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[ 01. Jun 2010 ]

Die Toten der Festung Europas ehren: Memorial und Maske Festung Europa

04.-06.06.2010 Karawane Festival Jena

"Vereint gegen koloniales Unrecht, in Erinnerung an die Toten der Festung Europa". Karawane-Festival in Jena, 4.- 6. Juni 2010.

 

Seit der brutalen Ankunft des Kolonialismus in unseren Ländern formierte sich die europäische Identität auf der Basis der Annahme der Überlegenheit über alle anderen Kulturen und Völker. Die "Anderen" wurden und werden als das polare Gegenteil der vermeintlichen Großartigkeit europäischer Werte und Ideale konstruiert. Noch immer werden AfrikanerInnen, AsiatInnen und LateinamerikanerInnen gewaltsam in die Kategorie der Minderwertigen und Wilden verwiesen. Aufgezwungene und unmenschliche Teilung, Vergewaltigung, Missbrauch und Versklavung von Millionen von Menschen sind seit Jahrhunderten das Resultat der Anwesenheit europäischer und amerikanischer Abenteurer und Ausbeuter in den sogenannten Dritte-Welt-Ländern.

Heute wird das koloniale Unrecht fortgesetzt. MigrantInnen und potentielle MigrantInnen werden als faul und naiv gezeichnet, als Bedrohung, die von FRONTEX unter Kontrolle gehalten werden muss. Tausende von Flüchtlingen sterben jährlich an den immer weiter ausgedehnten und immer stärker militarisierten europäischen Grenzen, werden von FRONTEX zum Ertrinken gezwungen. Sie können nicht einmal die europäischen Grenzen lebendig erreichen. Der Versuch, ihnen irgendeine Hilfe zukommen zu lassen oder sie zu retten, resultiert in Strafverfolgung. Die "FRONTEXisierung" des europäischen Grenzsystems, die Militarisierung der Meere und der Landgrenzen zur Abwehr von MigrantInnen, ist eine tödliche physische und ideologische Waffe der Festung Europa. Ihr Ziel ist es, das unehrenhafte System des "Teile und Herrsche" und die globalisierte Apartheid von Selektion und Ausbeutung zu festigen. Im Inneren Europas setzt sich dieses System fort durch die Internierung der Ungewollten in Lagern, durch Isolation und Ausgrenzung, Residenzpflicht und Abschiebung.


Memorial


Das Festival wird an diejenigen erinnern, die - an ihren äußeren oder inneren Grenzen - ihr Leben an die Festung Europa verloren haben und diejenigen feiern, die sich noch immer dieser Politik, die darauf abzielt, uns zu teilen, zu isolieren und zu zerstören, widersetzen und diese überleben.

Wenn wir uns an die extremen Bedingungen erinnern, die unsere Flucht aus unseren Heimatländern ausgelöst hat, rufen wir uns die Schrecken ins Gedächtnis, die die Opfer der Festung Europa durchlitten haben. In der Angst vor der Gewissheit, dass noch mehr den Tod finden werden, werden wir ihnen zu Ehren während des Festivals in Jena ein Monument der Menschenwürde enthüllen. Ein Mahnmal für alle Opfer des Frontex-Grenzregimes und der barbarischen Politik der Festung Europa. Dieses Monument soll das repräsentieren, was diesen Opfern von den unbarmherzigen europäischen Mächten sogar mit der Konsequenz ihres Todes verweigert worden ist.

Die Toten der Festung Europa dürfen weder vergessen noch auf bloße Zahlen reduziert werden. Ihre Erfahrungen in Leben und Tod sind Teil unseres Erbes. Wir ehren dieses Erbe, indem wir ihnen dieses Mahnmal widmen.

Von den europäischen Teilnehmern des Festivals erwarten wir, dass sie Europas Verantwortung für das koloniale Unrecht anerkennen und gegen dieses Unrecht ankämpfen. Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört. Wir sind hier und werden kämpfen.


Masken


Afrikanische Masken sind Symbole einer Gottheit oder toter Personen, deren Gesichter nicht physisch wahrgenommen oder berührt werden können. Doch sie sind mit der Fähigkeit erfüllt, mit den Mitgliedern der Gemeinschaft über Angelegenheiten von großem Belang in Kommunikation zu treten. In vielen Teilen Afrikas sind sie eine hoch verehrte kulturelle Kunst-Performance mit göttlichem Charakter, die während spezieller traditioneller Feste durchgeführt wird. Sie sind ein Mittel gemeinschaftsbezogener Selbstreflexion, des Schutzes und der Solidarität vor allem während Zeiten von Katastrophen oder allgemeinen großen Unglücks.

Die Maske ist nicht nur kulturelles Erbe. Die Maske ist die kulturelle Basis unserer Kommunikation. Die Maske ist ein Mittel der Verständigung mit dem Geist unserer verstorbenen Brüder und Schwestern, unseren Ahnen. Wir kommunizieren mit ihnen, finden uns im Einklang mit ihnen und vereinigen uns mit ihnen im Geist des Strebens nach menschlicher Würde.

Sie ist ein Gegenentwurf zu allen kolonialistischen Zuschreibungen, sie ist Spiritualität und Kunst, Magie, Unbewusstes, Verborgenes, Mystik. Sie bedeutet Zumutung und Verstörung, denn ihre Macht können wir nicht greifen.

Die Masken kommen aus unseren Ländern auf das Festival mit unserer Geschichte und der Würde unserer Ahnen. Sie werden unsere Geschichte in unseren eigenen Worten erzählen, sie werden den KolonisatorInnen Fragen stellen und uns dabei helfen, die Grundlagen unser Menschlichkeit - Solidarität, Mitleid und Menschenwürde - wieder geltend zu machen und sie wiederzugewinnen.

Die Masken können und werden die Geschichten derer erzählen, deren Geschichten vielleicht niemals erzählt werden, derer, die unter mysteriösen Umständen in der Polizeiwache lebendig verbrannt worden sind, derer, die von der Polizei in verschiedenen europäischen Ländern erschossen oder anderweitig getötet worden sind, derer, deren Leben in unmenschlichen Flüchtlings- und Asyllagern in ganz Europa vergeudet wird, derer, die von FRONTEX zum Ertrinken gezwungen worden sind, derer, die von rassistischer Polizei verfolgt und kriminalisiert werden, derer, die während der Prozedur ihrer Abschiebung getötet wurden und vieler mehr.

Wir werden nicht erlauben, dass sich die Erinnerung an sie auf bloße Zahlen beschränkt, die vergessen werden, ohne Spuren zu hinterlassen. Wir werden ihre Geschichten erzählen, denn ihre Geschichten sind unsere Geschichten und sie werden unser Erbe bleiben.

Unsere Toten tanzen in den Masken. Man wird nicht ihre Gesichter sehen, aber die barbarischen Akte, die man an ihnen vollzogen hat. Der Geist unserer Brüder und Schwestern wird nicht ruhen, bis wir sie in unsere Mitte und nach Hause zurückbringen. Wir werden sie rufen und uns ihrer erinnern. Wir kämpfen für sie und bringen sie in unser Gedächtnis zurück und reißen die Masken vom Gesicht derer, die all diese barbarischen Akte begangen haben und noch immer begehen.

Auf dem Karawane-Festival geht es um unsere physische Präsenz und unsere Würde, unsere Lebenserfahrungen und um die der Toten, um unseren Kampf und unseren Widerstand, um Solidarität und Menschlichkeit. Es ist eine Demonstration der Auflehnung und eine Bastion der Solidarität. Wir kommen zusammen und demonstrieren unsere Stärke im Widerstand gegen die Ziele und Methoden dieser Barbarei. Die spirituelle Vision der Maske bringt uns die Inspiration, unseren eigenen Kampf bis zum Ende zu führen.

The VOICE Refugee Forum
Karawane-Festival Jena 2010

Artikel übernommen von :: thevoiceforum.org, 31. Mai 2010.