Solidarität gegen das koloniale Unrecht und die Angriffe auf unsere Leben. Politisches Sommercamp und Zusammenkunft für den Ausbau der Flüchtlings- und MigrantInnengemeinschaften BREAK ISOLATION Refugee Summer Camp 2012 vom 23.08. bis zum 02.09.2012 in Erfurt, Thüringen. Aufruf von THE VOICE Refugee Forum und der KARAWANE.
Freundinnen und Freunde, Schwestern und Brüder, Mitstreiterinnen und Mitstreiter, wir vom THE VOICE Refugee Forum und der KARAWANE für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen organisieren in diesem Sommer ein :: Sommercamp . Wir laden euch ein, mit uns gemeinsam zehn Tage lang nach vorn zu schauen und zu diskutieren, wie unsere Selbstorganisierung weiter gestärkt und entfaltet werden kann. Wir wollen die bisher in praktischen Kämpfen gelebte Solidarität untereinander verfestigen und uns rüsten für zukünftige Kämpfe.
Wir wissen aus unserer langjährigen Erfahrung der organisierten Kämpfe gegen das deutsche Abschiebesystem und all seinen Formen, dass Selbstbestimmung und Selbstermächtigung von uns Flüchtlingen - den unmittelbar vom kapitalistischen System bedrohten Menschen - Kern einer Bewegung zur Überwindung von Ausbeutung und Unterdrückung sind. Wir wissen, dass wir nur mit einem scharfen und klaren Fokus und einer wachsenden Basis diesem Ziel näherkommen können. Seit der :: Konferenz gegen koloniales Unrecht 2009 arbeiten wir permanent am Aufbau lokaler Flüchtlingskomitees und Gemeinschaften in den Lagern und in unterschiedlichen Städten. Auf unserem weiteren Wege wollen wir die Solidarität zueinander und die Beziehungen zwischen den bereits bestehenden und neu entstehenden lokalen Gruppen ausbauen und stärken. Auf dem Flüchtlingscamp wollen wir unsere bisherige Arbeit reflektieren, das politische Umfeld analysieren und uns politisch bilden. Wir wollen die Erfahrungen aus vergangenen erfolgreichen Kämpfen an die neuen Aktivistinnen und Aktivisten weitergeben sowie unsere Schwächen beleuchten.
Es ist an der Zeit, zwischen all den tagtäglichen Kämpfen zu analysieren, wo wir stehen und wie der weitere gemeinsame Weg aussehen kann. Wir sehen aktuell, dass trotz aller Kämpfe und Widerstände gegen Abschiebungen, Residenzpflicht und Polizeibrutalität die Angriffe des deutschen Staates auf Flüchtlinge und MigrantInnen insbesondere unter der Einwirkung der Systemkrise massiv verstärkt werden. Rassismus als Spaltungs- und Herrschaftsinstrument wird intensiv genutzt, damit die Verursacher von Hunger und Not, von Familientrennung und Isolation weiterhin den Reichtum an sich reißen können. Heute sind wir Zeugen, wie trotz aller sozialen und politischen Aufstände und Massenrebellionen die Zerstörung unserer Länder, unserer Lebensräume und unserer Gesellschaften durch die westlichen Länder im Stil eines neuen Weltkriegs vorangetrieben werden. Wir müssen zusehen, dass trotz der entfalteten Kraft der Proteste die Entscheidungen über die Macht in unseren Ländern weiterhin in Runden außerhalb unserer Kontinente getroffen werden. Dies ist keine neue Erfahrung, doch die Offenheit, mit der sie zutage tritt, ist eine weitere Ohrfeige und Erniedrigung - und offenbart unsere eigene Schwäche. Durch den zielgerichteten Export von Kriegsmaterial, wirtschaftliche Sanktionen und politisch-militärische Interventionen sollen jede Transformation der Ausbeutungsverhältnisse verhindert und jedes Bestreben nach tatsächlicher Unabhängigkeit erstickt werden. Das Militärbündnis NATO hat die Welt in einen permanenten Kriegszustand versetzt und bedroht weiterhin unsere Familien in den Ländern, die wir verlassen mussten. Der Protest gegen die Verursacher des Elends auf unseren Kontinenten nimmt stetig zu. Aber auch die jungen Menschen hier in Mitteleuropa fangen an, die Lügen ihrer Verschleierungspropaganda zu erkennen und setzen sich gegen Abschiebungen, Ausbeutung und Militarisierung ein. Trotz alldem und trotz unserer aller Kämpfe werden die europäischen Außengrenzen jeden Tag stärker militärisch abgeschottet und das Lagersystem innerhalb der EU ständig weiterentwickelt. Die Randstaaten Europas müssen für die Kernstaaten die Flüchtlinge abfangen und abwehren. Die Lager und die militärische Abschottung werden immer weiter ausgelagert. Immer mehr Länder werden zu Vasallen der Bekämpfung der erzwungenen Migration und erledigen für die europäischen Staaten die dreckige Arbeit auf dem afrikanischen und asiatischen Kontinent. Die Folgen sind verheerend und Zeugnis der kolonialen und genozidalen Ideologie der herrschenden Eliten. Obwohl wir als Menschheit in der Lage sind, Nahrung für die gesamte Erdbevölkerung zu produzieren, verhungert alle fünf Sekunden ein Kind unter zehn Jahren. 37 000 Menschen verhungern jeden Tag. Eine Milliarde sind permanent schwerstens unterernährt. Alle 60 Sekunden stirbt ein Mensch durch Schusswaffen. 500 000 Menschen sterben jedes Jahr durch Schussverletzungen. Deutsche Konzerne belegen hingegen den dritten Rang der weltweiten Rüstungsexporte. Der Kapitalismus hat längst seine goldene Maske verloren. Die Zerstörung der Erde schreitet voran und tötet nicht nur die Menschen, sondern zerstört auch die Lebensgrundlage zukünftiger Generationen. Daher wird unser Protest als ein Teil des Kampfes gegen diese permanente Zerstörung immer bedeutender und ist zwingend notwendig. Unser gerechter Widerstand erreicht immer mehr Menschen. Verglichen mit dem Ausmaß der Zerstörung und der Häufigkeit der Angriffe erscheint er aber geschwächt. Die politische Klarheit und die Analyse und Ausarbeitung der Herrschafts- und Machtstrukturen erfordert Zeit, kollektive Untersuchung und Erkenntnis. Wir sind selbst aber Kinder des Kolonialismus und des Kapitalismus. Zersplitterung und Konkurrenzverhalten innerhalb unserer eigenen Widerstandsbewegungen schwächen die gesamte Bewegung gegen das kapitalistische Diktat. Wir sind geprägt von den Auswirkungen des kolonialen Erbes - der kolonialen Mentalität. Wir hängen zusammen und sind miteinander verbunden durch die Kette, die im Kolonialismus zwischen den unterdrückenden und den unterdrückten Gesellschaften entstanden ist. Nicht nur unsere Bewegung wird geschwächt durch Infiltration und Manipulation durch vermeintliche Verbündete, deren verstecktes Ziel die Durchsetzung einer eigenen Agenda ist, die teilweise nur die Sicherung des eigenen Lebens und des eigenen Status umfasst. Diese Einflüsse aber schwächen den Kern der Bewegung, der in der Selbstbestimmung und Selbstermächtigung der unmittelbar Betroffenen besteht.
Deshalb rufen wir - The VOICE Refugee Forum und die KARAWANE für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen - Euch dazu auf, zu dem zehntägigen Treffen nach Thüringen zu kommen. Bringt euch in den Entwicklungsprozess für den Aufbau selbstbestimmter und selbstorganisierter Flüchtlingsgemeinschaften und -komitees ein. Seid Teil der Solidaritätsplattform der Flüchtlinge im Rahmen des Netzwerks der KARAWANE. All diejenigen, deren Ziel es ist, sich mit dem Kampf der Flüchtlinge zu verbinden und eine wirksame Überwindung von Rassismus und kolonialer Mentalität anzustreben, rufen wir auf, zum Camp nach Thüringen zu kommen. Das Camp soll der Stärkung und der Konzentration des Flüchtlingswiderstands dienen. Wir wollen alle Diskussionen und Analysen an diesem Ziel ausrichten. Uns geht es nicht darum, uns gegenseitig unterschiedliche Kampagnen und Aktionen der Zukunft zu präsentieren oder uns übereinander zu informieren. Wir wollen die Solidarität untereinander durch aktiven Austausch stärken und gemeinsam herausfinden, inwieweit unsere eigene Freiheit mit der anderer zusammenhängt. Wie mache ich deinen Kampf zu meinem und wie bringen wir uns gemeinsam ein?
Ein zentraler Punkt wird der Erfahrungsaustausch der Flüchtlingsgemeinschaften über die rassistische Politik und Praxis im deutschen Lager- und Abschiebesystem sowie unsere Praktiken der Gegenwehr und der Selbstorganisierung sein. Die konkreten Erfahrungen des Widerstands und der Solidarität durchbrechen den Kreis der Angst und der Ohnmacht. Hierzu gehört auch die Vermittlung von technischem und organisatorischem Wissen. Wir wollen uns auf dem Camp Zeit nehmen, um in Reflexionen und Analysen über die gegenwärtige Situation sowohl hier wie auch in unseren Herkunftsländern die daraus resultierenden Anforderungen und Bedingungen für unseren Widerstand herauszuarbeiten und dabei unser politisches Bewusstsein zu stärken. Die Kampagne Krieg gegen Migration Krieg gegen Flucht wird ein Hauptschwerpunkt des Camps sein. Alle Flüchtlinge und MigrantInnen sind dazu eingeladen, ihre Erfahrungen zu diesem Thema vorzubereiten und einander mitzuteilen. Das ganze Camp wird auf dem Prinzip der Solidarität aufbauen, denn wir haben gelernt, dass die Solidarität der Unterdrückten untereinander unsere schärfste Waffe und unseres Gegners größte Angst ist. Das :: KARAWANE Festival gegen koloniales Unrecht in Jena 2010 wurde als Bastion der Solidarität bezeichnet und von allen, die sich dort einfanden, auch so empfunden. Das Camp 2012 will das Prinzip der Solidarität auf die Ebene der alltäglichen und kontinuierlichen Praxis heben. Nach wie vor existiert das Netzwerk der KARAWANE in ursprünglicher Form und bietet Raum für aktive Teilnahme und den Aufbau lokaler Gruppen und Initiativen, die den Prozess der Selbstorganisierung und Selbstermächtigung von Flüchtlingen und MigrantInnen vorantreiben wollen. Das Camp wird die Planungen und Konkretisierungen für das Tribunal gegen die Bundesrepublik Deutschland im Sommer 2013 in Berlin auf die Tagesordnung setzen und alle Flüchtlinge als Zeugen und Betroffene für die systematischen Menschenrechtsverletzungen einladen. Dazu gehört auch die Ermutigung von Flüchtlingsfrauen, deren Situation im deutschen Lagersystem oft am schwersten ist. Unsere gemeinsame Dokumentation wird in Zukunft ein unumstößlicher Beweis gegen alle Versuche der Leugnung der Verbrechen sein, die gegen uns verübt wurden und werden. Das Camp wird der Raum unserer kulturellen Vielfältigkeit und Ausdrucksmöglichkeit sein. Wir laden euch alle dazu ein, eure Talente in Musik, Malerei, Lyrik, Tanz, Sport und Spiel mit in das Camp zu tragen. Eine Kinderbetreuung vor Ort wird organisiert.
Wartet nicht auf irgendwen, der Euch eine Lösung verspricht. Er oder Sie wird nicht kommen. Wartet nicht, bis das eigene Problem so groß ist, dass es euer Handeln erzwingt - es wird dann zu spät sein. Glaubt nicht, ihr seid nicht betroffen, wenn ihr kein Flüchtling (mehr) seid. Wir alle sind verbunden mit der Kette des kolonialen Unrechts. Stoppt den Krieg gegen Flucht!
Solidarität mit dem Flüchtlingswiderstand in Deutschland und Solidarität mit der internationalen Bewegung der Flüchtlinge und MigrantInnen gegen Ausbeutung und Unterdrückung! Organisiert euch gegen das deutsch-europäische Lager- und Deportationsregime! Vereinigt euch gegen koloniales Unrecht! Brecht die Isolation, überwindet alle Barrieren der Trennung, vereinigt Euch im Kampf!
Unbearbeiteter Aufruf von The VOICE Refugee Forum und KARAWANE