Für den 8. Mai 2012 ruft die bagru*powi zu keiner Befreiungsfeier auf dem Schwarzen- bergplatz auf.
An dieser Stelle dokumentieren wir einen Text der bagru*powi, der die Bedeutungswandlung des 8. Mai im postnazistischen Österreich zum Gegenstand hat.
Stellungnahme der bagru*powi
Wir schreiben den 8. Mai, jenen Tag, an dem sich die militärische Niederschlagung des Nationalsozialismus zum nun mehr 67. Mal jährt. Lange Jahre hindurch waren es hauptsächlich antifaschistische Gruppen, die sich dieses Datums annahmen: Sei es, dass sie der zu späten Niederlage Deutschlands gedachten, sei es, dass sie - in ihren weniger hellen Momenten - jenen Tag in Partystimmung begingen, um wenigstens für diese paar Stunden die Gegenwart geschichtslos und die Ermordeten bloß vergangen sein zu lassen.
Es dauerte also ein paar Generationen, bis das offizielle Österreich, das vermeintlich neue und andere, den 8. Mai zur Identitätskonsolidierung für sich entdeckte. Freilich, Alt- und Neunazis versammelten sich schon länger zum Fackelumzug für die gefallenen Kameraden und bescherten der hiesigen Linken eine willkommene Gelegenheit, sich dem tief sitzenden Bedürfnis nach familiärer Einigkeit, das man hierzulande ja fast in die Wiege gelegt bekommt, ganz hinzugeben und in bündniswütiger Harmonie den Schmissgermanen mit Demoparolen und Transpis so richtig einzuheizen. Dabei vergisst man naturgemäß darauf, dass die postnazistische Realität in mehr als der einigermaßen unverfrorenen Wiedergabe der Großelternideologie besteht, wiewohl eine Handvoll konspirativer Männercliques, die die alten Ideale partout keiner Reform unterziehen wollen, dem postnazistischen Treiben freilich keinen Schaden bereiten. Gerade in der Transformation des Nationalsozialismus, in dessen Adaption an die Anforderungen der Demokratie liegt der analytische Gehalt des Begriffs Postnazismus. Die Wiederkehr des Verdrängten erscheint nicht als die direkte Wiederholung der Vergangenheit, sondern als die den Umständen angemessene und erneuerte Äußerung der wesensgleichen Ideologie. Das postnazistische Subjekt kann deshalb weder die Fackel schwenkende reaktionäre Kerntruppe noch ihre parteigewordene Politablegerin sein, trotz der für diese Nation zweifelsohne integrierenden Funktion der extremen Rechten. Das postnazistische Subjekt ist der Normalösterreicher; der Erbe des mordenden Volksracket von 1942 ist das rechtsstaatlich gezähmte Volksracket von 2012.
Nationale Konspiration gegen die Geschichte
Auf der Ebene der Politik wird Ideologie zur manifesten Erscheinung. Erstaunlich lange konnte sich das offizielle Österreich in die Pose des unmittelbaren und ersten Opfers werfen, in den 80ern wurde es zur Revision der tunlichst gepflegten nationalen Lüge gezwungen. Jedoch, eine Aufgabe des Opferstatus kam nicht infrage: Verkleidet in die Phraseologie der Betroffenheit wurde die nationale Ideologie konserviert. Der bundesdeutsche Leidensgenosse hatte es während der letzten Jahrzehnte vorexerziert, wie Verantwortung eingestanden und damit internationale Politik gemacht werden konnte, wie man den Opfern sein "vollstes Mitgefühl" aussprechen und gleichzeitig die Nazis rehabilitieren konnte, wie man geläuterter Deutscher sein und gerade deswegen Auschwitz stolz zum nationalen Kulturgut erklären konnte. In Österreich tritt zur befreienden Archivierung der Vergangenheit schließlich die Transformation der Opferthese hinzu. So kann die überraschend ehrliche Verbrüderungswelle im Zuge der EU-weiten Ächtung der österreichischen schwarz-blauen Regierung verstanden werden, die offen zu Tage treten ließ, dass man sich nach wie vor in der Rolle des getretenen, geschlagenen Volkes recht wohl fühlte.
Während aber das Staatspersonal der österreichischen Ideologie eine Rundumkur zu verpassen gedachte, trotzten nicht wenige den Avancen der ModernisiererInnen und beharrten auf ihrem altösterreichischen Recht, jahrein, jahraus am Kriegerdenkmal den Helden von Stalingrad zu danken und auf die Besatzung durch Nazideutschland die nicht minder unrechte Besatzung durch die alliierten Armeen folgen zu lassen. Beide Narrative existieren nun recht friedlich nebeneinander und kultivieren auf die je eigene Weise die postnazistische Ideologie.
Bisher vermochte der 8. Mai noch nicht in das Corpus der Up-to-date-gebrachten Version österreichischen Geschichtsbewusstseins aufgenommen zu werden. Der Grund hierfür liegt vermutlich in einem stillen Zugeständnis an die traditionelle Opferthese: Der 8. Mai markiert nicht nur den Tag der Niederlage Nazideutschlands, sondern auch jenen der endlichen Besatzung Österreichs durch die siegreichen Armeen der Alliierten. Der erste Aspekt mag sich recht umstandslos ins erneuerte Bild der österreichischen Nation fügen - schließlich hat man mit dem besiegten Nationalsozialismus spätestens seit 1945 nichts mehr zu tun -, der zweite jedoch rührt an tiefer liegende Neurosen. Nicht zufällig weist das Datum des Nationalfeiertags, an dem sich das österreichische Selbstverständnis kristallisiert, auf den Abzug des letzten alliierten Soldaten hin. Die alliierten Mächte rissen die ÖsterreicherInnen aus der völkischen Trunkenheit innerhalb des nationalsozialistischen Unstaats und zwangen sie unter die ordnende Gewalt des Rechtsstaates, der aus den Elementen des antisemitischen Mordkollektivs individuierte Gleiche vor dem Recht machte.
Immer noch Opfer
Es mag also überraschen, dass von Präsident Heinz Fischer über Vizekanzler Spindelegger bis zu den Grünen die RepräsentantInnen dieses Staates den 8. Mai nun als Tag der Befreiung hervorheben wollen. Die Grünen fordern gar, den 8. Mai zu einem Feiertag zu erklären. Wiewohl dem Gedanken an einen zusätzlichen arbeitsfreien Tag durchaus einiges abgewonnen werden kann, dient die Adelung des 8. Mai zur nationalen Festivität letzten Endes erneut der Modernisierung der österreichischen Opferthese, die endlich die Befreiung durch die Alliierten in den nationalen Mythos integriert. Denn wer sich selbst als befreit deklariert, erklärt sich zum Objekt der Befreiung und demnach zum Opfer des Nationalsozialismus. In dieser Figur findet sich wie schon in der althergebrachten Denke die Verleugnung Österreichs als direkter Nachfolgestaat der österreichisch-deutschen Mordgemeinschaft: Wie sollte sich eine solche befreit wähnen, war doch sie es, die die Intervention der alliierten Armeen zur Notwendigkeit werden ließ?
Opfer, das sollte keiner Erwähnung bedürfen, waren im Nationalsozialismus die Objekte des völkischen Wahns. In der breiten Bevölkerung die Opfer des NS-Regimes zu erkennen, verlangt nach einer gehörigen Portion perfider Kreativität. Die Rede von der Befreiung übertönt allenthalben die eigentliche Bedeutung des 8. Mai für Österreich: das Ende der massenhaften Beteiligung der eigenen Bevölkerung am volkskonformen Morden. Stattdessen versucht man das Unbegreifliche und doch hierzulande allzu Gewöhnliche: rhetorisch die Identifikation mit den Opfern des Nationalsozialismus herzustellen, um unbeschwert die Täterideologie weitergedeihen zu lassen. Auf die an Perversion kaum zu überbietende Frage eines Grün-Politikers, "[w]as gibt es Schöneres, als das Ende von Tyrannei und Massenmord zu feiern", ist die Antwort allzu leicht: den antisemitischen Massenmord und den Nationalsozialismus und damit das größte Versagen der Menschheit erst gar nicht zur geschichtlichen Realität werden zu lassen; und im Wissen um die Katastrophe die Gesellschaft, die sie möglich machte, zum Besseren aufzuheben.
Würde man den 8. Mai von offizieller Seite ernst nehmen, kämen die VertreterInnen der Parteien auf die TäterInnen aus dem Gebiet der damaligen Ostmark zu sprechen. Denn die ostmärkischen Wehrmachtsoldaten kämpften ihrem Verständnis nach sehr wohl für die Verteidigung der Heimat und fanden wenig dabei, den Mordtruppen der SS und der Einsatzgruppen - zu denen wiederum eklatant viele Österreicher gehörten - hinter der Front die Realisierung des antisemitischen Wahns zu ermöglichen. Gerade daran, an die österreichische Beteiligung an den nationalsozialistischen Verbrechen, erinnert der 8. Mai.
Durch die Rede von der Befreiung stellt man sich hingegen just neben diejenigen, die man anno dazumal noch mit vereinten Kräften ermordete. Es entsteht der Eindruck, jedeR sei am 8. Mai gleichermaßen befreit worden, gleichgültig ob man Opfer des Nationalsozialismus oder MitläuferIn oder LynchmeisterIn war. Während die FPÖ und die Burschenschafter weniger offen als noch vor zehn Jahren der Niederlage nachtrauern, hat Restösterreich das identitätsstiftende Moment der Befreiung längst realisiert und den 8. Mai für nationales Beschwingtsein urbar gemacht. Mit der Inkorporierung des 8. Mai ins nationale Gedächtnis als Tag der Befreiung erfährt die nun antifaschistisch legitimierte Opferthese ihre zeitgemäße Aktualisierung.
... das andere Mal als Farce
Die Linke dieses Landes gibt sich bereitwillig als Patin für das nationale Projekt. Zahlreiche Gruppen lassen es sich nicht nehmen, schon eifrig an der Legitimation der neuen österreichischen Identität mitzubasteln und ihr DIY-Know-How dafür zur Verfügung stellen. Im euphorischen Parolengebrülle vergessen die Lautesten am meisten, was es mit dem bis zum Erbrechen wiederholten "Nie wieder!" auf sich haben könnte. Gerade weil sich die Linke alle Mühe gibt, Zitate im Agitationsgeheule jeglichen Gehalts zu entledigen, täte es umso mehr not, sich auf den kategorischen Imperativ von Adorno, "Denken und Handeln so einzurichten, dass Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe", einzulassen. Denn etwas Ähnliches könnte in der Tat heute im Nahen Osten unter atomaren Vorzeichen geschehen. Statt stupider Partystimmung gilt es, auf die Bedrohung aufmerksam zu machen, welcher der Staat der vom Antisemitismus Bedrohten ausgeliefert ist. Während österreichische Unternehmen dem Iran ökonomische Unterstützung zukommen lassen und in den Kommentarspalten PropagandistInnen und AppeaserInnen der Islamischen Republik das Wort reden, steht Israel vor einer existenziellen Bedrohung durch die potenzielle iranische Atomwaffe.
Es sieht düster aus dieser Tage, zu feiern gibt es nichts mehr, nur mehr zu verhindern. Gerade dessen müsste sich die Linke am 8. Mai gewahr werden: dass das Versagen der Welt, zu spät den deutschen Wahn unterbunden zu haben, keine historische Einzigartigkeit darstellt. Schon am Tag seiner Gründung stand Israel am Rande des Abgrunds, dieser Tag jährt sich am 14. Mai zum 64. Mal. Die Notwendigkeit für den Fortbestand seine Existenz hat sich leider noch immer nicht erübrigt. Dass im postnazistischen Österreich sich aber niemand so recht für dieses Datum erwärmen will, überrascht nicht: Der Antizionismus ist dem Antisemitismus ein würdiger Erbe. Und wie sich am 8. Mai zeigt, ist die hiesige Linke allemal eine willige Kollaborateurin im Zeichen der österreichischen Ideologie.