Die deutsche Bundesregierung hat am 27. Oktober 2010 einen Gesetzesentwurf beschlossen, der unter anderem eine verschärfte Repression gegen »Integrationsverweigerer« bedeutet, aber auch eine Reihe von Änderungen der Residenzpflicht. Der überfälligen Schritt der generellen Abschaffung der Residenzpflicht wird weiter hinausgezögert.
Der Gesetzesentwurf betrifft zwei Punkte: Zum einen soll der Zugang von Asylsuchenden und Geduldeten zum Arbeitsmarkt und zu Bildungseinrichtungen erleichtert werden, wie schon im Koalitionsvertrag angekündigt. Dazu sollen das Asylverfahrensgesetz und das Aufenthaltsgesetz geändert werden, indem zusätzliche »Verlassensgründe« aufgenommen werden: Schulbesuch, betriebliche Aus- und Weiterbildung und Studium an einer Hochschule. Zum anderen soll für Landesregierungen eine »Ermächtigungsgrundlage« geschaffen werden, sodass Aufenthaltbereiche von Asylsuchenden länderübergreifend zusammengelegt werden können. Offensichtlich standen die Erlasse in Berlin und Brandenburg dafür Pate. Das Rechtsgutachten zur Residenzpflicht, das der Berliner Anwalt Rolf Stahmann im Auftrag des Brandenburger Flüchtlingsrats erstellt hatte, hielt diese Lockerung schon bei der alten Gesetzeslage für möglich.
Was wird sich konkret ändern? Eine Reihe von Asylsuchenden und Geduldeten werden leichter einen »Urlaubsschein« für den Besuch von Schulen und Unis bekommen. Und Stadtstaaten wie Berlin, Hamburg und Bremen werden zukünftig mit den umliegenden Bundesländern vereinbaren können, dass sich Asylsuchende - nicht Geduldete! - im anderen Bundesland bewegen dürfen. Die Rechtsverordnung und Erlasse, die Berlin und Brandenburg Ende Juli eingeführt hatte, werden wahrscheinlich überarbeitet. Künftig werden Asylsuchende auch ohne Antrag nach Berlin reisen dürfen, und umgekehrt. Geduldete werden wie bisher einen Antrag auf eine »Dauerverlassenserlaubnis« nach Berlin stellen müssen.
Welche Schallwellen die Änderungen des Bundesgesetzes aussenden werden, ist noch nicht abzusehen. Fest steht, dass damit die von Brandenburg geplante Bundesratsinitiative obsolet geworden ist. Die Bundesregierung selbst will den Landesregierungen das Recht einräumen, länderübergreifend Aufenthaltsbereiche zusammenzulegen. Offenbar geht sie davon aus, dass nur wenige Bundesländer von dieser »Ermächtigungsgrundlage« Gebrauch machen werden, wie eine Umfrage unter den Bundesländern im Januar ergab. Theoretisch könnten jedoch alle Bundesländer untereinander Vereinbarungen schließen und Aufenthaltsbereiche auf mehrere Bundesländer erweitern.
Statt sich jedoch auf einen solch mühsamen und aufwendigen Prozess einzulassen, steht jetzt die generelle Abschaffung der Residenzpflicht auf der Tagesordnung. Noch ist nicht bekannt, ob weitere Bundesländer dem Beispiel Nordrhein-Westfalen folgen wollen, wo der Landtag im Juli eine entsprechende Bundesratsinitiative beschlossen hat. Alles andere wäre ein Herumdoktern an einer durch nichts zu rechtfertigenden Verletzung des Menschenrechts auf Bewegungsfreiheit.