Bulgarischen Tagelöhner _innen in München organisieren sich.
Durch die Ost-Erweiterung der EU konnten mehr Menschen - die neuen EU-Bürger_innen - sich innerhalb der EU frei bewegen. Schon zuvor gelebte Praktiken der Migration und Arbeit wurden so legalisiert, neue Strategien kamen und kommen auf. Wir wollen hier von der Situation und den Kämpfen bulgarischer Tagelöhner_innen berichten, die sich mit der Initiative Zivilcourage und der Gewerkschaft ver.di in München verbündet haben.
Mit dem EU-Beitritt und der Ausweitung des europäischen Binnenmarktes schlossen oder sparten die Fabriken, in denen die meisten der Männer und Frauen früher gearbeitet hatten. Dass sie als erste ihre Jobs verloren, erklären sie sich durch ihre Zugehörigkeit zur diskriminierten türkischen Minderheit in Bulgarien. Oft, meist von außen, werden sie auch der Minderheit der "Roma" zugeschrieben. Um Arbeit zu finden, reisen sie in wohlhabendere EU-Länder. In München gibt es tatsächlich mehr Arbeit, wenn auch unter schwierigen Umständen. "Arbeitspapiere zu bekommen ist rechtlich oft unmöglich und praktisch immer schwierig. Allein der bürokratische Aufwand hält die meisten Arbeitgeber davon ab, uns zu beschäftigen. Meist kennen wir unsere Rechte und die Bürokratie nicht einmal. Da wir aber arbeiten müssen, um zu überleben und unsere Familien zu ernähren, sind wir gezwungen, alle möglichen schlecht bezahlten und unsicheren Jobs anzunehmen", so Sebahattin M. aus München. Als Folge der für Bulgarien und Rumänien bis 2014 von Deutschland und Österreich erwirkten Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, dürfen Bulgar_innen und Rumän_innen in Deutschland offiziell nur als Selbstständige arbeiten, oder wenn ein zukünftiger Arbeitgeber bereits sechs Wochen vor Antritt prüfen lässt, ob für die Arbeitsstelle ein_e Arbeiter_in mit uneingeschränkter Arbeitserlaubnis in Frage kommt. So lautet das Gesetz, die Praxis ist noch viel unwegsamer. Schlussendlich arbeiten viele ohne Papiere: Männer auf dem Bau, im Entsorgungsgewerbe, oder als Putzkraft; Frauen in privaten Haushalten, in der Pflege oder als Putzkraft. Vereinbarte Löhne werden oft nicht ausgezahlt, Arbeitsunfälle sind nicht versichert. Der Status der Selbständigen wird außerdem von den Auftraggebern ausgenutzt, um bestimmte Verpflichtungen zu umgehen und Kosten einzusparen, die für Arbeitnehmer zu zahlen sind. Die Arbeits- und Auftragssuche wird mangels anderer Möglichkeiten auf Straßenkreuzungen verdrängt.
Prekäre Lebenssituation auch jenseits der Lohnarbeit
Als Unterkunft finden sie meist nur völlig überteuerte Plätze in privaten und städtischen Wohnheimen. 250 Euro Miete pro Kopf für ein Vier-Personen-Zimmer, in dem nur die Betten und ein Kühlschrank Platz haben, sind die Regel. Auch in einer städtischen Notunterkunft müssen die Bulgar_innen für einen Schlafplatz 230 (oder mehr) Euro im Monat zahlen. Fast immer wird ihnen bereits der Zugang zu den städtischen Unterkünften verweigert. Viele schlafen auf der Straße, in Autos, Wartehallen und Parks.
Die Stadt München duldet diese Lage, um potenzielle Zuwanderer abzuschrecken - eine Abschreckungspolitik, die den Schikanen gegenüber Asylsuchenden ähnelt. Sie bietet, neben (für viele schwer zugänglicher) medizinischer Notfallversorgung, nur ein Ticket ins Heimatland für neue EU-Bürger_innen ohne sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse (in Zusammenarbeit mit der IOM).
Unterschiedliche Modi der Entrechtun
Ähnlich wie bei EU-Bürger_innen stellt die Entrechtung von Menschen, die illegalisiert sind oder Asyl beantragt haben, nur prekarisierte Arbeitsverhältnisse zur Wahl. Für sie hat eine Kontrolle durch Polizei oder Zoll aber schlimmere Konsequenzen als für Menschen mit gesicherterem Aufenthalt. Die legalen Kategorien "EU-Bürger_in", "Asylsuchende_r", "Illegale_r", "deutsche_r Staatsbürger_in" werden auch kreativ ausgespielt und angeeignet: So schloss sich ein türkisch-sprachiger Illegalisierter aus Aserbaidschan der Gruppe der bulgarischen Tagelöhner an, bis er eines Tages genug hatte von der Obdachlosigkeit und Asyl beantragte. Durch die unterschiedlichen Modi der Entrechtung kommt es teils zu Misstrauen zwischen wahrgenommenen Gruppen - etwa zwischen Flüchtlingen, neuen EU-Bürger_innen und Hartz IV-Empfänger_innen. So haben EU-Bürger_innen schon Unverständnis gezeigt, wieso Nicht-EU-Bürger_innen die Möglichkeit haben, Asyl zu beantragen und sie nicht. Ein Asylantrag bedeutet zunächst Unterkunft, Verpflegung und eine bessere Gesundheitsversorgung. Mittellos auf der winterlichen Straße gestrandet kann das eine verlockende Perspektive sein. Dabei wird einiges ausgeblendet: Die ständig drohende Abschiebung, menschenverachtende Zwänge hinter den vermeintlich sozialen Leistungen für Asylsuchende wie Lagerzwang, keine Bewegungsfreiheit, der Zwang zu Essenspaketen und vieles mehr.
Mit der Initiative Zivilcourage versuchen wir, auf der Basis von geteilter Menschlichkeit und Solidarität gegen Ausbeutungsverhältnisse und Entrechtung vorzugehen. Dabei arbeiten wir zusammen mit prekarisierten Arbeiter_innen und der Gewerkschaft ver.di an konkreten und praktischen Aktionen wie der Einforderung nicht gezahlter Löhne, dem Schaffen eines offenen Raumes (workers' center), Skillsharing zur Überwindung von bürokratischen und sprachlichen Hürden und das Ins-Gespräch-Treten mit den verschiedensten Akteur_innen.
Initiative Zivilcourage
Dieser Text erschien zuerst in MALMOE #55 (www.malmoe.org).