich die Bewegungen für intolerant gegen Rassismus.

Zwei "gegen Rassismus intolerante" Aktionstage haben in den vergangenen 48 Stunden die Straßen Roms aufgemischt, wo in diesen Tagen das Gipfeltreffen über "Immigration und Kriminalität" abgehelten wird - zwei Themen, die von den Medien und den Institutionen inzwischen auf beinahe automatische Weise miteinander verknüpft werden, was kontinuierlich zur Implementierung jenes alarmistichen, imaginären Weltbildes beiträgt, das die Anwesenheit von Migrant_innen mit den Problemen und den Ursachen für die Unzufriedenheit der autochtonen Bevölkerung gleich setzt.

Den römischen Demonstrant_innen, unter denen unzählige "neue migrantische Bürger_innen" waren, ist es gelungen, eine Reihe von keineswegs selbstverständlichen Inititiven ins Leben zu rufen, die sehr kommunikativ und über überhaupt nicht ideologisch geprägte Aktionsformen und Ausdruckseweisen umgesetzt wurden. Der heilige Schuzpatreon der Migrant_innen auf der ganzen Welt, San Papier, hat sich für einge Stunden die Basilika Sanza Maria Maggiore im Esquilino-Viertel genommen, um die eine oder die andere Beschwerde über die Lebenssituation seiner Schützlinge in Italien und in den Ländern, die sie durchqueren, um dorthin zu kommen zu formulieren. Das Einwohnermeldeamt, der Ort, der mit dem Sicherheitspaket faktisch zur "Löschung" oder zur Nicht-Formalisierung der Existenz derer, die nicht über die richtigen Papiere verfügen abordnet, wurde mit Transparenten und bunter Farbe bestürmt.

Das wichtigste und mit Sicherheit Aufsehen erregendste Ziel des Aktionstages am 28. Mai ist jedoch der römische Sitz der IOM gewesen, der Internationalen Organisation für Migration. In der den Titel "Das Schweigen gehört den Schuldiogen" tragenden Mitteilung des Netzwerks noG8 ist zu lesen, dass die "IOM in Wirklichkeit ein Instrument der Kontrolle und der Handhabe der Migrationströme im Dienste der Regierungen, die an ihr beteiligt sind" ist. "Das Thema der Menschenwürde gehört offensichtlich nicht zu den Kompetenzen der IOM. Diese schweigt nämlich über die Misshandlungen, die Vergewaltigungen und die Folterungen, die gegen Migrant_innen und Asylsuchende, die Lybien durchqueren, begangen werden. In Lybien ist sie zur Unterstützung der Politiken der Immigrationsbekämpfung mit Ausbildungsprogrammen für die grenzübergreifende Polizei und mit Feldeinsätzen präsent. Sie weist eine aktive Beteiligung an die Externalisierung der Grenzen auf und bei der unter Verletzung des Asylrechts erfolgenden Bewältigung der Rückführungen aus Lybien in die Herkunftsländer auf".

Die intergouvernamentale Organisation hat, wie vorauszusehen war, umgehend erwidert, und "Bitterkeit und Verurteilung" geäußert, weil die Antirassist_innen, mit denen sie behaupten, die Grundwerte zu teilen, "das Ziel völlig verfehlt haben". "Durch unser Wirken", bekräftigte der italienische Sprecher der IOM, "versuchen wir, die Rechte der Migranten zu verteidigen und deren Integration in einem Kontext, der für sie immer schwieriger wird, zu begünstigen".

Möglich. Dennoch ist es mittlerweile seit vielen Jahren so, dass antirassistische Aktivist_innen, Gelehrte, die sich mit den Menschenrechten beschäftigen und Organisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch, die uneigennützigermaßen ein waches Auge für die Menschenrechte haben, zum Wirken der IOM einiges auszusetzen haben.

In einem schon vor einigen Jahren verfassten und auf der Website Border0* einsehbaren, wunderschönen und sehr detaillierten :: Essay von Frank Duvell ist beispielsweise zu lesen, dass:

"die Nationalstaaten zerfallen, der globale Verkehr ständig wächst, die Grenzen nicht mehr sicher sind und dass die Kontrolle der Außengrenzen nicht funktioniert; In einer flexiblen Welt sind nicht flexible Kontrollsysteme, wie die der Nationalstaaten immer weniger angemessen. Deswegen bewegt man sich hin zu einem allumfassenden Modell, das den gesamten Migrationsprozess von den Herkunftsländern an über die gesamte Wegstrecke und durch jede Nation bis hin zum Endziel abdeckt. Eine solche Herangehensweise übertrifft die Interessen der Nationalstaaten, die hingegen Bedraf an supranationalen und transnationalen Organisationen für die Handhabe der Migrationsbewegungen fesgestellt haben.
Bei diesen handelt es sich um die Inter-Governmental Consultations on Asylum (IGC), um die International Organization for Migration (IOM), um einige Zweige der internationalen Arbeitsorganisation (International Labor Organisation – ILO), um zahlreiche Forschungsinstitute und periodisch stattfindende Konferenzen (...)
IOM (...) wurde von der ein Jahr später geborenen UNHCR als Gegen-Agentur benutzt. Im Gegensatz zur UNHCR, die auf humanitäre Prinzipien gestützt ist, basiert IOM auf wirtschaftliche Interessen. Während des kalten Krieges war sie ein Werkzeug der Truman-Doktrin und sie reflektiert bis heute den anmaßenden Anspruch, über das gleiche Medium die Regierungen, die Wirtschaften und die Migrant_innen zu vertreten.(...)
Aufgrund der Rolle, die sie bei der Ausweisung der Roma aus West-Europa gehabt hat, warf der Nationale Roma-Kongress (RNC) IOM vor, der "Feind der Roma-Völker" zu sein. Und sie wurde wegen der gänzlich unverantwortlichen Strategie mit der sie die die Politik der Entschädigung der Roma-Opfer im Nationalsozialismus geführt hat, vom RMC vor den Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg zitiert. (...)
Nicht nur, dass IOM die Prinizipien der Immigrationspolitik und die einschlägigen Technologien (Capacity building systems) der gesamten Welt in sich zusammenfasst, umsetzt und verbreitet: sie bietet auch einen allumfassenden Ansatz an, der aus einer Kombination von Systemen der Migrationseindämmung besteht (Die so genannten Informationsseminare), des Aufbau von Grenzkontrollstellen (wie es in der Ukraine der Fall ist), des Baus von Verwahrungslagern (etwa Nauru, Australien), der Beseitigung von unerwünschten Migrant_innen (die so genannten Programme für "freiwillige Rückkehr" in Großbritannien, Deutschland, Holland und vielen anderen Ländern) und die Rekrutierung von gefragter Arbeitskraft (wie es von Ecuador nach Spanien der Fall ist)."


In den vergangenen Jahren wurden aus diesen Gründen in unzähligen Städten in ganz Europa IOM-Stellen besetzt oder davor protestiert: von Helsinki bis Wien, von Berlin bis Zagreb, von Belgrad bis Genf (wo die Zentrale ist).

Wenn die jungen Leute, die in Rom den italienische IOM-Sitz gestürmt haben, "das Ziel völlig verfehlt haben", kann man sicher sagen, dass sie damit in guter Gesellschaft sind.

Andererseits genügt es, ihre offizielle Website durchzugehen, um sich darüber klar zu werden, dass die Position der IOM - trotz der humanitären Sprache, die sie sich bemüht, zu reproduzieren und zu benutzen - schon alleine aufgrund der Tatsache, dass sie durch Regierungen finanziert wird und dass sie die auf dem Gebiet der Handhabe von Migrationen die Mächtigste ist, nicht anders als "doppeldeutig" sein kann.

Die Regierungen der von Migration betroffenen Länder - besonders jene der Europäischen Union - weisen ohne jede Rücksicht auf die Grundrechte Migrant_innen und Asylsuchenden ab; die besagten Regierungen deportieren, wie es über die Jahre mehrfach der Fall gewesen ist, von Lampedusa nach Lybien, ohne nicht einmal die Identität der Deportierten fest zu stellen; diese Regierungen halten Personen über Monate und in manchen Ländern über Jahre fest, deren einziges Vergehen es ist, dass sie nicht über die richtigen Papiere verfügen, um frei zu sein und um, wie es sich seit kurzem anbahnt, als Menschenwesen mit den elemebtarsten Rechten betrachtet zu werden, wie etwa dem, das eigene Kind beim Einwohner_innenmeldeamt zu registrieren

Diese Regierungen finanzieren die IOM direkt und beeinflussen daher unweigerlich ihr Wirken. Heute mehr denn je erweisen sich Organisationen wie die IOM für die Regierungen mehr als nützlich bei den Feldversuchen auf dem Gebiet der Auslagerung des Asyls und verleihen dieser Politik den notwendigen "humanitären Deckmantel".

ACNUR ist es nie Gelungen, ihr Büro betriebsfähig zu machen. Die IOM hat eine Vereinbarung, die seit Jahren perfekt funktioniert. Worin liegt der Unterschied? Vielleicht weil unter den vielen Punkten der im Land Gadaffis im Auftrag der EU tätigen Organisation, wie eben die IOM, eines völlig fehlt: Der Schutz der Asylsuchenden und der Flüchtlinge.

Oder vielleicht, weil IOM Italien (und der EU) bei allen Projekten zur Seite steht, die die "Bekämpfung der klandestinen Immigration" betreffen, besonders wenn diese in Transitländern wie jene im Maghreb oder in Herkunftsländern wie Ghana, Nigeria und Senegal der Fall ist?

Eines der beiden IOM Hauptprojekte in Lybien wird als "Programme for the Enhancement of Transit and Irregular Migration Management" bezeichnet und von der EU, vom italienischen Innenministerium und der US-Botschaft in Lybien finanziert. Dieses Projekt "zielt auf die Implementierung der Kontrollkapazität an der Grenze zwischen Lybien und Niger" und wird auf ganz romantische Weise "Across Sahara" genannt. Mitten in all der "Aufmerksamkeit für die Menschenrechte" haben die IOM-Funktionsträger_innen den Auftrag, in enger Zusammenarbeit mit den verschiedenen an der Grenze operierenden Polizeien, die augefeiltesten Identifikationstechniken für durchreisende Migrant_innen zu vermitteln und Umszusetzen.

In der Tat ist es nicht gerade einfach, die humanitäre Komponente in diesem Auftrag zu finden, es sei denn, es genügt dazu - wie es einer öffentlichen Meinung zu genügen scheint, von der man gerade versucht, neben dem Gerechtigkeits- und Solidaritätsgefühl, auch den kritischen Geist abzutöten - dass hier und dort Wörter wie "Würde" und "Rechte" hingeschrieben werden, um uns alle zu überzeugen, dass IOM vordergründig im Sinne der Migrant_innen und ihrer Wünsche agiert.

Ihre Beteiligung an diese Praktiken der Kontrolle und Handhabe der migrantischen Mobilität, deren kollateralen Wirkungen die von Millionen Menschen auf der ganzen Welt erlittenen Gewalttaten sind, liefert mit Sicherheit allen involvierten Ländern einen nützlichen Vorwand um gegenüber manchen Gewissensvorbehalt der eigenen Bürger_innen zu behaupten, dass wir uns letztlich keine Sorgen machen müssen: Die Würde und die Rechte werden geachtet werden, da steckt eine Organisation drin, die genau das zum Auftrag hat!

Auch bezüglich der am stärksten beworbenen Aktivitäten der IOM - die "Betreuung freiwilliger Rückkehrer_innen" - könnte mensch sich legitimerweise fragen, wie sich viele schon gefragt haben - wass daran freiwillig sein soll, wenn mensch sich dafür entscheidet, ein Land zu verlassen, in dem mensch nichts als Gefangenschaft und Folterungen erlitten hat und in dem es in keiner Weise möglich ist, in Würde zu leben. Die Zahl der tatsächlich durchgeführten Rückführungen in die Heimat ist im Vergleich zu dem der Rückführung von allen durch die Einwanderungsgesetze der europäischen Länder und der Durchgangsländer klandestinisierten Menschen weltweit nicht sehr hoch.

In diesen Operationen lässt sich also - ähnlich wie bei den CIE (italienische Identifikations- und Abschiebezentren) - eine nicht erklärte symbolische Funktion ausmachen, die gewissermaßen relevanter ist als die erklärte und es wäre zugleich möglich, einen Vergleich der Rolle der IOM mit der der Organisationen, die die über ganz Europa verstreuten ethnischen Gefängnisse betreiben: "solange es sie - unabhängig von der Frage ob wir sie mögen oder nicht und ob sie effektiv oder ineffktiv seien - gibt, ist es besser, sie so gut wie möglich zu unterhalten", so haben sie immer geantwortet. Das gilt für die Verwahrungen wie für die Deportationen.

Man könnte noch über die Rolle sprechen, die der IOM von der italienischen Regierung bezüglich der Familienzusammenführungen zugewiesen ist: Die Durchführung von vollständigen DNA-Analysen auf Kosten des Beantragenden. Diese Praxis wurde übrigens bereits angewandt, bevor ein Gesetzestext ihre Legimität festlegte.

Im Lichte all dessen, erscheint der gegen IOM vom noG8 Netzwerk gerichtete Vorwurf, stille_r Zuschauer_in der auf der Haut der Migrant_innen in Lybien und nicht nur in Lybien begangenen Gewalttaten noch der harmloseste und darüber hinaus der am unmittelbarste umwiderlegbare.

Seht Euch den Dokumentarfilm: "Wie ein Mensch auf der Erde" an. Lest Euch die Berichte von Human Rights Watch und von Amnesty International über die Behandlung der Migrant_innen und Asylsuchenden in Lybien durch. Ist es wirklich möglich, dass die IOM, eine Vorzugspartnerin der italienischen und der lybischen Regierung im Umgang mit Migation, nichts von all dem weiß?

Die Demonstrant_innen in Rom mögen "das Ziel völlig verfehlt" haben. Vielleicht ist es aber so, dass die gerade von der IOM durchgeführte Sensibilisierungskampagne zur Hervorhebugn des positiven Beitrags, den Migrant_innen für die Gesellschaft leisten, nicht ausreicht. Doch genau damit versucht die kritisierte Organisation angesichts des Protests ihre Arbeit rechtzufertigen.


Anmerkung: Die Internationale Organisation für Migration (IOM) wird auf italienisch OIM abgekürzt. In diesem Text wurde immer die Bezeichnung IOM verwendet, auch in Zitaten.

Artikel übernommen von :: de.indymedia.org, bearbeitet von no-racism.net. Original auf italienisch von Alessandra Sciurba vom 30. Mai 2009 auf :: meltingpot.org