Ein Kommentar zu Meinungs- freiheit und Political Correctness anlässlich zahlreicher rassistischer Kommentare auf derstandard.at
"Umbenannt wird nix, das ist eine Wiener Tradition", so eine der Antworten auf Nachfragen von derstandard.at, wie Zuckerlgeschäfte es mit rassistisch benannten Süßigkeiten halten. Stutzig macht nicht der :: Artikel, stutzig machen auch weniger die nach dem Schema "Wiener Tradition" gehaltenen Antworten, die sich gegen antirassistische Kritik auf eine koloniale Nostalgie im Schaufenster (N-brot) beziehen und plötzlich doch recht vehement Widerstand leisten gegen die Beseitigung kolonialer Spuren auch im österreichischen Sprachgebrauch.
In einer anscheinend unmoderierten Kommentarfunktion unter dem Artikel sind binnen Stunden zahlreiche Postings zu lesen, die sich entrüstet über das Anliegen der Umbenennung geben und mit Begriffen wie Lappalien, Sprachpolizei und Fundamentalismus um sich werfen. Was passiert?
Das, was so oft passiert, wenn aus antirassistischer Perspektive kolonialer Sprachgebrauch kritisiert wird: Warnend wird der freiheitlich-demokratische Finger erhoben, und rassistische Redefreiheit stark gemacht mit der Ironisierung und Abwertung von "PC": Political Correctness. Doch hier werden die Rahmenbedingungen vergessen: Wer proklamiert in welcher Absicht welche Rechte/Freiheiten für sich? Die Kritik an PC und die "Meinungsfreiheit" werden benutz, um rassistische, verletzende Rede und Begriffe und die Kritik daran als moralisierend und verbietend darzustellen. Die Vehemenz der "Proteste" gibt inhaltlich nicht viel her, zeigt aber eines deutlich: Hier werden weiße Privilegien verteidigt. Die "Freiheit" (Meinungsfreiheit) soll durchgesetzt werden als induviduelle Meinungsäußerung und nicht als Herstellung von gesellschaftlichen Bedingungen, die die Meinungsäußerung aller ermöglichen.
Die Argumentation eines vermeintlichen Verbotes von Äußerungen durch PC stellt eine diskursiv inszenierte Umkehr der Unterdrückung dar - dieses Muster war schon 2010 in der "Sarrazindebatte" ein sehr geläufiges, kondensiert im Titel eines deutschen "Nachrichten"blattes: "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen". Unterdrückung richte sich gegen diejenigen, die diskriminierende Aussagen tätigen, nicht gegen jene, die von diesen Aussagen betroffen sind. "Das gesellschaftskritische und emanzipatorische Potenzial der Empfehlungen, in sprachliche Diskriminierungen und hegemoniale Wirk- und Deutungsmacht sprachlicher Handlungen einzugreifen sowie an den gesellschaftlichen Rand gedrängte Positionen zu benennen, wird u.a. als Überempfindlichkeit oder Bedrohung der Meinungsfreiheit eingelesen [...]" (Adibeli Nduka-Agwu/Antje Lann Hornscheidt: Rassismus auf gut Deutsch. Ein kritisches Nachschlagewerk zu rassistischen Sprachhandlungen, S. 338f)
Rassistisches Denken ist im deutschsprachigen Alltag integriert, und die weiße Resistenz, diskriminierende Begriffe aufzugeben, zeigt sich an der Vehemenz, mit der weiße Personen sich weigern, das Privileg der Deutungsmacht aufzugeben. Wenn Antidiskriminierungsarbeit als PC abgewertet und als "überzogen" "entlarvt" wird, müssen eigene rassistische Handlungen und Sprache nicht reflektiert werden und die eigene hegemoniale Position und "Tradition" rassistischer Sprache nicht hinterfragt werden. Meinungsfreiheit scheint immer genau dann in Gefahr, wenn rassistische, sexistische, antisemitische, klassistische oder andere ausgrenzende Aussagen in Frage gestellt werden. Der Verweis auf Meinungsfreiheit und die diskursiv inszenierte Bedrohung durch PC soll in diesem Fall rassistische Begriffe schützen.