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[ 26. Nov 2010 ]

Neue EU-Strategie der inneren Sicherheit

Her mit dem Kontrollverlust - Demonstration gegen soziale Kontrolle in Wien

EU-Innen- kommissarin Cecilia Malmström hat dieser Tage eine neue "Strategie der inneren Sicherheit" vorgestellt. Die Strategie enthält wenig Neues und - wenig überraschend - alles, was der Datenschutz verboten hat.

 

Das neue :: Strategiepapier über die künftigen fünf Handlungsschwerpunkte, das die Kommissarin am Montag der Öffentlichkeit :: präsentiert hat, enthält "41 Maßnahmen zur Bewältigung der dringlichsten Herausforderungen für die Sicherheit in Europa". Tätig geworden ist die Kommission auf Initiative des Europäischen Rats. Dieser hatte im Februar 2010 sein Papier :: "Hin zu einem europäischen Sicherheitsmodell" verabschiedet und darin die Kommission aufgefordert, "maßnahmenorientierte Vorschläge zur Umsetzung der Strategie zu ermitteln".

Die Handlungsschwerpunkte sind (1) die Schwächung internationaler krimineller Netzwerke, (2) Maßnahmen gegen Terrorismus, Radikalisierung und Rekrutierung von Terrorist_innen, (3) mehr Schutz im Cyberspace, (4) mehr Sicherheit an den Außengrenzen sowie (5) die Verbesserung der Widerstandsfähigkeit gegenüber Krisen und Katastrophen. Die vorliegende Strategie sieht sich als gemeinsames Programm für die Mitgliedsstaaten und alle Organisationen und Einrichtungen der EU. Auch die operative Zusammenarbeit soll deutlich ausgebaut werden. So weit, so gut.

Doch neben einigen positiven Initiativen zu Vernetzung und Zusammenarbeit im Bereich des Katastrophenschutzes oder zur Bekämpfung von Online-Betrügereien birgt das Papier einigen Sprengstoff. Wird der ausgesprochenen ehrgeizige Zeitplan, der im Papier angegeben ist, auch nur annähernd eingehalten, werden Datenschützer_innen und Zivilgesellschaft vor 2015 wohl keine ruhige Minute mehr haben. Schon 2011 will die Kommission einen Vorschlag für ein eigenes Programm zur Auswertung von EU-Fluggastdaten vorlegen. Fluggastdaten sollen dann nicht mehr "nur" an die USA weitergegeben werden, wie es aktuelle EU-Pläne vorsehen, sondern auch auf europäischem Boden gescreent werden. Dabei steht zu befürchten, dass Daten aller Flugpassagier_innen systematisch und auch ohne Vorliegen eines Verdachts ausgewertet und gespeichert und zudem für Profilingzwecke (euphemistisch Risikoanaylse genannt) genutzt werden. Kurz: Reisende könnten ohne Ansehen der Person einer permanenten Rasterfahndung unterzogen werden.

Ebenso steht die Durchleuchtung von Banktransaktionen in der EU auf dem Programm der Kommission. Im Namen der Terrorfahndung werden schon jetzt in großem Maßstab Bankdaten an US-Behörden (:: SWIFT-Abkommen) übermittelt. Nun will die Kommission zusätzlich ein eigenes "Konzept für die Extraktion und Auswertung von Finanztransaktionsdaten in der EU" erstellen. Weitere damit verbundene Einschnitte beim Schutz der Persönlichkeitsrechte keineswegs ausgeschlossen.

Auch unter dem Titel "Richtlinien für die Zusammenarbeit im Umgang mit illegalen Internet-Inhalten" - ebenfalls für 2011 vorgesehen - und den "Maßnahmen zum besseren Schutz der geistigen Eigentumsrechte und zur Verhinderung des Verkaufs nachgeahmter Waren über das Internet" könnte die Kommission weitere Eingriffe in europäische Grundrechte einleiten. Wenn schon nicht unter dem Titel des Kinderschutzes, so könnten Netzsperren bzw. Three-Strikes-Modelle zum Schutze geistigen Eigentums Eingang in unsere Rechtssysteme finden (um dann unschwer auf weitere Bereiche ausgedehnt zu werden).

Kommissarin Malmström hegt für die Jahre 2001 bis 2014 auch Pläne zur "Vorbeugung gegen Radikalisierung", wobei sie betont, sie wolle keineswegs eine Datenbank von Radikalen anlegen und strebe keine zentrale Erfassung an. In den kommenden Jahren wird sich weisen, ob es im Zuge der Schaffung eines "Aufklärungsnetzwerks" bei positiven Präventionsmaßnahmen und dem kollegialen Austausch von Erfahrungen in Sachen Bewusstseinsbildung bleibt, oder ob damit nicht doch weitere Grundrechtseingriffe einhergehen werden, wie etwa die zentrale Sammlung von Daten über mutmaßlich "radikale" Personen.

Die Strategie der Kommission gibt keine Auskunft darüber, wie viel die_der unbescholtene europäische Bürger_in für die Überwachung seiner verschiedenen Lebensäußerungen zahlen wird müssen. Bis 2013 muss "die EU Mittel in den Grenzen des derzeitigen mehrjährigen Finanzrahmens bereitstellen", was bedeutet, dass "gegebenenfalls" an anderer Stelle Einsparungen bzw. Kürzungen vorgenommen werden müssten. Für den Zeitraum nach 2013 wird die Einrichtung eines eigenen Fonds für die innere Sicherheit in Erwägung gezogen.

Bis dahin aber werden Europas Datenschützer_innen und Hüter_innen der Grundrechte einiges zu tun bekommen. Bleibt zu hoffen, dass sich in Kommission und Rat die Erkenntnis durchsetzt, dass das "Recht auf den Schutz personenbezogener Daten und der Privatsphäre ein notwendiger Verbündeter der Rechtssicherheit, des Vertrauens und der Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus" ist, wie es der Europäische Datenschutzbeauftragte Hustinx kürzlich - auch im Hinblick auf die neue Sicherheitsstrategie - formulierte. Aus gutem Grund sind diese Rechte auch in der Europäischen Grundrechte-Charta ausdrücklich verbrieft.

Artikel von unwatched/ec.europa.eu, zuerst veröffentlicht am 26. Nov 2010 auf :: unwatched.org, hier bearbeitet von no-racism.net.