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[ 23. Jul 2009 ]

Hilfe für Flüchtlinge in Calais? Die zweifelhafte Rolle des UNHCR

In the Jungle in Calais

Am 17. Juli 2009 präsentierte der UNHCR einen Fahrplan zur Unterstützung von Migrant_innen in Calais. Ob diese Intervention positive Auswirkungen auf die Situation der Flüchtlinge und Migrant_innen haben wird, bleibt abzuwarten. Ein Blick in die veröffentlichen Informationen lässt jedoch Zweifel aufkommen.

 

Anfang Juni 2009 kehrte der UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees) nach Calais zurück, wie er schreibt. Im Jahr 2002, als auf Druck der britischen Regierung das Flüchtlingslager des Roten Kreuzes in Sangatte geschlossen wurde, verließ auch der UNHCR die Region. Seit damals erhalten die Migrant_innen noch weniger Unterstützung, denn die Situation in Sangatte wurde immer wieder massiv kritisiert. Mittlerweile leben in und um Calais ca. 2000 Migrant_innen in selbst gebauten Häusern, meistens aus Absperrgittern, Holz und Plastikplanen. Genannt werden diese fast schon als Dörfer zu bezeichnenden Siedlungen "Jungles". Sie befinden sich am Rande Calais, in vor allem industriell genutzten oder brach liegenden Gegenden, die von manchen aufgrund des sandigen Bodens als Dünen bezeichnet werden, oder etwas außerhalb der Stadt im Wald entlang der Küste. Weitere dieser Siedlungen befinden sich in Dunkerque und anderen Hafenstädten entlang des Ärmelkanal.

Der UNHCR zählt bezüglich seines Fahrplans einige behördliche Veränderungen in den letzten Monaten auf und spricht von "Kooperationsbereitschaft" der Behörden. Am 17. Juni 2009 sendete die Organisation Angestellte aus dem Büro in Paris nach Calais. Sie sollten die notwendigen Vorbereitungen für die Eröffnung einer ständigen Präsenz des UNHCR in Calais schaffen. Die UN-Flüchtlingshelfer_innen befanden sich seither laut Angaben des UNHCR drei bis vier Tage pro Woche in der französischen Hafenstadt und informierten gemeinsam mit der humanitären Partner_innenorganisation France Terre d'Asile und Übersetzer_innen die Leute in den Jungles über verschiedene Themen ("a wide range of issues"). So erklärten sie laut eigenen Angaben den Ablauf des Asylverfahrens in Frankreich, gemeinsam mit humanitären Organisationen aus Großbritannien klärten sie über die Situation jenseits des Ärmelkanals und die britische Asylpolitik auf und sie vermittelten Daten über Frankreich, GB und jene Länder, die manche Migrant_innen auf ihrem Weg nach Calais durchquerten. Betont wurde die Wichtigkeit der Vermittlung von Informationen über die Veränderungen in den Herkunftsländern der Migrant_innen, da diese nach oft mehrmonatiger Reise nicht wissen würden, wie sich die Situation dort verändert habe. Dies solle die Entscheidung für die eigene Zukunft erleichtern.

Hört sich das bis hierher als Versuch an, die gestrandeten Leuten in Calais zu unterstützen, wird bei genauerem Hinsehen klar, dass das Angebot zur Unterstützung relativ gering ist und es in erster Linie darum gehen dürfte, die Menschen möglichst ohne Widerstand zu einer Um- bzw. Rückkehr zu bewegen. Was ist mit jenen, die mit den angebotenen Optionen nicht einverstanden sind? Wird ihnen die Option einer Charterabschiebungen angeboten, vielleicht sogar in eine Gegend, in denen Krieg ist, wie im Irak, Afghanistan und anderen Ländern?

Der UNHCR teilt die Migrant_innen in "Wirtschaftsflüchtlingen" und jene, die um politisches Asyl ansuchen können: "Most are motivated by economic or family reasons, but a few have fled violence or persecution and their well-being is of direct concern to UNHCR." Daraus wird sichtbar, dass sich der UNHCR nur für einen geringen Teil der Migrant_innen überhaupt zuständig sieht; jenen, die vor Gewalt und Verfolgung geflohen sind. Menschen, die nicht unter die in der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Fluchtgründen fallen oder gar nicht vor haben, einen Asylantrag zu stellen, werden von vornherein ausgeschlossen. Es wundert nicht, dass die Menschenrechtsorganisationen im Auftrag der Behörden ein Bild vermitteln wollen, um möglichst viele Menschen zur Rückkehr zu bewegen. Doch haben alle, die sich auf den Weg begeben, mit Sicherheit gute Gründe. Sie fordern eine Öffnung der Grenzen und das Recht, eine offizielle Erwerbsarbeit ergreifen zu dürfen. Doch ist in der gesamten EU der gesetzliche Rahmen dermaßen von rassistischen Ausgrenzungen bestimmt, dass es fast keine Möglichkeit gibt, einen unbefristeten Aufenthaltstitel zu bekommen, geschweige denn von der Perspektive irgendwann einmal rechtliche Gleichstellung zu erlangen. Die Gewährung von Asyl ist eine solche Möglichkeit, doch wird dieses nach sehr restriktiven Maßstäben vergeben, falls es überhaupt zu einem Asylverfahren kommt. Als unbegründet gilt ein Asylantrag beispielsweise, wenn sich eine Person im Zuge der Flucht vor der Antragsstellung in einem "sicheren Land" aufgehalten hat. Alle EU-Staaten gelten als "sicher" und die :: Zuständigkeit für ein Asylverfahren wird über das Dubliner Übereinkommen geregelt: Jenes Land ist zuständig, das die/der Flüchting_sfrau als erstes betreten hat. Regelmäßig werden Menschen von der Polizei verhaftet und im Falle eines Asylantrages in das "zuständige" EU-Land abgeschoben, selbst dann, wenn dort keinerlei Perspektiven bestehen und die Stellung eines Asylantrages, wie in Griechenland, nicht gewährleistet ist. Dass eine Organisation wie der UNHCR hier eine wichtige Rolle spielt und eng mit den Staaten kooperiert, ist eine Tatsache. In dieses Bild passt die Einsicht, dass jeder Fall ein individueller Fall ist, aber trotzdem Gruppen kategorisch von jeglicher Möglichkeit, einen Aufenthaltstitel zu erlangen, ausgenommen werden. In einem Bericht des UNHCR heißt es bezüglich der aktuellen Situation der Migrant_innen in Calais:

"Their motives for making such an arduous journey and for roughing it in Calais vary. Some have relatives in the UK. Others have heard that it is easy to get a good job there. Some want to study. Yet others have been forced to flee their countries because of political, religious or ethnic persecution, and may be entitled to refugee status if they are given the opportunity to apply for asylum."

Zwar wird hier kritisiert, dass vielen Menschen die Stellung eine Asylantrages verwehrt wird, doch wird von vornherein klargestellt, dass Menschen, die sich nicht aufgrund von "politischer, religiöser oder ethnischer Verfolgung" auf die lange Reise begaben, gar keine Möglichkeit hätten, Asyl zu erlangen. Angesichts der erlebten Realität der Migrant_innen ist eine derartige Aussage mehr als zynisch. So sind zahlreiche der Menschen aus Afghanistan - vor allem Männer bzw. männliche Jugendliche - bereits mit 12 oder 13 Jahren aufgebrochen, weil sie nicht bereit waren, für die Taliban zu kämpfen, weil ihrer Eltern oder Geschwister umgebracht wurden, weil sie sich kritisch äußerten oder einfach, weil sie unter den gegebenen Umständen, aus welchen Gründen auch immer, einfach nicht mehr in Afghanistan - oder welchem Land auch immer - leben wollten. Ob diese Entscheidung von den Behörden als legitim betrachtet wird oder nicht, kann nicht unabhängig von Rassismus gesehen werden, denn die Argumente, mit denen selektiert wird, greifen tief in die rassistische Wühlkiste. Letzendlich ist jede Verweigerung eines Aufenthaltstitels aufgrund rassistischer Kriterien rassistisch - und die angewendeten Kriterien werden nun mal rassistisch festgelegt. Der UNHCR bildet hier keine Ausnahme.

Die UN-Mitarbeiter_innen sind gekommen, um Menschen zu verwalten und suchen nach den Verantwortlichen für die miserable Situation in den Jungles. Dass die Menschen, die dort wohnen, vor allem die permanenten Polizeiübergriffe, Verhaftungen und Schikanen als Problem angeben, dürfte nicht bis zum UNHCR vorgedrungen sein, obwohl laut eigenen Angaben mehrere hundert Leute informiert wurden. Anstatt die realen Probleme zu thematisieren und umgehend von der Polizei ein Ende der rassistischen Razzien zu fordern, werden die Schuldigen für die Probleme unter den Migrant_innen selbst gesucht, und sie bekommen einen Namen:

"People smugglers, who make money by helping migrants and asylum-seekers reach their destination, often feed false information to their clients. Some asylum-seekers have said that they have been threatened by smugglers after making an application and have had to leave the 'jungle'."

Als Beleg wird ein Sozialarbeiter zitiert, der seit Jahren in Calais arbeite: "The jungles are controlled by smugglers", wird behauptet, und weiter: "They control access to the trucks and trains. A week ago a young man was stabbed in the hip for trying to climb onto a truck without paying the smuggler his fee."

Demnach wird die Gefährlichkeit beim Versuch die Grenze zu überqueren nicht durch die Behörden verursacht, sondern bei jenen, die aus der Situation der Flüchtlinge Profit schlagen würden. Ganz anders die Aussagen der Menschen aus den Jungles: Seit Jahren werden die permanenten Übergriffe durch die Exekutive angeklagt. Immer wieder war von regelrechten Menschenjagden die Rede, wie schon :: im November 2002, als das Lager in Sangatte für Neuzugänge geschlossen wurde. In den letzten Monaten und Jahren sind zahlreiche Berichte über das rassistische und gewalttätige Vorgehen der Polizist_innen veröffentlicht worden und es gab unzählige Todesfälle bei Versuchen, die massiven Kontrollen an den Grenzen zu umgehen.

Ereignisse wie folgendes erscheinen unter den gegebenen Umständen als nichts außergewöhnliches: "Early in the morning CRS riot police shot tear gas into the Pastun jungle and beat up and removed five people. Unfortunately this is nothing new in Calais these days." So sieht die Situation der Menschen in den Jungles von Calais derzeit aus: Die Terroreinheiten der Polizei attackieren sie in ihren selbst errichteten Häusern, feuern Tränengas ab, greifen sich ein paar Menschen, und hauen mit den Gefangenen wieder ab, als wäre nichts gewesen.

Aktivist_innen, die nach Calais gereist sind, um die Migrant_innen zu unterstützen und gegen die angekündigte Räumung der Jungles zu protestieren, beschrieben auf :: calaismigrantsolidarity.wordpress.com mit knappen Worten, welches Klima in Calais derzeit vorzufinden ist: The morning saw Eritrean and Iranian migrants being stopped and detained on the streets of Calais; again nothing new. Whether 48 hours detention or deportation for Iranians we don't know. The racism of police actions was visible in their removal of black sans papiers while white activists refusing to show ID were let go as we watched our friends being taken away giving us the thumbs up from the windows of the unmarked police van. We condemn these acts of terror. As the repression continues the links between migrant activists and resident activists grow."

Von derartigen Geschehnissen wird seitens des UNHCR nicht berichtet. Stattdessen erstellte der UNHCR einen Fahrplan, um seine Mission zu erfüllen. Eine Reihe von Vorschlägen wurde gemacht, wie mit so genannten Dublin-Fällen umgegangen werden soll. Darüber hinaus wurden konkrete Vorschläge ausgearbeitet, wie Mechanismen zum Schutz von Kindern und Minderjährigen installiert werden können. Gleichzeitig werden unbegleitete Minderjährige instrumentalisiert und argumentiert, sie wären üblicherweise mit "smugglers" (auf deutsch würde wohl der Begriff "Slepper_in" angewendet werden) unterwegs, die vorgeben würden, ihre Geschwister oder Onkel zu sein; und sie würden die Minderjährigen benutzen, um von ihren Eltern noch mehr Geld zu verlangen. Dass viele Migrant_innen für Teile ihrer Reise die Hilfe professioneller Fluchtherlfer_innen in Anspruch nehmen, ist nicht von der Hand zu weisen und oft die einzige Möglichkeit, eine Grenze zu überwinden. Jedoch greift der UNHCR hier auf Vorurteile zurück, die via Mainstreammedien das gängige Bild von Migrant_innen prägen, sie seien Opfer von Fluchthelfer_innen, die generalisiert als Ausbeuter_innen dargestellt werden. Und die Opfer werden entweder als hilflos hingestellt, oder sie werden selbst zu Täter_innen, kriminalisiert und illegalisiert, ohne Rechte. Und die Rechte von Menschen nimmt die Polizei in Calais nicht besonders ernst, wie sich nicht nur im Alltag der Migrant_innen zeigt, sondern auch beim Noboder-Camp im Juni deutlich wurde, wo die Polizei alle Straßen belagerte und jede_n, die_der sich auch nur irgendwie "auffällig" verhielt, kontrollierte. Als auffällig galt bereits, mit einem Rucksack unterwegs zu sein.

Angesichts der auf der Hand liegenden Funktion des UNHCR verwundert es nicht, dass dieser im Rahmen einer "guten und engen Zusammenarbeit" mit den britischen, französischen und EU-Behörden hofft, dass sich für ein paar Menschen schon eine positive Lösung finden lassen wird, wie aus folgendem Zitat hervorgeht:

"UNHCR hopes that by working closely with the British, French and EU authorities as well as other relevant organizations and civil society, a solution can be found for at least some of those currently living in unsanitary and dangerous conditions in Calais."

Anstatt klar zu stellen, dass das Vorgehen der Behörden vollkommen inakzeptabel ist und die permanenten Schikanen und Übergriffe sofort einzustellen sind, versuchen die Bürokrat_innen, Akzeptanz für Rassismus zu schaffen. Somit zeigt sich einmal mehr, dass jene Organisation, die den weltweiten Schutz von Flüchtlingen garantieren sollte lieber als Gehilf_in rassistischer Behörden auftritt.

Inwieweit sich diese Einschätzung der Rolle des UNHCR bestätigt, bleibt abzuwarten. Jedoch hängt es von den Mitarbeiter_innen des UNHCR und ihren lokalen humanitären Kooperationspartner_innen selbst ab, auf welche Seite sie sich stellen. Wenn sie ihren Bemühungen, eine Lösung für die Flüchtlinge und Migrant_inen herbeizuführen, tatsächlich entsprechen wollen, dann wird es notwendig sein, zu aller erst auf die Wünsche und Bedürfnisse ebendieser Rücksicht zu nehmen. Und deren zentralen Forderungen sind nach wie vor: Eine Ende der Polizeigewalt, menschenwürdige Lebensbedingungen, die Öffnung der Grenzen und Bewegungsfreiheit.

Die Zitate des UNHCR stammen aus den Berichten :: UNHCR returns to Calais to provide migrants, refugees with information vom 17. Juni 2009 und :: UNHCR draws road map to help people out of Calais "jungle", 17 Juli 2009.