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[ 05. May 2010 ]

Demonstration für Bleibefreiheit von Sans Papiers

Am Dienstag, 4. Mai 2010, versammelten sich ab 12.00 Uhr etwa 200 - 300 Personen beim Schubhäfn an der Rossauer Lände 7-9 in Wien, um gegen eine geplante Massenabschiebung an diesem Tag zu protestieren. Eine lautstarke Demonstration zog bis zum Asylgerichtshof im 10. Bezirk.

 

Hintergründe zur Kundgebung bem Schubhäfn


Der Protest war ereignisbezogen: Aufmerksamkeit erregte die Razzia beim FC Sans Papiers am vergangen Donnerstag und die spontanen Proteste gegen Schubhaft und Abschiebungen. Am Dienstag, dem 4. Mai 2010 sollten sie im Zuge einer von Frontex organisierten Massenabschiebung abgeschoben werden. Hatten sich die Behörden in den vergangen Tagen sehr bedeckt gehalten, wann die Abschiebung stattfinden sollte, wurde erst am selben Tag klar, dass insgesamt 90 Personen mit diesem Flug abgeschoben werden, begleitet von 200 Polizist_innen, Menschenrechtsbeobachter_in und medizinisches Personal, um jeglichen Widerstand niederzuspritzen, wie dies in der Vergangenheit bei derartigen Abschiebungen mehrmals geschehen ist. Aus Österreich wurden insgesamt 21 Leute im Zuge dieser geheimen Operation abgeschoben, einige von ihnen laut einer Betreuungsorganisation, "seit mehreren Wochen unrechtmäßig eingesperrt".

Bei den Protesten an diesem Tag wurde von den Teilnehmer_innen klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, das nicht nur diese Abschiebung nicht stattfinden darf.


Spontane Demonstration


Der Schubhäfn Rossauer Lände wurde von der Polizei bereits vor dem angekündigten Treffpunkt um 12:00 großräumig abgeriegelt. Es war unklar, was die Polizei vor hatte und ob sich die Gefangenen noch in der Rossauer Lände befanden. Der Großteil der Leute setze sich deshalb gegen 12.30 in Bewegung und eine spontane Demonstration gegen Abschiebungen, Staatsgewalt dem derzeit herrschenden rassistischen Normalzustand zog durch mehrere Bezirke.

Mehrere Transparente mit den Aufschriften "Solidarität mit dem FC Sans Papiers", "Abschiebung abschaffen", "For the Freedom of Movement" und "No Border, No Nation" waren zu sehen. Eine Vielzahl von Polizeifahrzeugen blieben vor dem PAZ RoassauerLände, die Demonstration wurde jegliche von einzelnen Exekutivbeamt_innen in zivil und vorerst lediglich von nur einer Polizeistreife begleitet.

Auf dem Weg über Schwedenplatz, Ring und Schwarzenbergplatz wurden eine Vielzahl von Passant_innen durch ständige Sprechchöre, haufenweise ausgeteilte Flyer und den Transparenten auf die menschenverachtende und rassistische, nationalistische und ausbeuterische Praxis von Abschiebungen aufmerksam gemacht.

Immer wieder wurde in Gesprächen beim Flyern, durch Handzeichen und durch die spontane Teilnahme von Passant_innen Solidarität mit Menschen ohne Papiere bekundet. Bis zum Schwarzenbergplatz wuchs die unangemeldet Demonstration auf mindestens über 350 Personen an.

Vor allem auf dem Weg über die Prinz-Eugen-Straße in die Laxenburgerstraße die durch den 10. Bezirk führte, wurde den mehrheitlich sichtlich begeisterten Menschen am Gehtseig und in den Autos durch die Sprechchöre und den Flyern klar signalisiert, dass "Refugees are Welcome her" nicht ein bloßes Lippenbekentniss sein darf.

Die Teilnehmer_innen der Demonstration stoppten beim Asylgerichtshof in der Laxenburgerstraße 36.


Vor dem Asylgerichtshof - Laxenburgerstraße 36


Das Gebäude war anscheinend vor kurzem zum Gegenstand antirassistischen künstlerischen Gestaltung geworden - es waren viele schwarze Flecken an der Häuserfassade zu sehen.

Vor dem Asylgerichtshof kamen etwa 200 Demonstrat_innen zum stehen, um sogleich von einem Großaufgebot an Polizei in etwa 50 Meter Abstand wenige Zeit später in "Empfang" genommen zu werden. Vor der Eingangstür zum Asylgerichtshof waren etwa ein duzent Polizist_innen mit Helmen postiert.

Langsam wollten sich etwa 100 Polizist_innen aus einem Bus aussteigend in Stellung bringen, doch als Gespräche mit dem Präsidenten des Asylgerichtshof gefordert wurden, war von Seiten der Protestierenden klar kommuniziert, dass von ihnen keinerlei Eskalation ausgehen wird, so hielt sich die Exekutiv zur Abwechslung mal im Hintergrund.

Ein weiterer Grund, dass die Polizei zu diesem Zeitpunkt nicht an der in den vergangenen Tagen oftmals angewendeten Einschüchterungstaktik festhielt, hat wohl damit zu tun, dass die Öffentlichkeit gegen Rassismus und Abschiebungen trotz des repressiven und gewalttätigen Verhaltens der Exekutive gewachsen ist. Die Medienberichterstattung über die Aktionen hat dazu beigetragen, dass seit letzter Woche die aktiv sichtbare Solidarität mit Menschen ohne rechtsgültigen Aufenthaltstitel stark gestiegen ist.

Neben kommerziellen Mainstreammdien diverser Rundfunkanstalten und kommerzieller Printmedien waren ebenso eine Vielzahl freier Medienvertreter_innen wie Radio Orange, Indymedia und anderen vor Ort, um darüber zu berichten - und nicht zuletzt auch die Kundgebungen und Demonstrationen am folgenden Tag, Mittwoch 5. Mai 2010, zu bewerben.


Für eine ganz andere Politik


Trotz der sichtbaren Heterogenität der teilnehmenden Menschen an der Demonstration, waren nahezu ununterbrochen lautstark Sprechchöre zu hören. Diese bezogen sich nicht nur auf ein Bleiberecht für einzelne Menschen oder irgendwelche "Integrationsdebatten". Auch wurden keine "humaneren" Asyl- oder Fremdengesetze gefordert oder ständig auf einzelne Entscheidungsträger_innen appeliert, sondern eine klare Sprache gesprochen:

"HHhhhhhey, HHHHooo, solidarité - avec les sans papiers!", "No Border, No Nation - Stop Deportation", "No Nation, No Border - Fight Law and Order", "Bleiberecht für Alle, sonst gibts Krawalle", "Abschiebung ist Folter, Abschiebung ist Mord - Bleiberecht für Alle, und zwar sofort!", "Freiheit entsteht aus kämpfender Bewegung - für mehr Staatszerlegung", "Um Europa keine Mauer - Bleiberecht für Alle und auf Dauer!", "Solidarität muss Praxis werden - Feuer und Flamme den Repressionsbehörden und dem Patriachat".

Diese Sprüche waren ständig untermalt von den kraftvollen Tönen des "Ryhtms of Resistance"-Trommelkollektiv, und machten deutlich, dass der spontane Widerstand gegen Abschiebungen an diesem Tag erst der Anfang war und es nicht mit einem Bleiberecht für diese oder jene "gut integierte" Familie, oder "gesellschaftlich relevanten" Personen, getan sein darf und wird.


Die bezeichnende Ignoranz der Abschiebebehörden


Nachdem zweimal eine kleine Gruppe von Delegierten in das Gebäude des Asylgerichtshof seitens der Behörden Einlass bekamen, um mit den Präsidenten und/oder der für die beiden FC Sans Papier-Spieler zuständige Richter_in zu sprechen, die Gespäche aber nur Lippenbekentnisse ohne Zugeständnisse waren, zogen gegen 16uhr die Demonstrant_innen in kleineren Gruppen wieder ab - und gaben die Laxenburgerstraße vor dem Asylgerichtshof wieder für den Verkehr frei.

Kurz zuvor wurde noch an einem gegenüberliegendem Gebäude an der Laxenburgerstraße ein Transparent mit der Aufschrift "Klassenkampf statt Rassenwahn" und einem anachrosyndikalistischen schwarz/rotem Stern) angebracht.


Zuletzt ein wenig Pathos ...


Zur Motivation, zur Hoffnung und zum Aufruf... nachdem seit ein paar Stunden klar ist, dass trotz allem wieder zig Menschen aus ihrem Lebensumfeld weggerissen wurden.

Die Solidarität der Passant_innen und der Demonstrierenden heute untereinander zeigte, dass trotz unterschiedlichster Hintergründe, Motivationen und Gefühle die Grenzen zwischen Menschen nichts Natürliches sind. Sie werden geschaffen durch Staat, Justiz, Polizei, Kapitalwirtschaft, Grenzregime, ... und deren Auswüchse wie Nationalismus, Sexismus, Rassismus, ... wie Abschiebungen und anderen diskriminierenden Praxen, durch Mainstreammedien, durch Werbung, durch Wissenschaft und Forschung, durch Erwerbsarbeit, durch "gesellschaftliche Konventionen" ... Die Grenzen werden aber auch von allen Menschen täglich neu gezogen. Die Mechanismen dazu stecken in allen, sie wurden erlernt oder "anerzogen" und erscheinen so als etwas "Natürliches", etwas das "halt so ist", das die Menschen "ertragen und auszuhalten" müssten, und "nicht ändern könnten" ...


... dass ein ganz ein Anderes möglich ist


Lasst euren Karrieren mal Pausen, nehmt euch von der Arbeit frei, nehmt "eure" Kinder mit, und kommt morgen um 16 Uhr zur Kundgebung am Karl-Lueger-Ring 1 bei der Universität Wien - erhebt eure Stimmen und Körper gegen den wahnsinnigen Normalzustand der Menschen umbringt, krank macht, unterdrückt, ausbeutet, miteinander verfeindet...

Kein Mensch ist illegal! (sie können maximal von Staat und Justiz illegalisiert werden)
No Border, No Nation! - Stop Deportation!
Solidarité - avec les sans papiers! (wie schon lange nicht mehr - zumindestens in Wien)

Der Beitrag "mehrere hundert menschen bei spontanten kundgebung für bleibefreiheit von sans papiers in wien", erschienen am 04. Mai 2010 auf :: at.indymedia.org, wurde hier von no-racism.net überarbeitet. Weitere Quellen bildeteten der :: Indymedia Newsticker und ein Bericht von :: nochrichten.net, beide vom 04. Mai 2010.